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Bodo Ramelow
DIE LINKE
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Frage von René R. •

Frage an Bodo Ramelow von René R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ramelow,

als Sie über den Vertrag von Lissabon abgestimmt haben, lag Ihnen dieser in deutscher Sprache und in vollständiger Version zur Prüfung vor?
Wie lange hatten Sie zur Prüfung von der Vorlage bis zur Abstimmung Zeit?

Freundliche Grüße

René Rauschenbach

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Rauschenbach,

1. Der Lissabonner Vertrag lag den Abgeordneten im Deutschen Bundestag in deutscher Sprache vor. Bereits bei vor der Unterzeichnung des Vertrags am 13. Dezember 2007 war der Vertragsentwurf auf Deutsch verfügbar und mit der Veröffentlichung des Textes im Amtsblatt der Europäischen Union war auch der unterzeichnete Vertrag offiziell auf Deutsch veröffentlicht.

2. Als der Deutsche Bundestag sich mit dem Vertragswerk beschäftigen musste, stand der gesamte Vertragstext zur Verfügung. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass vier Monate nach der Unterzeichnung des Vertrags keine konsolidierte Fassung der geänderten Verträge vorlag. Erst am 9. Mai 2008 – nachdem der Deutsche Bundestag dem Lissabonner Vertrag bereits zugestimmt hatte – wurde die offizielle konsolidierte Fassung der Verträge im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Damit der neue Vertrag und die mit ihm vorgenommenen Änderungen nachvollzogen werden konnten, musste man gleichzeitig in die geltenden Verträge und im neuen Änderungsvertrag nachlesen. Dadurch war die Arbeit selbst von Fachleuten wesentlich erschwert und für breite Kreise der Bevölkerung blieb der neue Vertrag unverständlich. Die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag hat das Fehlen einer lesbaren Fassung auf schärfste kritisiert. DIE LINKE hat mit einem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, den Bürgerinnen und Bürgern kostenlos eine lesbare Fassung zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig hat die Fraktion einen Antrag zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht, durch den eine Volksabstimmung zum Lissabonner Vertrag ermöglicht wird. Beide Anträge wurden von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Dies ist umso bedauerlicher, weil sich die anderen Parteien in Wahlkampfreden immer für mehr Bürgerbeteiligung aussprechen.

3. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Vertrag von Lissabon wurde dem Deutschen Bundestag am 28 Februar 2008 überwiesen. Die erste Lesung im Plenum fand am 13. März 2008 und die zweite Lesung am 24. April 2008 statt. Auf Initiative der Bundestagsfraktion DIE LINKE wurden im Vorfeld der Plenardebatte drei Expertengespräche zum Lissabonner Vertrag im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union durchgeführt, zu denen auch von der Linksfraktion benannten Experten eingeladen wurden. Mit ihrer Kritik an der Militarisierung der Europäischen Union, an der neoliberalen Ausrichtung der EU-Politik und an dem fortbestehenden Demokratiedefizit auf europäischer Ebene, die mit dem Vertrag von Lissabon festgeschrieben werden, blieb der Fraktion DIE LINKE allerdings allein

DIE LINKE war die einzige Fraktion, die im Deutschen Bundestag gegen den Vertrag von Lissabon abgestimmt hat. Nach unserer Überzeugung ist dieser Vertrag in mehreren Punkten mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar. Daher hat die Bundestagsfraktion DIE LINKE. am 25. Juni 2008 eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Mit freundlichem Gruß

Bodo Ramelow

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Rauschenbach,

vielen Dank für Ihre Frage.
Da sich die Fraktion DIE LINKE. sehr ausführlich mit dieser Thematik beschäftigt hat, möchte ich an dieser Stelle auf ein Positionspapier der Fraktion hinweisen, welches Ihre Fragen ausführlich beantwortet:

DIE LINKE. im Bundestag hatte - vergeblich - in einem Entschließungsantrag (16/7484) gefordert, den Vertragsentwurf nicht zu unterzeichnen, sondern über ihn weiter zu verhandeln. Keinen Erfolg hatte auch ein Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes mit dem Ziel, die Zustimmung zu Veränderungen der vertraglichen Grundlagen der EU von Volksabstimmungen abhängig zu machen (16/7375). Selbst ein Antrag auf Vorlage einer lesbaren Fassung des Vertrags (16/7446) wurde erst verzögert, dann abgelehnt.

Während der Behandlung des Zustimmungsgesetzes zum Vertrag von Lissabon (16/8300) ist es den Mitgliedern der Fraktion DIE LINKE im EU-Ausschuss des Bundestags gelungen, die Durchführung von drei öffentlichen Expertengesprächen zum Inhalt des Vertrags durchzusetzen. Dort wurde trotz Auswahl der Experten nach dem Fraktionsproporz vielfach auch grundsätzliche Kritik am Vertrag geübt. Diese Kritik fand leider nicht die gebührende Beachtung, da alle anderen Fraktionen sich bereits ohne hinreichende inhaltliche Auseinandersetzung entschieden hatten, den Vertrag „durchzuwinken“. Am 24. April 2008 stimmte die große Mehrheit des Bundestags gegen die geschlossen abgegebenen Stimmen der LINKEN und sieben Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion bei einer Enthaltung aus den Reihen der Grünen dem Vertrag von Lissabon zu.

Inhaltlich stimmt der Vertrag von Lissabon fast vollständig mit den Regelungen des gescheiterten Verfassungsvertrags überein. In ihrem Entschließungsantrag vom 23. April 2008 (16/8926) hat DIE LINKE die Kernpunkte der inhaltlichen Kritik zusammengefasst:

„Der Vertrag von Lissabon ist hinter verschlossenen Türen über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürgern hinweg zügig erstellt und durchgesetzt worden. Trotz teilweise erweiterter Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments und einer begrenzten Beteiligung der nationalen Parlamente entspricht der Vertragsinhalt in seiner Gesamtheit nicht den Erfordernissen einer demokratischen, sozialen, friedlichen und umweltbewahrenden europäischen Integration:

* Die Militarisierung durch Aufrüstungspflichten und weltweit ermöglichte militärische Interventionen gefährden den Frieden nach außen und im Inneren.
* Die Festlegung auf die Grundsätze eines neoliberalen Finanzmarktkapitalismus und der Verzicht auf Sozialstaatlichkeit ordnen das Wohl der Menschen dem Profitinteresse der Konzerne unter. Die Chance, durch ein Sozialprotokoll der besonders gewerkschafts- und arbeitnehmerfeindlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) einen Riegel vorzuschieben, wurde bewusst nicht wahrgenommen.
* Vorgeblich zum Schutz der öffentlichen Sicherheit werden hoheitliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zentral ermöglicht ohne erforderliche Gegengewichte und ausreichende parlamentarische Kontrollen.
* Eine weitere Bürokratisierung der Organe der EU, die weiterhin unzureichende demokratische Willensbildung, vor allem das mangelnde Initiativrecht des Europäischen Parlaments, und die in den meisten Mitgliedstaaten fehlende Mitentscheidung der Bevölkerung über Grundfragen der EU widersprechen demokratischen Grundprinzipien.“

Nicht nur die Bundestagsfraktion, auch der Parteivorstand der Partei DIE LINKE. und der Cottbuser Parteitag vom 24./25. Mai 2008 in seinem Leitantrag haben dem Vertrag von Lissabon eine eindeutige Absage erteilt. Trotz massiven Drucks des Regierenden Bürgermeisters und der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin haben es Abgeordnete und Senatsmitglieder der Berliner LINKEN durchgesetzt, dass das Land Berlin als einziges Bundesland dem Vertrag von Lissabon im Bundesrat am 23. Mai 2008 nicht zugestimmt, sondern sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten hat.

Die klare inhaltliche Positionierung gegen den Vertrag von Lissabon und für eine andere, eine friedliche, demokratische, soziale und ökologische Europäische Union, mit der sich DIE LINKE von den anderen im Europaparlament und im Bundestag vertretenen Parteien unterscheidet, wird ein zentraler Punkt in den gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen des Jahres 2009 sein.

Nach dem Scheitern auch des Vertrags von Lissabon bei dem irischen Referendum am 12. Juni 2008 brauchen wir eine Neubegründung der Europäischen Union auf demokratisch und transparent erarbeiteter Grundlage. Es geht um eine Verfassung für eine friedliche, demokratische, soziale und ökologische Europäische Union, wie sie in dem Memorandum von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine umrissen ist.

Zu befürchten ist, dass stattdessen von Seiten der Regierungen der Mitgliedstaaten erneut versucht wird, mit Tricks und Druck den Willen der Völker zu umgehen oder zu manipulieren: Wenn nun die Ratifizierung in allen anderen 26 Mitgliedstaaten erfolgt, ohne jeweils die Bevölkerung anzuhören, um dann Irland zu einem neun Referendum zu zwingen, wird das nicht erfolgreich sein, sondern die Europaskepsis und Europafeindlichkeit vergrößern. Wenn versucht wird, unter der Überschrift „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ die EU zweizuteilen und alles in den Dienst eines „Kerneuropa“ zu stellen, wird Ergebnis eine immer weiterer Desintegration und schließlich die Zerstörung der EU sein.

Die Alternative ist und bleibt ein neues transparent erstelltes und den Interessen der Menschen in der EU gerecht werdendes neues Vertragswerk: Die Europäische Union wird friedlich, demokratisch und sozial sein - oder sie wird nicht sein!

Ich hoffe ich konnte Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen. Das gesamte Positionspapier sowie weitere Informationen zur Thematik erhalten Sie unter dem folgenden Link:
http://www.linksfraktion.de/thema_der_fraktion.php?artikel=1708047568

Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur
Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow

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