Frage an Birgitt Bender von Matthias F. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bender,
Sie sind Obfrau und Mitglied im Bundestags-Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung. Der aktuelle SPIEGEL vom 08.08.2005 (Heft 32) widmet der Gesundheitspolitik zwei ausführliche Artikel: Unter der Serie "Wege aus der Krise" den Artikel "Vampire in der Blutbank" (S. 46) und auf S. 54: "Korrupt bis auf die Knochen". Tenor beider Artikel ist es, dass vorrangiger Handlungsbedarf auf der Ausgabenseite, nicht auf der Einnahmenseite des Gesundheitswesens bestehe. Jeder Wettbewerb werde im Keim erstickt, durch ein System, das Korruption geradezu herausfordere (das haben lt. Artikel sogar Gerichte schon mehrfach bei der Strafzumessung der Korruption oder des Betrugs überführter Ärzte strafmildernd anerkannt): Z.B. treiben die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren üppig bezahlten Funktionären die Rechnungen der Ärzte ihres Gebietes anonymisiert bei den Krankenkassen ein, was dazu führt, dass die Krankenkassen keinerlei Qualitäts- oder auch nur Plausibilitätskontrolle durchführen können, um Betrug vorzubeugen.
Sie, die GRÜNEN, versprechen in ihrem Wahlprogramm mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem einführen zu wollen. Das entspricht der SPIEGEL-Diagnose/-forderung. Nur: Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie mehr Wettbewerb herstellen? Dazu fand ich keine Zeile in Ihrem Wahlprogramm.
Der SPIEGEL zitiert Experten wie die Wirtschaftsweisen, die folgende Maßnahmen vorschlagen (S. 50):
- Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen als Anbietermonopol. Krankenkassen dürfen Einzelverträge mit Ärzten und weiteren neuen Medizinerverbünden schließen.
- Das System der gesetzl. Krankenkassenarten wird zerschlagen. Fusionen z.B. zwischen Betriebs- und Ersatzkasssen wird erlaubt. Ziel: Reduktion der kostenträchtigen großen Anzahl von Kassen.
- Die gesetzl. Krankenkassen bekommen größeren Spielraum bei der Verhandlung mit Ärzten, Apothekern und Pharmakonzernen
- Haftungsregeln für Vorstände gesetzl. Krankenkassen werden verschärft
- Der Finanzausgleich zwischen den gesetzl. Krankenkassen wird begrenzt, um den Wettbewerb zwischen den Kassen zu verschärfen.
- Die gesetzliche Preibindung für verschreibungspflichtige Medikamente entfällt, um den Wettbewerb zwischen Apotheken zu entfachen.
- Wettbewerbsrestriktionen zwischen Apothekern (Begrenzung der Zahl der Filialen) werden abgeschafft.
- Rezeptfreie Medikamente dürfen außerhalb von Apotheken (natürlich ohne Preisbindung) verkauft werden.
- Krankenhäuser weiden weitgehend privatisiert, weil private Kliniken bereits in der Vergangenheit bewiesen haben, effizienter zu wirtschaften, ohne dass die Patientenversorgung schlechter wäre.
- Die pauschale Praxisgebühr wird durch eine (nach oben begrenzte) prozentuale Kostenbeteiligung der Patienten ersetzt, um bei diesen den Anreiz zur Niedrighaltung der Kosten (z.B. Anreiz Doppeluntersuchungen zu vermeiden; beim jetzigen System besteht kein Anreiz zum Niedrighalten der Kosten, wenn die pauschale Praxisgebühr erst einmal für ein Quartal bezahlt wurde).
Wie stehen Sie persönlich zur Diagnose des SPIEGELs (die Ausgaben- nicht die Einnahmenseite ist am meisten reformbedürftig)? An welche Maßnahmen denken Sie persönlich als gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei, wenn Sie eine Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitssystem in ihrem Wahlprogramm versprechen? Warum steht nichts von diesen Maßnahmen im Wahlprogramm? Wie stehen Sie zu den konkreten oben aufgezählten Expertenvorschlägen, um den Wettbewerb anzukurbeln?
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Falk
Sehr geehrter Herr Falk,
danke für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an der Gesundheitspolitik von Bündnis 90/Die Grünen.
Aufgrund des grünen Einsatzes ist es in der Gesundheitsreform gelungen, etwas mehr Wettbewerb auf der Leistungsanbieterseite zu ermöglichen. Ohne die Grünen gäbe es keine Integrierte Versorgung (verbunden mit Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und verschiedenen Anbietern), keine Öffnungsmöglichkeiten der Krankenhäuser für ambulante Leistungen oder die Möglichkeit, mehrere Apotheken zu besitzen. Bereits diese ersten Schritte zu mehr Wettbewerb auf der Seite der Leistungserbringer waren heiß umkämpft – mehr war gegen den Widerstand der Opposition, die Wettbewerb nur solange einfordert, wie ihre eigene Klientel nicht betroffen ist, nicht durchzusetzen.
Für uns Bündnisgrüne war und ist die Forderung nach einer Bürgerversicherung immer auch kombiniert mit der Forderung nach Veränderungen auf der Anbieter- oder Leistungserbringerseite. Diese finden Sie übrigens auch in unserem Wahlprogramm: „Mehr Wettbewerb zwischen den Kassen in einem einheitlichen Wettbewerbsrahmen und mehr Wettbewerb zwischen Leistungsbringern zugunsten der Patientinnen und Patienten ist dabei sinnvoll.“ Im Gegensatz zu den Wahlprogrammen der anderen Parteien finden sie im grünen Wahlprogramm auch konkrete Vorstellungen, wie ein zukünftiges Gesundheitssystem aussehen soll. Im Zusammenhang mit der Frage nach mehr Wettbewerb auf der Ausgabenseite wird gefordert, dass „die ambulante und die stationäre Versorgung besser verzahnt und die integrierte Versorgung weiter ausgebaut“ werden soll.
Im Folgenden finden Sie Anmerkungen zu verschiedenen der vom Spiegel zitierten Forderungen der Wirtschaftsweisen:
• Wir haben uns im Rahmen der Gesundheitsreform für die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen eingesetzt. Die Praxis zeigt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen hier jedoch eher blockieren. Hier ist zu überprüfen, ob statt dreiseitiger Verträge nicht zweiseitige zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen ausreichen.
• Wir teilen die Einschätzung, dass kassenartenübergreifende Fusionen ermöglicht werden sollen. Die Tendenz ist übrigens eindeutig: Statt 1146 gesetzlicher Krankenkassen im Jahr 1994 gibt es heute deutlich weniger – 267 waren es Anfang 2005. Diese Entwicklung wird sich meiner Einschätzung nach fortsetzen.
• Ebenfalls im Rahmen der Gesundheitsreform wurden direkte Vertragsmöglichkeiten zwischen Krankenkassen, Apotheken und Pharmaherstellern ermöglicht. Erste Verträge sind abgeschlossen – diese Erfahrungen müssen nun ausgewertet werden.
• Wettbewerb um bessere Versorgung und effizientere Strukturen setzt vergleichbare Rahmenbedingungen voraus. Ohne Risikostrukturausgleich würde sich der Wettbewerb darauf beschränken, gut verdienende, junge, gesunde, kinderlose Versicherte zu gewinnen. Statt eines Wettbewerbs um die besten Risiken sollte es einen Wettbewerb um die beste Versorgung geben. Hierfür ist der Risikostrukturausgleich (RSA) (Finanzausgleich bzgl. Einkommen und der Versichertenstruktur) notwendige Voraussetzung. Er muss jedoch weiterentwickelt werden. Ziel ist der morbiditätsorientierte RSA, da etwa 10 % der Versicherten 80 % der Kosten verursachen. Bei der Übernahme dieser Kosten ist das Gesamt der gesetzlichen Krankenversicherungen und nicht nur eine Krankenkasse gefordert. Sonst könnte ein Bluter als Versicherter das Aus für eine Krankenkasse bedeuten.
• Dass das Aufheben der Preisbindung für Wettbewerb und sinkende Preise sorgen würde, ist nicht bewiesen. Die Erfahrungen der Aufhebung der Preisbindung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente spricht hier eine andere Sprache als die ökonomische Theorie.
• Die Kosten für die Arzneimitteldistribution sind in Deutschland überproportional hoch. Wir halten deshalb mehr Wettbewerb im Arzneimittelhandel für erforderlich und befürworten eine Aufhebung des Mehrbesitzverbotes. Die in der Gesundheitsreform beschlossene Lockerung (einE ApothekerIn neben der Hausapotheke bis zu drei Filialapotheken führen) reicht nicht aus. Darüber hinaus wollen wir eine stärkere Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, bevor diese in der GKV verordnungsfähig werden.
• Früher wurden einem Krankenhaus von der GKV die verausgabten Aufwendungen für einen Patienten komplett erstattet (Selbstkostendeckungsprinzip). Dies setzte Fehlanreize, z.B. Patienten möglichst lange in der Klinik zu behalten oder Untersuchungen häufiger als nötig zu machen. Zudem fehlte der Antrieb, wirtschaftlich wie qualitativ effektiver zu arbeiten. Mit der Umstellung auf Fallpauschalen/DRGs werden Anreize für einen Leistungs- und Qualitätswettbewerb gesetzt („gleiches Geld für gleiche Leistung.“). Bereits jetzt ist es jederzeit möglich, Krankenhäuser zu privatisieren. Derzeit sind bereits ca. 20% aller Kliniken und 8,7% aller Klinikbetten in privater Trägerschaft. Häufig wird von effzienteren Managementstrukturen und Versorgungsabläufen berichtet. Private Kliniken sind oft Vorreiter bei den Themen Transparenz und Qualität. Diese Konkurrenz begrüßen wir, da sie alle Krankenhäuser, losgelöst von der jeweiligen Trägerschaft, zu veränderten Arbeits- und Organisationsstrukturen herausfordert.
Statt der Forderung nach einer generellen Privatisierung steht für uns Grüne der Abbau von Doppelstrukturen im Vordergrund. Die Kliniken der Zukunft werden sich stärker spezialisieren und gleichzeitig mit anderen Kliniken kooperieren müssen, stärker als Versorgungszentren arbeiten und/oder in der ambulanten Versorgung engagieren.
• Die Erfahrungen mit der im Rahmen der Gesundheitsreform eingeführten Praxisgebühr sind detailliert auszuwerten. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob auf notwendige Arztbesuche verzichtet wird. Ob eine prozentuale Kostenbeteiligung tatsächlich einen steuernden Einfluss auf (wohlgemerkt von Ärzten veranlasste) Doppeluntersuchungen hat, ist zweifelhaft. Notwendiger erscheint hier die Transparenz über die vorgenommenen Untersuchungen. Die elektronische Gesundheitskarte kann hier (vorausgesetzt der Datenschutz wird garantiert) einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bedeuten.
Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender