Frage an Bernhard Kaster von Katrin L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kaster,
wie ich heute gelesen habe, hat ihre Fraktion - der sie auch angehören - im Ausschuß für Wahlprüfung, Imunität und Geschäftsordnung - einer einem Entwurf für die Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages bereits zugestimmt.
Jetzt muss nur noch das Parlament dem Entwurf zustimmen, damit er gültig wird. Darin sehe ich aber aufgrund der Fraktionsdisziplin bisher keine ernstzunehmende Hürde.
In diesem Antrag geht es nach meiner bisherigen Information (leider ist nach meiner Recherche der Antragstext noch nicht öffentlich zugänglich?) darum , dass Abgeordnete mit einer von der Mehrheit ihrer Fraktion abweichenden Meinung diese in Zukunft nur noch im Ausnahmefall auch im Parlament darstellen und diskutieren dürfen. Und wenn sie es tun, soll ihre Redezeit - allein aus dem Grund, dass sie eine von der Mehrheit ihrer Fraktion bzw. ihrem Fraktionsvorsitzenden abweichende Meinung haben - von 5 auf 3 Minuten gekürzt werden - und selbst dieses "ausnahmsweise Reden" soll nur noch "im Benehmen" (das verstehe ich als "im Einverständnis mit") der Fraktion dann möglich sein.
Ausserdem muss der Bundestagspräsident - bevor er solche Abweichler vor dem Parlament die Rederlaubnis erteilt - einer Stellungnahme aller andern Fraktionen dazu einholen.
Wenn sie im Ausschuss für diesen Änderungsantrag gestimmt haben: Warum tun sie das? Warum sehen sie es als Abgeordneter nicht als ihre Pflicht gegenüber den Bürgern an, im Parlament ihre Meinung zu vertreten und auch zu erklären?
Warum sind sie nicht der Meinung, dass dieser Änderungsantrag, das vom Grundgesetz garantierte "freie Mandat" einschränkt ?
Und unabhängig davon, wie Sie im Ausschuss gestimmt haben: Was werden Sie gegen die Einschränkung der Rechte der Abgeordneten, der Rechte des Parlamentes und der Rechte des Präsidenten des Bundestages durch die vorgeschlagene Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages tun?
Mit freundlichen Grüßen
Katrin Lehmann
Sehr geehrte Frau Lehmann,
für Ihre Mail vom 15. April 2012 danke ich Ihnen. Gerne nehme ich zu Ihren Fragen in Zusammenhang mit den Überlegungen zu einer Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Stellung.
Nach der öffentlichen Berichterstattung zu diesem Thema habe ich Verständnis für Ihre Befürchtung, das Rederecht von Abgeordneten könnte eingeschränkt werden. Es war jedoch keineswegs beabsichtigt, Rechte der Abgeordneten oder auch des Bundestagspräsidenten einzuschränken. Dies wäre nach unserer Verfassung schlichtweg unzulässig.
In der Sache geht es um Folgendes:
Nach der Geschäftsordnung des Bundestages werden bisher die Redezeiten zunächst zwischen allen Fraktionen abgestimmt. Die Gestaltung und Dauer von Plenardebatten wird sodann auf Vorschlag des Ältestenrates im Bundestag zu Beginn jeder Sitzung grundsätzlich einvernehmlich festgelegt. Die konkrete Redeordnung dient der Berechenbarkeit des Beratungsablaufs. In der Praxis ist die Vereinbarung der Redezeit von einem sehr kooperativen Umgang zwischen allen Fraktionen geprägt.
Eine ausdrückliche Regelung für die Handhabung von Ausnahmen von der Rednerreihenfolge kennt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bisher nicht. Diese Regelungslücke sollte geschlossen werden.
Die Wahrnehmung des Rederechts des Abgeordneten gehört zu den verfassungsrechtlich geschützten Kernelementen seiner Mandatsrechte. Es kommt allen Abgeordneten gleichermaßen zu, also auch den Mitgliedern von Fraktionen, die im Plenum von der Mehrheitsmeinung ihrer Fraktion abweichen wollen. Das Rederecht sollte weder beschnitten, noch sollte gegen Abgeordnete ein „Maulkorb“ verhängt werden.
Es sollte lediglich neu geregelt werden, dass der amtierende Präsident abweichend von der im Bundestag jeweils beschlossenen Redeordnung weiteren Rednern „im Benehmen mit den Fraktionen“ das Wort für in der Regel drei Minuten erteilen kann. „Benehmen“ bedeutet weder „Einvernehmen“ noch „Zustimmung“. Es sollte letztlich der amtierende Bundestagspräsident über die Zulassung, Platzierung und Dauer des Wortbeitrages eines Abgeordneten entscheiden.
Sinn und Zweck dieser Regelung sollte es sein, den Fraktionen in Kenntnis der zusätzlichen Wortbeiträge die Gelegenheit zu geben, die Rednerreihenfolge auch der von ihnen gemeldeten Rednerinnen und Redner noch einmal zu überdenken. Die Dauer des zusätzlichen Redebeitrages sollte begrenzt werden auf „in der Regel“ drei Minuten. Eine darüber hinausgehende Verlängerung der Redezeit sollte möglich sein, wenn der Verhandlungsgegenstand und der Verlauf der Aussprache dies nahelegen. Dabei sollte z.B. auch eine Rolle spielen die Bedeutung der Debatte, aber auch die Anzahl der zusätzlichen beantragten Wortbeiträge im Verhältnis zu den anderen Kolleginnen und Kollegen und den Fraktionen. Es hätte also insgesamt keine starre zeitliche Vorgabe für einen Redner außerhalb der Rednerreihenfolge bestanden.
Eine transparente und - natürlich auch kontroverse - Diskussionskultur im politischen Meinungsbildungsprozess ist selbstverständlich notwendig und wünschenswert. Auch nach dem Entwurf zur Änderung der Geschäftsordnung war es keinesfalls beabsichtigt, das Rederecht von Abgeordneten in Frage zu stellen, insbesondere wenn sie eine von ihrer Fraktion abweichende Auffassung im Plenum vertreten wollten. Unser Anliegen war es vielmehr, für eine transparente und geordnete Rednerreihenfolge Sorge zu tragen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Bernhard Kaster MdB