Frage an Birgitt Bender von Martin E. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bender,
mich würde interessieren, weshalb es bei der Organspende in Deutschland noch immer die Zustimmungsregelung gibt und nicht die Widerspruchslösung.
Weshalb wurde das nicht längst geändert und wer hat ein Interesse daran, dass alles so bleibt wie es ist ?
Liebe Grüße,
Martin Eggers
Sehr geehrter Herr Eggers,
niemand hat ein Interesse daran, dass alles so bleibt wie es ist. Die zentrale Frage ist jedoch, ob die Widerspruchslösung tatsächlich eine Lösung für das Problem der geringen Zahl von Organspenden in Deutschland darstellt.
Ausgelöst wurde die aktuelle Diskussion durch den Vorschlag des Nationalen Ethikrat. Dessen Stufenmodell zur Regelung der Organspende wäre faktisch ein radikaler Wechsel weg von der „erweiterten Zustimmungsregelung“ hin zur „Widerspruchsreglung“. Für mich ist der Vorschlag des Nationalen Ethikrates ein Anschlag auf das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das auch beinhaltet, sich mit bestimmten Fragen nicht auseinander zu setzen. Die dahinter liegende Logik beinhaltet ein „gesellschaftliches“ Zugriffsrecht auf Menschen im Sterbeprozess. Ich wende mich klar gegen einen derartigen Automatismus der Verfügbarkeit. Paradox wird es aus meiner Sicht, wenn eine Widerspruchsregelung als Ausdruck von Autonomie verkauft wird. Es ist kein Ausdruck von Selbstbestimmung, wenn ich gleichsam zur Wahrnehmung meines Rechtes gezwungen werde.
Mit der Ablehnung des Vorschlags des Nationalen Ethikrates stehen weder ich noch die grüne Bundestagsfraktion alleine. Auch aus SPD und Union kam umfassende Kritik, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung. Auf der einen Seite die Bedrohung des Selbstbestimmungsrechts auf der anderen Seite die Furcht um die Verletzung der Menschenwürde. Nichtsdestotrotz wird die Widerspruchslösung in einigen europäischen Ländern praktiziert.
Jedoch lautet die zentrale Frage: Ist die „erweiterte Zustimmungsregelung“ überhaupt das Problem, welches angegangen werden muss oder sind es nicht völlig andere, wie die Organisation der Transplantationskette, die Honorierung von Organentnahmen, die Qualität der Gespräche mit Angehörigen oder die Einstellung der Bevölkerung zur Organtransplantation. Sowohl nationale als auch internationale Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Aspekte die zentralen sind, um die Organspendenquote zu erhöhen.
Irland macht z.B. deutlich, dass auch mit einer erweiterten Zustimmungsregelung eine hohe Spendenbereitschaft möglich ist. Statt 13,8 Spenden pro eine Millionen Einwohnerinnen und Einwohner lautet die irische Zahl 21,1. Sie liegt deutlich höher als in Ungarn (16,1), wo eine Widerspruchregelung gilt. Auch innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede: Mecklenburg-Vorpommern weist hohe Spendenzahlen (25,9) auf, da es dort eine funktionierende Zusammenarbeit von Krankenhäusern und Transplantationszentren gibt. Schweden hat in den letzten Jahren mehrfach zwischen den Logiken Zustimmung bzw. Widerspruch gewechselt – jeweils ohne Auswirkungen auf die Zahl der Organspenden. Notwendig sind strukturelle Veränderungen. Spanien und Mecklenburg-Vorpommern machen es vor: Politik, Kliniken sowie Ärzteorganisationen ziehen an einem Strang. Es gibt professionelle Strukturen und Verantwortliche in den Kliniken. So sehen Lösungen aus! Stattdessen schlägt der Nationale Ethikrat eine Scheinlösung vor, die die Organisationsprobleme der Organspende eher noch verstärkt, als löst.
Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
Bündnis 90/Die Grünen