Frage an Birgitt Bender von Ullrich M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bender,
im SWR Fernsehen am 13.09.12,20.15 h wurden sie wegen der Zweiklassenmedizin und den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Wartezeiten von Privat- und GKV- Patienten zitiert.
1.) ist dieses Thema nicht schon so ausgelutsch, das es Ihnen nur noch als letzter Strohhalm der Profilierung dient ?
2.) Ist Ihnen bewusst, dass Privatpatienten das zwei bis drei-fache an Beiträgen gegenüber GKV- Versicherten bei gleicher (!) Leistung bezahlen müssen ?
3.) Ist Ihnen bekannt, dass Privatpatienten regelrecht geschröpft werden, da ja ein Vertragsverhältnis Patient- Arzt und nicht Arzt- Krankenkasse besteht. Unregelmässigkeiten der Ärzte verfolgt die GKV im Interesse der Beitragszahler. Den Privatkassen ist das Abrechnungsverhalten der Ärzte egal, der überforderte Privatpatient hat das Risioko der Privatklage, steht also vollkomen alleine da, vor allem wenn er kein Geld zum Klagen hat..
4.) finden Sie es in Ordnung, wenn ein Arzt einen an sich harmlosen Fragebogen über den Patienten "auswertet", dafür 50,- € kassiert, dem Patient aber die "Auswertung" vorenthalten wird ?
5.) Wäre es nicht an der Zeit, daß Sie sich den Realitäten- der Profithascherei- im Gesundheitswesen stellen ?
Viele Grüsse von einem kleinen Privatpatienten, der eine Bevorzugung der Privaten nur bei der Rechnunsstellung erfahren hat.
Sehr geehrter Herr Müller,
danke für Ihre Fragen. Das Thema Wartezeitenunterschiede ist nicht "ausgelutscht", wie Sie es formulieren. Es hätte sich ja nur dann erledigt, wenn es keine nennenswerten Unterschiede bei den Wartezeiten mehr gäbe. Doch das ist offenkundig nicht der Fall. Mit meinem Verständnis von Versorgungsgerechtigkeit und mit dem gesetzlichen Anspruch auf Versorgung nach medizinischer Notwendigkeit und Dringlichkeit ist diese Ungleichbehandlung nicht in Einklang zu bringen.
Ein Versicherter/eine Versicherte sollte keinen Anspruch auf einen früheren Termin erwerben, wenn seine/ihre Krankenversicherung ein höheres ärztliches Honorar zahlt. Das widerspricht dem Solidarprinzip – eines der herausragenden Elemente der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), auf das auch unser Konzept einer grünen Bürgerversicherung (siehe unter http://www.gruene-bundestag.de/cms/gesundheit/dok/212/212303.buergerversicherung_eine_fuer_alle.html) aufbaut. Das heißt unter anderem: Alle Versicherten werden künftig entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Krankenversicherung herangezogen, die Beiträge werden also einkommensabhängig gestaltet und dazu werden alle Einkommensarten herangezogen. Der Umfang und die Qualität der medizinischen Leistungen werden gleichzeitig auch für die PKV-Versicherten nicht mehr abhängig sein von der Höhe der gezahlten Beiträge bzw. vom ausgehandelten Versicherungsvertrag. Die deutlich unterschiedliche ärztliche Honorierung durch GKV und PKV, die Sie ansprechen, ist ja gerade der Grund für die Ungleichbehandlung. Diesen Fehlanreiz möchten wir Grünen mit einer einheitlichen Honorarordnung beseitigen.
Wer sich privat krankenversichert, riskiert so einiges: steigende Prämien im Alter (für nicht wenige Menschen bis hin zur existenziellen Gefährdung), steigender Selbstbehalt (häufig als Ausweg aus den steigenden Prämien), diagnostische und therapeutische Überversorgung in der Arztpraxis (mitunter mit gesundheitlichen Risiken verbunden), das finanzielle Risiko, auf Rechnungsanteile sitzen zu bleiben und einiges mehr. Wären die heute Privatversicherten wahrheitsgemäß von Versicherungsvermittlern aufgeklärt worden, hätten sich viele von ihnen sicher nicht für die PKV entschieden. Doch die sehr hohen Provisionen sind offensichtlich geeignet, Versicherungsmakler zu einer einseitigen Darstellung der Vor- und Nachteile eines Wechsels zu einer privaten Krankenversicherung zu verführen. Gleichermaßen klingen Lockangebote der PKV (Billigtarife) für viele Menschen mit geringeren Einkommen sehr verführerisch.
In ihrem vierten Punkt sprechen Sie vermutlich die sogenannten Anwendungsbeobachtungen an. Dieser Begriff umschreibt die Praxis von Pharmaunternehmen, Ärztinnen/Ärzte für eine Dokumentation der Wirkungen und Nebenwirkungen von verordneten Arzneimitteln bei ihren PatientInnen zu honorieren. Diese Anwendungsbeobachtungen waren zumindest in der Vergangenheit methodisch unbrauchbar, weil ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch. Solche Pseudo-Studien sind verzichtbar und ein großes Ärgernis, auch weil damit – diplomatisch formuliert - Ärztinnen/Ärzte ein finanzieller Anreiz gegeben wird, ganz bestimmte Arzneimittel zu verordnen. Selbstverständlich sollte hier ein anspruchsvolles Studiendesign im Sinne von Mindeststandards zur Bedingung gemacht werden. Wir setzen uns dafür ein, dass die PatientInnen im Vorfeld über die Ziele von Anwendungs- bzw. Unbedenklichkeitsstudien und über die Konsequenzen einer Teilnahme aufgeklärt werden und erst nach ihrer ausdrücklichen Zustimmung einbezogen werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse einer solchen (anspruchsvollen) Anwendungsbeobachtung sind aus grüner Sicht verbindlich zu veröffentlichen und natürlich an die Ärztinnen/Ärzte und auf Wunsch auch an die einzelnen PatientInnen zurückzuspielen, damit sie für die weitere Behandlung berücksichtigt werden können. Hierzu haben wir bei den Beratungen der letzen AMG-Novelle einen Änderungsantrag eingebracht (siehe S. 84/85 der Bundestags-Drucksache 17/10156: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/101/1710156.pdf).
Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender