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Birgitt Bender
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Frage von Angelika B. •

Frage an Birgitt Bender von Angelika B. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Bender,

Ich bin ein wenig irritiert von der Gesundheitspolitik hierzulande.
Zuerst wird den Ärzten untersagt, nicht verschreibungspflichtige Medikamente an Patienten zu verschreiben, um die Kosten der Krankenkassen für Medikamente zu vermindern. Es hat aber gar nichts genutzt, die Kosten für Medikamente steigen unaufhörlich.
Meines Erachtens müssen die Ärzte bei ungefährlichen Krankheiten immer Nebenwirkungsreichere Medikamente verschreiben.
1. sind die verschreibungspflichtigen Medikamente oft teurer wie einfache pflanzliche Mittel
2. Werden oft noch weitere Mittel zur Bekämpfung der Nebenwirkungen benötigt.

gibt es eine Arbeitsgruppe, die diese Situation einmal genauer untersucht und evt. einen anderen Kurs vorschlägt?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Buchholz

Ärztinnen und Ärzte können auch weiterhin nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verschreiben. Allerdings müssen ab dem 13. Lebensjahr - in Ausnahmefällen ab dem 19. Lebensjahr - in den allermeisten Fällen die Kosten für diese Arzneimittel von den PatientInnen selbst getragen werden. Dies muss nicht unbedingt eine finanzielle Mehrbelastung sein, da es etliche Medikamente gibt, die kaum oder gar nicht teurer sind als der Zuzahlungsbetrag.

Die mit der Gesundheitsreform 2004 vorgenommene Herausnahme verschreibungsfreier Arzneimittel aus der Erstattungsfähigkeit durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern als Bedrohung für die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen wahrgenommen. Da der größte Teil der natürlichen Arzneimittel verschreibungsfrei sei, müssten die PatientInnen künftig fast alle Naturarzneimittel selbst bezahlen. Ausweichreaktionen hin zu chemischen Arzneimitteln, die auch weiterhin durch die GKV getragen werden, seien wahrscheinlich. Bündnis 90/Die Grünen haben diese Befürchtungen geteilt und haben deshalb innerhalb des Gesetzgebungsprozesses frühzeitig Ausnahmeregelungen für Naturarzneimittel gefordert. In dem von den Koalitionsfraktionen im Juli 2003 in den Bundestag eingebrachten Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz waren neben den Sonderbestimmungen für Kinder und behinderte Jugendliche auch Ausnahmeregelungen insbesondere für die homöopathischen und anthroposophischen Arzneimittel vorgesehen. In den Konsensverhandlungen mit den Fraktionen der SPD und CDU/CSU zur Gesundheitsreform im Sommer 2003 konnten diese Ausnahmeregelungen trotz unserer heftigen Einwände leider nicht gehalten werden.

Ausgenommen von dieser grundsätzlichen Regelung der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung sind Kinder bis zum 12. Lebensjahr sowie Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Entwicklungsstörungen bis zum 18. Lebensjahr. Arzneimittel für diesen Personenkreis sind weiterhin zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Über diese Ausnahmeregelungen hinaus konnten wir erreichen, dass verschreibungsfreie Arzneimittel weiterhin erstattet werden, sofern diese bei der Behandlung schwerer Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen erhielt den gesetzlichen Auftrag, eine entsprechende Ausnahmeliste mit den definierten schweren Erkrankungen und den dazugehörigen verschreibungsfreien Medikamenten zu beschließen. Klare Vorgabe war, die Therapievielfalt zu gewährleisten, also Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen (Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie) zu berücksichtigen.

Die vom G-BA beschlossene Ausnahmeliste ("OTC-Liste") nennt mehrere Dutzend schwere Erkrankungen mit den dazugehörigen verschreibungsfreien Medikamenten, die als Behandlungsstandard gelten. So kann der Arzt z.B. bei Herzerkrankungen auch weiterhin Aspirin auf Kassenkosten verordnen. Die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen werden berücksichtigt. So werden an pflanzlichen Präparaten auch Johanniskraut zur Behandlung mittelschwerer Depressionen und Ginkgoblätter-Extrakt zur Behandlung der Demenz genannt. Eine weitgehende Regelung gibt es für homöopathische und anthroposophische Arzneimittel. Bei allen Erkrankungen, für die rezeptfreie Medikamente erstattet werden, können auch Arzneien der Anthroposophie und Homöopathie verordnet werden. Damit ist es uns gelungen, den Grundsatz der Therapievielfalt innerhalb des Krankenversicherungsrechts zu erhalten.

Die gesetzliche Krankenversicherung kann nur solche Behandlungsmethoden und Arzneimittel finanzieren, deren Wirksamkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist. Dieser Grundsatz muss selbstverständlich auch für die Heilmethoden und Arzneimittel der Komplementärmedizin gelten. Wir lehnen allerdings die weit verbreitete Haltung ab, dass Wirksamkeitsprüfungen ausschließlich über randomisierte und placebo-kontrollierte Doppelblindstudien (wissenschaftliche Studien, in deren Rahmen z.B. Arzneimittel getestet werden) erfolgen könnten. Diese Haltung ignoriert die methodischen Grenzen dieser Studien und auch die besondere Wirkungsweise komplementärmedizinischer Behandlungsformen. Wir treten für vielfältige Nachweisverfahren ein, in die z. B. auch die Nutzenbewertung aus Sicht des/der einzelnen PatientInnen einfließt.

Wir haben als grüne Bundestagsfraktion diese Fragestellung aufgegriffen. Nähere Informationen zu unserem Fachgespräch "Komplementärmedizin auf dem Prüfstand" finden Sie unter:
http://www.gruene-bundestag.de/cms/gesundheit/dok/230/230375.komplementaermedizin_auf_dem_pruefstand.html

Diese Diskussion voranzutreiben erscheint uns in der aktuellen Situation sinnvoll. Ein Beharren auf einer bundesweiten Positivliste - einer Liste mit allen Medikamenten, die von den gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden können - erscheint nach zweimaligem Scheitern wenig erfolgversprechend.

Mit freundlichen Grüßen

Biggi Bender MdB