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Frage von Heinrich A. •

Frage an Bernd Scheelen von Heinrich A. bezüglich Energie

Sehr geehrter Herr Scheelen,
angesichts explodierender Energiepreise interessiert mich warum der Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt ist. Alle zitieren die Tatsache aber keiner erklärt es und was dies mit dem allseits beschworenen Wettbewerb zu tun hat.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Heinrich Ackermann

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Sehr geehrter Herr Ackermann,

die Bildung des Gaspreises nach dem Prinzip des sogenannten „anlegbaren Preises“ resultiert historisch aus der Gasgewinnung als Koppelprodukt bei der Kohleverkokung. Auf der Suche nach einem Preis für dieses Produkt orientierte man sich am Preis der vom Einsatzzweck her konkurrierenden Energien. Dies war insbesondere das leichte Heizöl auf dem Wärmemarkt. Der anlegbare Preis wird anhand einer Formel entwickelt, die neben dem Preis des Konkurrenz-Energieträgers auch die Vorteile des Gases für den Kunden (z.B. Anwendungsvorteile, ersparte Lagerkosten) berücksichtigt. Faktisch enthält der Gaspreis einen „Produktqualitätsaufschlag“ und liegt fast immer leicht über dem „reinen“ Heizölpreis.

Die Preisgleitklausel wurde Mitte der 60er Jahre unter Federführung der Ruhrgas AG eingeführt, um Erdgas auf dem Wärmemarkt konkurrenzfähig zu machen, eine flächendeckende Versorgung mit Gasanschlüssen durchzusetzen und damit einen langfristig gesicherten Kundenkreis zu akquirieren. Heute wird Erdgas zu rund 80 Prozent importiert. Hauptlieferländer sind Norwegen, Russland und die Niederlande (zusammen rund. 75 Prozent). Auch wenn damit Gas heute bei weitem nicht mehr in dem Umfang wie in der Vergangenheit als Koppelprodukt gewonnen wird, ist es dennoch bei der Orientierung am Ölpreis bzw. „Marktwert“ geblieben. Dies gilt sowohl für den Verbraucherpreis als auch – vermindert um die Kosten des Verbundunternehmens – für den Preis, den die Gasproduzenten erheben.

In Zeiten steigender Rohölpreise steigt somit auch derjenige für Erdgas: allein zwischen Juni 1999 und Juni 2000 um rund 20 Prozent, bis heute hat er sich rund verdoppelt. Jedoch ist er aus demselben Grund zwischen 1985 und 1998 auch um etwa 30 Prozent gesunken. Allerdings geben nicht alle Gasversorger gleichermaßen zügig und vollständig diese Effekte auch an alle Kunden weiter. Hieraus erwachsen immer wieder Klagen und Gerichts- bzw. Kartellamtsentscheidungen.

In der Praxis sieht es so aus: Die Beschaffung des Gases ist in der Regel über langfristige Lieferverträge vereinbart. Bei der Preisgleitklausel handelt es sich somit um eine privatwirtschaftliche Vertragsvereinbarung, die den Gasproduzenten Planungssicherheit für kostenintensive Förderprojekte garantieren soll. Zugleich schützen sich die Importeure vor der oligopolistischen Marktmacht der Produzenten. Der Staat ist an diesen Vereinbarungen nicht beteiligt. Diese Verträge beinhalten normalerweise Revisionsklauseln, mit denen Elemente der Formel zur Berechnung des Gaspreises überprüft werden, aber nicht das System im Ganzen in Frage gestellt wird. So gewinnt beispielsweise in den letzten Jahren an Bedeutung, dass zunehmend Gas in Kraftwerken eingesetzt wird, also Gas in Konkurrenz tritt zu anderen Primärenergieträgern, auf deren Basis Strom erzeugt wird. Dies hat in den neueren Lieferverträgen dazu geführt, dass auch die Preise anderer Energieträger in die Berechnungsformel Eingang gefunden haben. Die Dominanz des Heizöls bleibt dabei jedoch bisher unangetastet.

Je nach Entwicklung des Ölpreises, dem der Gaspreis mehr oder weniger ausgeprägt mit einer Zeitverzögerung (i.d.R. 6 Monate) in der wesentlichen Größenordnung folgt, gerät das System wechselweise in die Kritik der Anbieter oder der Nachfrager. So hat sich der Vorsitzende des DUMA-Ausschusses der Energiewirtschaft sowie der Vorstand von GASPROM noch Anfang 1999 negativ zur Bindung an den – damals sehr niedrigen – Ölpreis geäußert. Dabei wurde auch erklärt, dass endlich die Möglichkeit geschaffen werden sollte, eine „Gas-OPEC“ gründen zu können. Angesichts der sehr begrenzten Zahl der Lieferanten muss davon ausgegangen werden, dass ein solches Kartell erheblich wirkungsvoller als die OPEC wäre. Insofern enthält ein Ausstieg aus der Gaspreisbindung auch ein erhebliches Risikopotential, wie man an den Preisvolatilitäten etwa auf dem – nicht gebundenen – britischen Gasmarkt beobachten kann.

Die Liberalisierung im Gasmarkt wird durch mehr Wettbewerb voraussichtlich nur in dem Maße zu Preissenkungen führen, wie die Gas-Verbundunternehmen durch den Wettbewerb das Gas günstiger zum Kunden bringen werden und dies auch gegenüber den Gasproduzenten durchsetzen können. Deshalb werden die unmittelbaren Preiseffekte der Liberalisierung auch eher bescheiden sein. Dies gilt auch mit Blick auf die Netzregulierung.

Neue Dynamik könnte entstehen, wenn erhebliche zusätzliche Gasmengen langfristig und zuverlässig auf den Markt kommen. Angesichts der zeitlichen Vorlaufzeiten für neue Pipelines oder Flüssiggasterminals und der massiven Vorlaufinvestitionen ist damit jedoch kurzfristig nicht zu rechnen. Zudem sorgt die starke Nachfrage aus Asien und den USA (Kraftwerksgas, Gas als Rohstoff für die chemische Produktion) dafür, dass potentiell verfügbare bzw. erschließbare zusätzliche Flüssiggasmengen (Liquified Natural Gas, LNG) nicht exklusiv einem europäischen Markt zur Verfügung stünden, sondern weltweit angeboten würden. Die wichtigsten Lieferländer für uns, Norwegen und Russland, eröffnen sich via LNG bzw. neue Pipelineprojekte neue Absatzoptionen, die nicht zwingend Deutschland zugute kommen werden.

Es ist daher mehr als fraglich, ob sich niedrigere Preise für den deutschen oder europäischen Verbraucher realisieren lassen würden.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Scheelen, MdB