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Frage von Stefan L. •

Frage an Bernd Posselt von Stefan L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Posselt,

im Spiegel ist zu lesen, dass Sie sich sehr durchsichtig und reflexartig über die Bemerkung des US-Präsidenten ereifern, dass er der Meinung ist, dass die EU die Türkei als Mitglied aufnehmen solle.

Natürlich kann man der Meinung sein, dass das ein Fehler wäre.

Ich möchte Sie jedoch fragen, ob Sie der Ansicht sind, dass Sprüche wie "Dann soll Obama die Türkei halt als 51. Bundesstaat in die USA aufnehmen" oder "Türken Gabi" (mit Bezug auf Gabriele Pauli) irgendwie zielführend angebracht sind.

Glauben Sie tatsächlich, dass es angemessen ist, sich als Vertreter der Deutschen Bevölkerung in Europa einer solchen Diktion zu bedienen ?

Denken Sie nicht, dass das in unserem Land, aber auch bei unseren Partnern als das wahrgenommen wird was es ist: Unabhängig von der Frage ob ausländerfeindlich oder nicht, in jedem Fall aber vulgär und primitiv ?

Stefan Lein.

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Lein,

in der Tat halte ich die Einmischung des US-Präsidenten in unsere inneren europäischen Angelegenheiten für nicht akzeptabel. Meine Position ist aber alles andere als türkenfeindlich. Als Außenpolitiker arbeite ich eng mit der Türkei zusammen und bin außerdem aktiv im christlich-islamischen Dialog.

Das Thema Türkeibeitritt betrachte ich jedoch unter ganz anderen Gesichtspunkten - übrigens seit Jahrzehnten. Als begeisterter Paneuropäer möchte ich im Geist der Gründerväter ein wirklich starkes, weltweit handlungsfähiges Europa als dauerhaften Friedensfaktor aufbauen. Ein solches Europa braucht aber, wie jedes Gemeinwesen, Grenzen und darf nicht überdehnt werden. Schon Anfang der achtziger Jahre hat Marokko einen Aufnahmeantrag in die EU gestellt, der damals nicht unter Hinweis auf die Kriterien - was auch möglich gewesen wäre - abgelehnt wurde, sondern mit dem Hinweis darauf, daß dieses nordafrikanische Land nicht Europa sei. Ich war 1982 als junger Journalist Gast des damaligen marokkanischen Königs Hassan II. und habe ihn nach seiner Meinung zu diesem Thema gefragt. Seine Antwort: "Marokko ist wie ein Baum mit einer europäischen, einer arabischen und einer afrikanischen Wurzel."
Von Rabat zurückgekehrt, schrieb ich damals einen Artikel über die Grenzen Europas, der von folgender These ausging: Es gibt einen Kern von eindeutig europäischen Staaten, die aufgrund ihrer Geschichte und Kultur irgendwann in die EU integriert werden. Dazu zählte ich auch die damaligen Ostblockstaaten außer Rußland, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie sich demokratisieren. An den Grenzen Europas sah ich teileuropäische Staaten wie Rußland, die Türkei, Israel sowie alle östlichen und südlichen Mittelmeer-Anrainer. Für diese schlug ich einen maßgeschneiderten Spezialstatus vor, also das, was Angela Merkel später als "privilegierte Partnerschaft" bezeichnete.
Diese Linie halte ich noch heute für richtig, und sie setzt sich EU-weit immer mehr durch. Viele derer, die von einer Vollmitgliedschaft der Türkei sprechen, glauben überhaupt nicht daran. Solche Unehrlichkeit ist wirklich gefährlich. Lieber eine ehrliche Partnerschaft als unehrliche Beitrittsverhandlungen!

Mit der Frage der bei uns lebenden Türken hat die Frage nach den Grenzen der EU auch insofern nichts zu tun, als die Türken der Franzosen die Nordafrikaner und die der Briten die Pakistaner und Inder sind. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, diese Staaten in die EU aufzunehmen - obwohl bei mir schon der tunesische Außenminister war und gesagt hat, wenn die Türken beitreten, müssen auch wir in die EU, denn bei uns wurde der Heilige Augustinus und damit der Vater des Abendlandes geboren. So kann man auch argumentieren!

Ich jedenfalls will eine vernünftige Einwanderungs- und Integrationspolitik, eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei in NATO, OSZE, Europarat, Zollunion und privilegierter Partnerschaft, aber keine Vollmitgliedschaft, weil diese die EU überdehnen und die Türkei überfordern würde, also für beide Seiten schädlich wäre.

Wahrscheinlich sehen Sie die Dinge anders, aber ich hoffe zumindest, daß ich Ihnen meine Überzeugungen und Motive etwas näher bringen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Posselt MdEP