Frage an Birke Bull-Bischoff von Thomas M. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Bull-Bischoff,
berufliche Bildung ist meines Erachtens ein wichtiger Stützpfeiler der deutschen Wirtschaft. Vielleicht können Sie dem zustimmen.
Berufliche Bildung gerät aus meiner Sicht immer mehr aus dem Fokus. Es gibt 325 anerkannte Ausbildungsberufe in Deutschland, mehr als 20.000 anerkannte Studiengänge. Die Zahl der Auszubildenden geht seit Jahren zurück. Die Hochschulen melden immer neue Rekorde bei Einschreibungen und Abschlüssen. Die Abbrecher-Quoten in der beruflichen, wie in der akademischen Ausbildung steigt und befindet sich seit Jahren auf hohem Niveau. Volkswirtschaftlich und gesellschaftlich m.E. ein riesen Problem. Der Nachwuchsmangel – nicht nur in den Fachberufen – ist immens.
Die Maßnahmen zur Berufsorientierung sind seit mehr als 30 Jahren sehr ähnlich und passen sich in Variationen lediglich dem Mediennutzungsverhalten der Zielgruppe an.
• Welche Positionen beziehen Sie zur beruflichen Bildung v.s. akademischer Bildung?
• Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dem Nachwuchsmangel zu begegnen?
• Haben Sie eine akademische oder/und eine berufliche Ausbildung absolviert?
• Ist eine Berufsorientierung ab der neunten Klasse sinnvoll?
• Sollte eine Berufsorientierung schon früher beginnen?
• Wie betrachten Sie die Möglichkeiten, die das außerschulische Lernen bieten?
• Wie bewerten Sie außerschulische Erfahrungen mit curricularem und beruflichem Bezug für Kinder und Jugendliche.
• Könnten Sie sich vorstellen, dass das außerschulische Lernen verbindlich in den Schulalltag integriert wird – und Teil der Stundentafel wird?
• Heißt für Sie Chancengleichheit im Bildungskontext, dass alle Schülerinnen und Schüler zum Abitur befähigt werden müssen/sollen?
• Heißt für Sie Chancengleichheit im Bildungskontext, dass alle Menschen studieren können sollten?
• Welchen Wert hat die berufliche Bildung, wenn es um Chanchengleichheit geht?
Das sind nur ein paar wenige Fragen, die mich im Bereich d
Lieber Herr Mosebach,
Ihre Einschätzung zur Rolle der Berufsbildung teile ich, vor allem gewährt ein Berufsabschluss eine selbstständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe.
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung interessieren sich 77 Prozent der befragten jungen Menschen für eine Berufsausbildung, gleichzeitig sind 71 Prozent der Meinung es gibt nur schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Das deutet auf eine alarmierende Verunsicherung der jungen Menschen hin.
Sind die Ausbildungsplatzzahlen in der Finanzkrise abgesackt und auf niedrigem Niveau verblieben, ist nach der Corona-Krise ein weiterer Schwund an Ausbildungsplätzen zu befürchten. Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und Unternehmen in Deutschland vormals lange bei 24 Prozent lässt seit Jahren spürbar nach, denn 2019 lag die Ausbildungsbetriebsquote bei 19,6 Prozent. Damit fiel die Anzahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge erstmals auf einen historischen Tiefstand von unter 500.000.
Das Problem des Nachwuchsmangels liegt m.E. nach nicht am mangelnden Interesse der jungen Menschen, sondern an fehlenden Ausbildungsplätzen, hier liegt der Schlüssel für die zukünftige Sicherung von Fachkräften.
Daher setzt sich DIE LINKE für ein Recht auf Ausbildung (Ausbildungsgarantie) ein. Sie strebt dabei die Absicherung diese im Rahmen der betrieblichen Ausbildung an, indem gesetzliche geregelte Ausbildungsfonds im Berufsbildungsgesetz verankert werden, um einen fairen finanziellen Ausgleich zwischen ausbildenden und nicht-ausbildenden Betrieben herzustellen. So lässt sich mit hochwertiger betrieblicher Ausbildung der Nachwuchs sichern.
Ich selbst habe eine akademische Ausbildung absolviert.
Beide Bildungsbereiche, berufliche und akademische Bildung, sind für die Wirtschaft enorm wichtig und für Arbeitgeber ist die Qualifizierung in beiden Bereichen oft der Königsweg. Daher sollte es in Zukunft mehr hybride Formate wie die studienintegrierte Ausbildung und das duale Studium geben.
Der Schlüssel ist die gleichwertige Durchlässigkeit in beide Richtungen. Bspw. die Anerkennung und Begleitung von beruflich Qualifizierten im Studium und die verbesserte Anerkennung und Anrechnung von Studienleistungen bei Studienabbruch in der beruflichen Aus- oder Weiterbildung.
Es ist eine Errungenschaft der Chancengleichheit, dass heute mehr junge Menschen das Abitur erreichen. Es sollte vom Anspruch her jede/r studieren können, der/die möchte. Die Bildungswege und heutigen Möglichkeiten lassen dies grundsätzlich zu, wenngleich bei der Durchlässigkeit Verbesserungsbedarf besteht. Heute ist die Entscheidung für Berufsausbildung oder Studium nicht mehr `ein entweder oder´, sondern kann ein sowohl als auch´ sein und die Reihenfolge wird immer weniger relevant. Weiterbildung und Weiterbildungskultur werden in Zukunft im Rahmen der Bildungsbereiche eine wichtige Rolle spielen. Berufsbildung ist gleichwertig und die praktische Fachlichkeit in den Unternehmen für die Wirtschaft unerlässlich.
Nach meiner Auffassung kann die Berufs- und Studienorientierung nicht früh genug beginnen. In den Empfehlungen der Enquetekommission Berufliche Bildung wird empfohlen in allen Schulformen so früh wie möglich spätestens ab Klasse 8 mit Berufsorientierung zu beginnen, außerdem wird ein fakultatives Unterrichtsfach gefordert.
Wie Sie vielleicht wissen, fordere ich „Neue Schule braucht das Land“, in diesem Zusammenhang aber auch als Alternative zu Home-Schooling fordere ich die außerschulischen Angebote stärker in die Schulen zu integrieren, miteinander zu kooperieren bzw. mehr davon wahrzunehmen, damit mehr Lebensweltlicher Bezug und Praxis im Schulalltag ankommt. Die außerschulischen Angebote, die ich in letzter Zeit bei Gesprächen mit Projekten, Bildungsträger und Verbänden kennenlernen konnte, sehe ich u.a. als „Systemsprenger“ um eine neue Schulkultur zu schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Birke Bull-Bischoff