Frage an Brigitte Zypries von Thorsten E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Zypries,
mit großem Erstaunen und ja, auch Entsetzen, habe ich heute von dem gemeinsamen Vorhaben von SPD, CDU und FDP gelesen, das Rederecht der Parlamentarier einzuschränken. Ausschließliches Ziel dieser Initiative scheint zu sein, die Parlamentarier, die Vertreter Ihrer Wähler, auf Parteilinie zu trimmen und das verfassungsmäßige Gebot, dass Abgeordnete einzig ihrem Gewissen unterworfen und eben nicht weisungsgebunden sind, abzuschaffen.
In der Logik der Demokratie wird damit auch der Wähler selbst dem Parteidiktat unterworfen, da seiner Stimme - so sie abweichend von der Parteilinie ist - die Möglichkeit genommen wird, einen öffentlichen Diskurs zu führen oder auch nur anzustoßen.
Von Ihnen als meine Vertreterin im Bundestag hätte ich gerne eine Stellungnahme zu dieser Initiative. Ich bin davon überzeugt, dass Sie eine eigene evtl. von der Fraktion abweichende Meinung zu diesem Vorschlag haben, da er ja auch einen massiven Eingriff in Ihren politischen Wirkungsbereich darstellt. Weiterhin würde mich natürlich interessieren, wie Sie abzustimmen gedenken, sollte am 26. April tatsächlich eine Abstimmung zu dieser geplanten Änderung der Geschäftsordnung stattfinden.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Eiche
Sehr geehrter Herr Eiche,
die Vorschläge zum Rederecht, die in den letzten Tagen in der Presse diskutiert wurden, sind nicht in den Fraktionen beraten worden - und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich dafür in der SPD-Fraktion ein Konsens gefunden hätte!
Es gilt auch bei diesem Thema - wie fast immer-: Weder das eine noch das andere Extrem ist gut. Natürlich dürfen Abgeordnete im Bundestag nicht so beschränkt werden, dass sie künftig nur noch ans Rednerpult treten können, wenn es den Fraktionen passt. Es müssen abweichende Meinungen zu Gehör kommen können, sonst verkommt das Parlament zur Schaukampf-Arena. Aber natürlich geht es auch nicht, dass jeder, der möchte, bei einer Debatte reden kann - denn dann legen wir den Parlamentarismus auch lahm. Wir haben dieses Problem in der Praxis allerdings gar nicht. Deshalb finde ich es gut, dass der Präsident über Ausnahmen entscheidet - das kann auch so bleiben, man muss nicht immer alles regeln.
Ich habe übrigens ungewöhnlich viele Prostestschreiben zu diesem Thema bekommen - meine Kollegen sicherlich auch. Und ich muss gestehen, dass ich mich, wenn schon nicht über den Vorstoß an sich, dann doch über die ganzen Reaktionen freue. Sie zeigen, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, wie wichtig unsere demokratischen Grundsätze sind. Und sind ein Zeichen dafür, dass wir Demokratie persönlich nehmen.
Außerdem sieht man mal wieder: Protest nützt doch etwas - die geplante Regelung zum Rederecht im Parlament ist schließlich erst einmal vom Tisch. Nach den lauten Protesten wird der ursprünglich für nächsten Donnerstag geplante Tagesordnungspunkt zu den Änderungen der Geschäftsordnung jetzt abgesetzt - und das ist richtig so. Die Koalition will einen neuen Vorschlag machen, der dann ausführlich und mit allen diskutiert werden wird. Und wir werden sicherstellen, dass auch zukünftig andere Meinungen im Parlament ausgesprochen und gehört werden.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries