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Frage von Theo B. •

Frage an Bernd Reinert von Theo B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Reinert,

im CDU-Teil des Infohefts für den Volksentscheid "Hamburg stärkt den Volksentscheid", in dem Sie mit einem einleitenden Beitrag abgebildet sind, steht wörtlich, dass "zukünftig Verfassungsänderungen schon von 35 % der Hamburger Wahlberechtigten durchgesetzt werden können".
Mit dem Hinweis auf ein völliges Fehlen eines derartigen Zustimmungsquorums in der Schweiz, möchte ich Ihnen folgende Frage stellen:
Stimmt es nach dem Verständnis der CDU also auch, dass Verfassungsänderungen schon von 0 % (in Worten: null) der Schweizer Wahlberechtigten durchgesetzt werden können?

Mit freundlichen Grüßen
T. Brodhag

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Brodhag,

ein demokratisches Gemeinwesen besteht nicht aus zusammengewürfelten Einzelteilen, sondern es muss ein System von "checks and balances" geben, welches einerseits die Entscheidungsfähigkeit gewährleistet, die Kontrolle der Regierung gewährleistet und die Macht der Regierenden begrenzt - und einen angemessenen Minderheitenschutz bietet. Dieses kann durch verschiedene Instrumentarien erreicht werden (deshalb gibt es ja verschiedene Formen der Demokratie), aber diese sind immer auf einander abgestimmt - und das System der Schweiz unterscheidet sich von dem Deutschlands (und damit auch Hamburgs) ganz erheblich.

So gibt es in der Schweiz keine zahlenmäßig starke parlamentarische Opposition: die Regierung (aus vier Parteien) wird sogar als "Allparteienregierung" bezeichnet und wird von (derzeit) 174 der 200 Nationalratsabgeordneten unterstützt, die 26 Oppositionsabgeordneten gehören mehreren Fraktionen an - da bildet eben der Volksentscheid das Gegengewicht zur Macht der Regierenden, und unter diesen Umständen mag der Verzicht auf ein Quorum durchaus Sinn machen. Zudem ist die schweizerische Demokratie historisch durch die Tradition der Volksversammlung geprägt, und auch das ist ein wichtiger Unterschied zu Deutschland.

Der anstehende Volksentscheid in Hamburg soll es nach dem Willen der Befürworter einer Minderheit ermöglichen, die Verfassung zu ändern, und damit wird in meinen Augen ein demokratisches Prinzip in sein Gegenteil verkehrt: die Minderheit darf nicht das Recht erhalten, über die Mehrheit zu bestimmen.

Und Sie sollten auch bedenken, wie schwer der Bürgerschaft, also dem Parlament, eine Änderung der Verfassung gemacht wird: sie muss in zwei getrennten Sitzungen, zwischen denen fast zwei Wochen liegen müssen, jeweils mit einer Zweidrittel-Mehrheit diese Verfassungsänderung beschließen - und wenn man sich die Verfassung genau ansieht, können sogar 31 der 121 Abgeordneten eine Verfassungsänderung verhindern, indem sie nicht an der Abstimmung teilnehmen: 25,6% der Abgeordneten haben also ein "Veto" gegen jede Änderung unserer Verfassung. Durch diese Regelungen werden Minderheiten geschützt, und das finde ich auch richtig.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Reinert