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Brigitte Zypries
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Frage von Thomas M. •

Frage an Brigitte Zypries von Thomas M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Zypries,
ich bin ein Fan von Europa und sehe die dringende Reformbedürftigkeit der EU, jedoch gibt es Punkte die mich massiv am Vertrag von Lissabon stören. Einer davon ist die Todesstrafe:
Der Vertrag sieht ausdrücklich vor, dass die Tötung z.B. zur "rechtmäßigen Niederschlagung eines Aufstandes oder Aufruhrs" erlaubt ist. (*)

Nun zu meinen Fragen:
1. Denken Sie, dass dieser Fakt im Bundestag zum Zeitpunkt der Abstimmung allgemein bekannt war?

2.Wie kann es sein, dass in einem Europa, in dem nicht ein einziger Staat Gesetze wie diese hat, der gemeinsame Verfassungsentwurf soetwas vorsieht?

3. Sie und Ihr Ministerium haben an dem Vertrag maßgeblich mitgeschrieben. Was war Ihre Intention bei dieser Bestimmung? Können Sie ein Szenario skizzieren, in dem diese Bestimmung zur Anwendung käme? Gehören zum Beispiel die gewaltsamen G8-Krawalle zu diesen Aufruhren?

Mit freundlichen Grüßen aus Ihrem Wahlkreis,
Thomas Möllmann

(*) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:303:0001:0016:DE:PDF (Am Ende der 1. Seite/Anfang der 2. Seite)

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Möllmann,

die zitierte Stelle aus dem Lissabon-Vertrag klingt - so wie sie da steht - in der Tat missverständlich. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte. Diese Erläuterungen haben - so die Charta - "als solche keinen rechtlichen Status, stellen jedoch eine nützliche Interpretationshilfe dar, die dazu dient, die Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen". Das heißt, der Absatz bildet keine rechtliche Ausnahme von dem in Artikel 2 der Grundrechtecharta festgelegten ausdrücklichen Verbot der Todesstrafe. Die Grundrechtecharta bindet im übrigen auch nur die EU-Institutionen, hat also keine direkte Wirkung auf das Handeln der Mitgliedstaaten. Inhaltlich spiegelt sie den Grundwertekanon der Union wider, also den Wertekonsens der Mitgliedstaaten, der in der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit aller Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommt. Dieser Grundwertekanon schließt die Anwendung der Todesstrafe in einem Mitgliedstaat der EU aus.

Die sogenannten "Negativdefinitionen", die übrigens nicht von meinem Ministerium ausgearbeitet wurden, definieren Ausnahmen für das Verbot der Todesstrafe, sie relativieren aber nicht das Verbot. Vielmehr geht es darum, in einem eng definierten Rahmen klar zu stellen, dass eine Tötung nicht immer eine Todesstrafe ist. Gemeint ist etwa die Verteidigung gegen rechtswidrige Gewalt, Tötungen im Zusammenhang mit Gewaltanwendung bei rechtmäßigen Festnahmen oder auch bei der Niederschlagung von Aufständen. Auch nach deutschem Recht dürfen Polizisten in einer Notwehrsituation oder zum Schutz Dritter mit Gewalt vorgehen. Der Absatz, den sie zitieren, legt lediglich fest, dass eine Tötung als Folge solcher Gewaltanwendung nicht als Todesstrafe zu werten ist. Das legitimiert aber selbstverständlich keine beabsichtigte Tötung von Demonstranten, sofern diese nicht zum Schutz des eigenen Lebens notwendig ist. Die Bestimmungen entsprechen also im Grunde geltendem deutschen Recht, auch wenn die Formulierung etwas befremdlich klingt. In jedem Fall ermöglicht es die Charta nicht, dass Polizisten mit Schießbefehl gegen Steinewerfer bei G8-Krawallen vorgehen.

Die Zustimmung des Bundestages zu der entsprechenden Regelung in der Grundrechtecharta war deshalb vollkommen unbedenklich.

Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries