Frage an Birgitt Bender von Claus F. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bender,
in der medizinischen und komplementärmedizinischen Forschung gibt es seit einigen Jahren einen konstruktiven Streit dahingehend, in welchem Maße bisherige Bewertungsmaßstäbe (u. a. Reviews randomisierter klinischer Studien) geeignet sind, neben der WIRKUNG einer Intervention (Effektivität) auch den NUTZEN (Effizienz) einer Maßnahme zu belegen.
Werden diese Themen diskutiert, so vermengen sich nicht selten fachliche, weltanschauliche und kommerzielle Interessen in einer Weise, die für Beobachter intransparent ist. Für Unternehmen der Pharmaindustrie besteht z. B. die Möglichkeit, über die Beeinflussung der Forschungsmethodik und der Bewertungsmaßstäbe auch gesundheitsferne Interessen durchzusetzen.
Verschiedene Entwicklungen sprechen nach meiner Beobachtung für die Möglichkeit, dass das "freie Spiel der Kräfte" (Wissenschaft, Cochrane, Wissenschaftspublizistik, Verbände etc.) nicht verhindern kann, dass gesundheitsferne Interessen durchgesetzt werden.
Daher meine Frage:
Sehen Sie eine Möglichkeit, dass die hier angesprochene Problematik von politischer Seite her einmal systematisch, professionell und pluralistisch untersucht und bewertet wird?
Beispielsweise um zu klären, welche forschungsmethodischen Fragen intensiv diskutiert werden und eine erhebliche kommerzielle Auswirkung haben ... und welche Möglichkeiten für Interessengruppen bestehen, Einfluss zu nehmen und gesundheitsferne Interessen durchzusetzen.
Auf der Grundlage einer seriösen Bestandsaufnahme könnte dann geprüft werden, ob es hier (ähnlich wie rund um Investmentbanking und Finanzderivate) eine Veränderung der Spielregeln und ihrer Überwachung bedarf.
Ihre Meinung hierzu interessiert mich sehr!
Beste Grüße
Claus Fritzsche
Links zum Thema:
Randomisierte klinische Studien (RCT):
http://www.psychophysik.com/h-blog/?p=828
Cochrane und wirtschaftliche Interessen:
http://www.psychophysik.com/h-blog/?p=1774
Sehr geehrter Herr Fritzsche,
Sie schneiden in Ihrer Frage einen sehr wichtigen Aspekt der Bewertung von Behandlungsoptionen (seien es Arzneimittel, Operationen oder die Krankengymnastik) an. Aus meiner Sicht müssen alle Beteiligten im Gesundheitswesen – ÄrztInnen und andere AnbieterInnen, Krankenkassen, PatientInnen und Versicherte ein großes Interesse daran haben, dass die Behandlung von Krankheiten auf einer größtmöglichen Evidenz basieren. Daher erscheint mir eine „richtig“ angewendete Leitlinienbehandlung sinnvoll – es geht nicht um ein unhinterfragtes Abarbeiten der Leitlinie, sondern diese muss in Bezug gesetzt werden auf die konkrete Patientin/ den konkreten Patienten und seine Situation.
Wir Bündnisgrünen sind diejenige Fraktion, die sich der Frage nach Ansätzen des Wirksamkeitsnachweises auch im Bezug auf die Komplementärmedizin widmen. So waren wir als einzige Fraktion auf der Tagung des Gesundheitspolitischen Forums „Wer bestimmt den Nutzen der medizinischen Versorgung“ (Berlin 26.11.08) vertreten.
Im April dieses Jahres haben wir als Fraktion ein Fachgespräch „Komplementärmedizin auf dem Prüfstand“ durchgeführt, dass die Frage nach der Bewertung komplementärmedizinischer Ansätze aufgreift. Dabei sind wir den Chancen und Grenzen sowohl der Evidenz- als auch Cognition-based Medicine nachgegangen. Darüberhinaus sind wir der Frage nachgegangen, ob der Gemeinsame Bundesausschuss in der Schmerztherapie (Akupunktur und Schulmedizin) mit zweierlei Maß misst. Weitere Informationen und die Möglichkeit, Unterlagen zugemailt zu bekommen finden Sie unter:
Aus den Schlussfolgerungen der Veranstaltung möchte ich einen Ausschnitt zitieren: „Wichtig ist, dass man sich innerhalb des Gesundheitssystems auf gemeinsame Spielregeln der Bewertung von Behandlungsformen einigt. Dies kann die Politik nicht übernehmen, wir können uns jedoch dafür einsetzen, dass diese Fragen auf die Tagesordnung gesetzt werden oder Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass z.B. der Sachverstand der Komplementärmedizin stärker in die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses einbezogen wird.
Wir Grünen werden uns auch weiterhin für die Methodenvielfalt in der Gesundheitsversorgung einsetzen und dafür, dass die komplementärmedizinischen Verfahren ihren Platz ausbauen können. Dazu ist es notwendig, sich von den Kulturkämpfen zwischen der Schul- und Komplementärmedizin zu verabschieden und stattdessen gemeinsame Spielregeln der Wirksamkeitsprüfung zu verabreden.“
Weiterhin versuchen wir uns dafür einzusetzen, dass das Stiefkind der deutschen medizinischen Forschungslandschaft – die Versorgungsforschung – einen höheren Stellenwert gewinnt. Die Versorgungsforschung, bei der die Methodenentwicklung mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist, könnte ein Ansatzpunkt sein, an dem Komplementär- und Schulmedizin sich gemeinsam auf den Weg machen, um der Frage nach dem individuellen Nutzen einer Behandlungsmethode stärker auf den Grund zu gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender, MdB
Gesundheitspolitische Sprecherin
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen