Frage an Bernd Richter von Martin N.
Sehr geehrter Herr Professor Richter,
wie stehen Sie zu dem "Lissabon-Urteil" des Bundesverfassungsgerichtes und muss dies nicht dazu führen, dass kleinere Bundesländer mit größeren Bundesländern fusionieren um besser ihre Interessen in einem geeinten Europa sowie im Gesamtgefüge der Bundesrepublik Deutschland geltend machen zu können? Wäre das ein Weg einer demokratisierten EU Vorschub zu leisten? Wie sehen Sie als Volljurist und Professor der Rechtswissenschaften denn die zunehmende Konfrontation zwischen EuGH und BVerfG hinsichtlich dem uneingeschränkten Anwendungsvorrang und der Ewigkeitsgarantie des Artikel 77 Abs.3 GG?
Vielen Dank.
Die Aufteilung der Bundesrepublik in derzeit 16 Länder ist ein Emotion beladenes hochbrisantes Thema. Wir werden unter gesetzlichen, verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Aspekten künftig aber nicht um die Bildung vergleichbarer Ländereinheiten mit ähnlicher Größe und Bevölkerungszahl umhin kommen. Die anstehende Föderalismusreform II mit dem Erfordernis der zielgerichteten Aufteilung der Finanzmittel zwischen Bund und Ländern muss zwingend diskutiert und gelöst werden. Hier besteht zugleich das Problem der Bundes- und Ländersteuereinahmen. Eigene Landesregierungen für Miniländer wie Bremen und das Saarland sind wirtschaftlich kaum noch zu verantworten. Eine Aufgliederung in größere Regierungsbezirke und stärkerer bundespolitischer Rechtsharmonisierung ist anzustreben. Die Föderalismusreform I mit der unsinnigen Stärkung der Kulturhoheit der Länder hat zu einer wenig sinnvollen Zersplitterung mit 16 abweichenden Bildungssystemen im vereinten Europa trotz der Ziele der Bolognaerklärung geführt. Ein Europa der Regionen kann nur funktionieren, wenn sinnvolle Verwaltungs- und Flächeneinheiten mit entsprechender Finanz- und Leistungskraft gebildet werden. Die landsmannschaftliche kulturelle Identität der Bürgerinnen und Bürger muss hierunter nicht leiden. Dies haben die Länderneugliederungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Rückgliederung von 16 Bezirken in die 5 neuen Bundesländer auf dem Gebiet der vormaligen DDR gezeigt haben.
Die Abgabe von Kompetenzen an die EU im Hinblick auf die Art. 79 III, 23, 29 und 30 GG hätte und muss künftig intensiver diskutiert und demokratischer entschieden werden. Sie ist vielfach vorschnell und unüberlegt erfolgt. Hätte man das Deutsche Volk über das Grundgesetz und vor allem auch über die EU-Verfassung abstimmen lassen, hätte man seitens der Politik hierfür viel intensiver um eine Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger werben müssen und sich die Abgabe von Kompetenzen besser überlegt. Die Bewohner anderer EU-Länder haben ihren Politikern gezeigt, wie man bei mangelnder Information mit diesen Problemen umgeht, nämlich Ablehnung der EU-Verfassung. Die Abgabe von legislativen Kompetenzen muss künftig deshalb intensiver überlegt und begründet werden. In Einzelfällen ist im deutschen Interesse auch der ein oder andere Konflikt mit der EU zielgerichtet auszutragen. Offensichtlich liegt dies daran, dass in Deutschland die EU-Politik vornehmlich Politkoldies im Altenteil oder jungen Politjuppies mit Lobbyverbindungen überlassen wird. Hierdurch bestehen Akzeptanzprobleme und natürlich auch Informationsdefizite bei der Bevölkerung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bernd Richter