Frage an Bodo Ramelow von Jutta R. bezüglich Soziale Sicherung
Wie stehen Sie zu der Riesterrente für Geringverdiener und Hartz IV Empfänger? Es kann doch nicht sein, dass sich diese Betroffenen den Beitrag für die Riesterrente vom Munde und vom Existenzminimum absparen, um sozusagen im Alter den Staat zu unterstützen, zumal der abgeführte Rentenbeitrag, der von den Job-Centern an die Rentenversicherung abgeführt wird, für Alg II Empfänger gekürzt wurde. Dadurch ist eine Kürzung des Existenzminimums oder Reallohnes eingetreten, die Menschen wurden darüber nicht aufgeklärt. Es fand also eine Kürzung der staatlichen Leistungen statt, die die Betroffenen nicht durchschauen konnten. Die Prognosen gehen davon aus, dass später ca. 35 % der Bevölkerung auf Grundsicherung angewiesen sein werden. Es handelt sich also um eine mutwillige Täuschung eines Drittels der Bevölkerung.
Was kann die Linke tun, was empfehlen Sie?
Sehr geehrte Frau Roselt,
Im Zentrum der aktuellen Debatte um die Riesterrente steht die Regelung, dass bei der Grundsicherung im Alter alle Einkommen angerechnet werden. Hierzu zählen auch die gesetzliche Rente und die private Altersvorsorge. Dieser Umstand ist jedoch weder ungewöhnlich noch neu, denn bei der Grundsicherung handelt es sich um die Gewährleistung eines Existenzminimums. Die Debatte lenkt damit von dem eigentlichen Problem des sinkenden Rentenniveaus ab. Interessanterweise sind es dieselben Personen (federführend Prof.Rürup, ehemaliger Vorsitzender gleichnamigen Kommission, die die Vorschläge für die rot-grüne Rentenreform entwickelt hat), die vor einigen Jahren die Privatisierung der Alterssicherung vorangetrieben haben. Heute geriert sich der ehemalige Brandstifter als Feuerwehrmann, wenn der Scharlatan darauf hinweist, was er immer schon wusste: die Riesterrente wird auf die Grundsicherung angerechnet und lohnt sich deswegen gerade für Geringverdiener nicht.
Das aktuelle System der Förderung von privater Vorsorge wird von der Bundesregierung propagiert und bisher mit fast drei Milliarden Euro subventioniert. Die Bundesregierung fordert dabei insbesondere Niedriglohnverdiener auf, sich privat über eine Riester-Rente abzusichern. Sie behauptet sogar, dass sie mit dieser „Zulagenförderung bewusst ein Instrument geschaffen habe, von dem gerade Geringverdiener profitieren“ (DrS 16/6898) Diese Behauptung ist nachweislich falsch, und eine grobe Täuschung gerade derjenigen, die von Altersarmut bedroht sind. Zudem führt die Milliardenförderung zu perversen Effekten: durch die öffentliche Förderung werden die Finanz- und Versicherungswirtschaft und die Besserverdienenden unterstützt. Geringverdienende zahlen jedoch vielfach in ein System ein, aus dem sie nichts rausbekommen. Nutznießer sind neben den Anbietern der Riesterprodukte die öffentlichen Haushalte, deren Leistungen für die Grundsicherung im Alter sich entsprechend reduzieren.
Das Grundproblem der Alterssicherung in Deutschland ist die Absenkung des Leistungsniveaus in der Gesetzlichen Rentenversicherung – GRV- durch die rot-grünen und rot-schwarzen Rentenreformen der letzten Jahre. Ziel der Reformen war die Absenkung des Leistungsniveaus in der gesetzlichen Rente zur Stabilisierung des Beitragssatzes, damit Arbeitgeber die Lohnnebenkosten gering halten können. Die Reduktion des Leistungsniveaus in der GRV soll individuell kompensiert werden über den Aufbau einer privaten Zusatzversicherung, die bei der Riesterrente in Milliardenhöhe staatlich gefördert wird. Faktisch wurden die Kosten für die Alterssicherung durch die Riester-Reform teilprivatisiert; eine Beteiligung der Arbeitgeber findet hier nicht mehr statt.
Die Voraussetzungen zur Erreichung einer gesetzlichen Rente jenseits des Grundsicherungsniveaus steigen damit erheblich an. Die Anzahl der notwendigen Jahre an Beitragszahlungen, um eine Nettorente in Höhe der Grundsicherung zu erreichen, steigt von 28 Jahre für den Durchschnittsverdiener heute auf 34 Jahre in 2030, für eine Person mit 75% der Durchschnittsverdienstes von 37 auf 45 Jahren. Die Rentenreformen führen also unmittelbar dazu, dass zunehmend erwerbstätige BeitragszahlerInnen keine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus mehr bekommen. Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne mindern zudem die Beitragszahlungen in die GRV. Die Deutsche Rentenversicherung hat jetzt berechnet, dass ein heutiger Durchschnittsverdiener 32 Jahre in die GRV einzahlen muss, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu erzielen.
Hier ist der primäre Ansatzpunkte für politische Reformen: das Niveau der öffentlichen Alterssicherung muss gestärkt werden (Lebensstandardsicherung), indem die Renten wieder der Lohnentwicklung folgen. Innerhalb des gesetzlichen Rentensystems sind weiter Lücken zu schließen (Erwerbstätigenversicherung) sowie Maßnahmen des Sozialausgleichs zu etablieren und zu stärken, damit auch Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien oder niedrigen Löhnen über ausreichende Rentenansprüche verfügen. Wichtig für die Vermeidung von zukünftiger Altersarmut ist zudem eine Zurückdrängung der Niedriglohnbeschäftigung über einen garantierten Mindestlohn.
Ein Vorschlag zum Umgang mit dem Problem besteht jedoch darin, dass eine partielle Anrechnungsfreiheit für private und betriebliche Altersvorsorge gefordert wird. Bezeichnenderweise wird diese Forderung aber nicht auf die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erweitert. Ziel hierbei ist es, die private Altersvorsorge gegenüber der gesetzlichen Rente zu privilegieren. Der Teufel soll mit dem Belzebub ausgetrieben werden. Die Stossrichtung des Vorschlags ist klar: es geht um die weitere Zerstörung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung und letztendlich um deren Demontage. An vorderster Front dabei sind die FDP und der Lobbyist der privaten Versicherungswirtschaft Prof. Rürup. Nicht zufällig präsentierte er vor kurzem seinen Vorschlag zur Einführung einer Sockelrente, um vermeintlich das Dilemma für Geringverdienende zu beheben, das er selbst initiiert hat.
Ich hoffe ich konnte Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen. Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow