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Birgitt Bender
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Frage von Holger D. •

Frage an Birgitt Bender von Holger D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Bender,

warum sind Sie, aber vermutlich auch Ihre Partei, für einen Nachzug von muslimischen Frauen, die kein Deutsch können und in vielen Fällen deutlich unter 18 sind? In meinem Umfeld gibt es nun immer mehr junge Frauen (eigentlich Mädchen), die mit Kopftuch oder noch drastischer unterdrückt Ihre Männer begleiten. Wenn ich eine Frau wäre, würde mir die aktuelle Entwicklung, die Sie vermutlich nicht wirklich kennen, weil Sie sicher nicht in einem Stadtteil leben (müssen), wo es viele muslimische Migranten gibt, doch sehr zu denken geben. Wer hätte das gedacht, dass Frauenunterdrückung wie im Mittelalter bei uns toleriert wird...Erst neulich wurde einer türkischen Frau an einer Dönerbude, die ganz in meiner Nähe ist, erst in den Arm geschossen, anschließend in den Kopf...Deutschland ist, das muss man sagen, einfach unglaublich tolerant. Da hat man mehr Verständnis mit dem Täter, der, oh Gott, doch nicht einfach so abgeschoben werden darf, nicht?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dannat,

vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst einmal: Für Gewalt - egal von wem und gegen wen - gibt es keine Toleranz. Wer Gewalttaten begeht, muss mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen, unabhängig von Staatsbürgerschaft oder Herkunft. Wir sind der Auffassung, dass gleiche Rechte und Pflichten für alle gelten sollen. Darum kritisieren wir aber auch Sondersanktionen durch das Ausländerrecht.

Maßstab ist für uns das Grundgesetz. Sich daran zu halten, erwarten wir auch von Ausländern. Gerade weil wir das Grundgesetz ernst nehmen, wenden wir uns aber auch gegen die jüngst erfolgte Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes, mit der das in unserer Verfassung geschützte Recht, mit dem Ehepartner der Wahl zusammenzuleben, eingeschränkt wird. Bei der Beschränkung des Familiennachzugs ist nicht das Mindestalter 18 Gegenstand unserer Kritik. Wir sind aber in der Tat der Auffassung, dass es falsch ist, Deutschkenntnisse schon vor der Einreise zur Bedingung für das eheliche Zusammenleben zu machen.

Auch wir halten es für unverzichtbar, dass ausländische Ehepartner Deutsch lernen. Das kann aber viel besser in Deutschland erfolgen. So ist es ja auch vorgesehen in den von Rot-Grün eingeführten Integrationskursen, die gleich nach dem Zuzug verbindlich sind. Dieses Kurssystem gilt es auszubauen. Das Geld, dass nun in ein umständliches Prüfverfahren im Ausland verpulvert wird, wäre in den hiesigen Integrationskursen viel sinnvoller investiert. In den Integrationskursen können Frauen auch über ihre Rechte informiert werden. Die Rechte von Frauen und insbesondere Migrantinnen waren und sind den Grünen sehr wichtig. Darum gehörten wir auch zu den ersten, die Themen wie Zwangsverheiratung und Morde im Namen der Ehre im Bundestag bearbeitet haben.

Die ausführlichen Dokumentationen unserer entsprechenden Anhörungen von 2003 und 2005 stehen im Netz unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/archiv/dokbin/44/44023.zwangsheirat.pdf und http://www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/89/89963.ehrenmorde_veranstaltungsdokumentation.pdf . Unter grüner Regierungsbeteiligung ist im Strafgesetzbuch klargestellt worden, dass Zwangsverheiratung eine besonders schwere Form der Nötigung darstellt. Es drohen bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe (§ 240b StGB). Wir haben zudem das eigenständige Aufenthaltsrechts von Ehepartnern gestärkt. Früher waren nachgezogene Frauen 4 Jahre aufenthaltsrechtlich von ihrem Mann abhängig, d.h. im Fall der Scheidung drohte ihr die Abschiebung. Diese Frist wurde unter Rot-Grün auf 2 Jahre verkürzt.

Mit dem Erreichten geben wir uns aber nicht zufrieden. Die Rechte der betroffenen Frauen müssen weiter gestärkt werden, die Prävention und die Opferhilfe ausgebaut werden. Zudem muss verhindert werden, dass hier lebende junge Migrantinnen zur Verheiratung ins Ausland verschleppt werden. Sie brauchen zumindest eine gesicherte Rückkehrmöglichkeit, damit es nicht heißt: 6 Monate nicht bei der Ausländerbehörde gewesen, also gibt es kein Aufenthaltsrecht mehr.

Unseren entsprechenden Antrag "Zwangsverheiratung bekämpfen - Opfer schützen" (Bundestagsdrucksache 16/61) finden sie im Netz unter: http://www.dip1.btg/btd/16/000/1600061.pdf .
Leider hat Schwarz-Rot den Antrag in den Ausschüssen bisher abgelehnt und auch sonst nichts zu bieten, wenn es um tatsächliche Problemlösungen geht. Nicht einmal verbindliches EU-Recht ist die Koalition bereit umzusetzen, um den betroffenen Frauen zu helfen. In Deutschland ist es den nachgezogenen Ehefrauen gesetzlich zwei Jahre lang verboten, zu arbeiten. Nach EU-Recht darf die Beschränkung höchstens 12 Monate betragen.

Von Gewalt betroffene Migrantinnen brauchen keine Krokodilstränen, sondern Rechte und konkrete Hilfe. Mit markigen Sprüchen, die vor allem der Profilierung gegenüber deutschen Wählern dienen, die entsprechenden Communities aber nicht erreichen, ist den betroffenen Frauen nicht geholfen. Es ist schon seltsam, dass christdemokratische Politiker, gegen die die Gleichberechtigung von Frauen mühsam erkämpft werden musste (zur Erinnerung: noch in den 70er Jahren durfte eine Frau in der Bundesrepublik ohne Zustimmung ihres Mannes kein Konto eröffnen), sich nun zu den Rettern der muslimischen Frauen aufspielen. In der Sache fällt ihnen aber offenbar nichts anderes ein, als diesen Frauen den Zuzug nach Deutschland zu verweigern. Wir sind der Auffassung, dass sich die Position muslimischer Frauen nur mit ihnen verbessern lässt, nicht gegen sie.

Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender