Frage an Bernd Posselt von Stefan H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Posselt,
im Jahr 2010 war ein großes Wahljahr in unseren östlichen Nachbarländern. In Ungarn (Fidesz) und in der Slowakei (SDKU-DS, KDH, SaS, Most-Hid) wurden dabei neue Regierungen gebildet. In Tschechien konnte die OKS gemeinsam mit den neugegründeten Parteien TOP 09 und VV weiterregieren. Da in Polen mit Donald Tusk ebenfalls ein konservativer Regierungschef besteht, werden die Visegrad Staaten derzeit alle von konservativengeprägten Parteien regiert.
Etwa ein Jahr nach den Wahlen in Tschechien, Ungarn und der Slowakei scheint es für diese Staaten und Europa nicht wirklich besser zu gehen.
Fidesz ändert dank der 2/3 Mehrheit die Verfassung in dem das Wort "Republik" durch die heilige Krone ersetzt wurde. Der ungarische Parlamentspräsident Laszlo Köver fällt mit kriegerischen Aussagen gegenüber der Slowakei auf und das Land ist weiterhin hoch verschuldet.
Die tschechische Regierung ist stark zerstritten und ist in der Bevölkerung nicht äußerst beliebt (siehe den Streik im öffentlichen Personenverkehr in dieser Woche). Noch zerstrittener ist allerdings die vier Parteien Koalition von Premierministerin Iveta Radicova. Erst nach mehrfachen Anläufen und einer Rücktrittsdrohung hat es die Regierung jetzt geschafft, ihren Kandidat zum Generalstaatsanwalt zu wählen (vorbehandlich der Bestätigung durch Präsident Gasparovic). Generell scheint Frau Radicova eher auf dem Beifahrersitz der Koalition zu sitzen als das Lenkrad in der Hand zu haben.
War es nicht fahrlässig von Ihnen, die konservativen Regierungen in diesen Ländern bereits am Anfang zu loben, ohne dass diese wirklich aktiv wurden? Mich interessiert, wie Sie zu den o.a. Themen stehen, insbesondere der Farse der Generalstaatsanwaltswahl in der Slowakei, der neuen ungarischen Verfassung und den Streit zwischen den Slowaken und Ungarn.
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Hartmann
Sehr geehrter Herr Hartmann,
als Christdemokrat bzw. Christlich-Sozialer, dessen Partei zur großen Familie der EVP gehört, kann ich mit dem Ausdruck "konservative Parteien" ehrlich gesagt nicht so viel anfangen. Die von Präsident Václav Klaus gegründete ODS in der Tschechischen Republik war eine nationalistisch-liberale Partei, die ihren Nationalismus unter der neuen Führung inzwischen etwas abgemildert hat. Sie war niemals Mitglied der EVP-Parteienfamilie und hat gemeinsam mit den britischen Konservativen die EVP-Fraktion im Europaparlament, in der beide einen Sonderstatus genossen, verlassen. Daß sie heute eine eigene Fraktion bilden, begrüße ich ausdrücklich, denn mir fehlt, bei allem Respekt vor dieser Gruppierung, die christliche und europäische Grundierung.
Der Koalitionspartner TOP 09 des Außenministers Fürst Schwarzenberg ist hingegen zu Recht EVP-Mitglied, wie auch die christdemokratische Partei KDU-CSL, die nach neuesten Umfragen bei künftigen Wahlen ins Tschechische Parlament zurückkehren wird. Der dritte Koalitionspartner in der Tschechischen Regierung VV ist eine völlig heterogene Gruppe, von der fraglich ist, ob sie die diese Legislaturperiode übersteht.
Polen fährt unter seinem pro-europäisch und christdemokratisch orientierten Regierungschef Donald Tusk einen guten und ruhigen Kurs.
Was Ungarn betrifft, haben die postkommunistischen Sozialisten das Land in acht Jahren restlos ruiniert, weshalb das Volk Fidesz mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ausstattete. Die dortige Regierung übt seit Jahresanfang in sehr qualifizierter Weise die EU-Ratspräsidentschaft aus und führt notwendige Reformen durch. Diese müssen nicht jedem passen, sie verdienen aber nicht die internationalen Polemiken, die es derzeit gibt. Was das Pressegesetz betrifft, habe ich in meinem Artikel "Die Kirche und das Dorf" http://www.bernd-posselt.de/article.php?efxf_artikel=1338 , was die Verfassung angeht, in meiner Analyse "Krone und Europafahne" http://www.bernd-posselt.de/article.php?efxf_artikel=1367 ausführlich dazu Stellung genommen. Mit Blick auf die Nachbarländer kann man festhalten, daß das Verhältnis zu Rumänien sich drastisch verbessert hat, das zu Kroatien und Slowenien extrem gut ist, das zu Österreich und zur Ukraine auch und das zur Slowakei jedenfalls besser als zuvor unter den beiden sozialistischen Regierungen in Budapest und Preßburg.
Daß die gigantische Verschuldung nicht in einem Jahr abzubauen ist, sondern mehrere Legislaturperioden härtester Sanierungsanstrengungen erfordert, kann man nicht Fidesz anlasten.
In der Slowakei hat die Regierung von Frau Radicova ihren Beitrag dazu geleistet, das Verhältnis zu Ungarn zu verbessern, u.a. durch eine Novellierung des chauvinistischen Sprachgesetzes der Vorgänger-Koalition aus Sozialisten und Rechtsradikalen. Gleichzeitig bekämpft sie mit großem Mut die Korruption.
Selbstverständlich gibt es in allen diesen Ländern nicht geringzuschätzende Probleme. Die meisten sind Erblasten der jahrzehntelangen kommunistischen Diktatur und des Versagens ihrer sich jetzt sozialistisch oder sozialdemokratisch nennenden Erben. Ich gehöre nicht zu denen, die Fehlentwicklungen beschönigen, bloß weil sie von EVP-Mitgliedsparteien begangen werden. Doch gerade die vier Visegrad-Staaten sind - unter dem Strich bilanziert - auf einem guten Weg, den wir weiterhin unterstützen sollten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Bernd Posselt