Frage an Bernd Posselt von Thomas L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Posselt,
ich verfolge seit Wochen die Entwicklung in Ägypten und bin erschüttert über die Sprachlosigkeit der Deutschen und Europäischen Politik zu den nie gesehenen Chancen für eine Demokratisierung dort und in der gesamten Region. Mir stellen sich viele Fragen, die ich nun an Sie wie an andere Politiker weitergebe:
In Ägypten tut sich eine Fenster in der Geschichte auf, wie es seit 1989 in der DDR keines gegeben hat. In einem islamischen Land demonstrieren Männer und Frauen, Muslime und Christen gemeinsam für die Freiheit! Soll das verpasst werden? Wie kann künftig noch Reden über Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte halten, wer heute schweigt oder -schlimmer noch- das ägyptische Regime als "wichtig" und "stabilisierend" bezeichnet? Wie stehen Sie zur Situation dort? Welche Perspektiven sehen Sie?
Das Europäische Parlament kann hier klar Position beziehen. Es findet doch sonst viele Gründe für Sondersitzungen, Untersuchungsausschüsse und Appelle -warum schweigt es zur Forderung des ägyptischen Volkes nach einer echten Repräsentanz, nach wirklicher politischer Beteiligung? Wie wollen Sie sich hier einsetzen?
Parlament und Abgeordnete kontrollieren die Komission - so sagen es die europäischen Verträge, so sieht es die politische Theorie guter Demokratie vor. Die EU hat eine Vielzahl von Beziehungen zu Ägypten und unterstützt das Land auf vielfältige Weise. Hat das EP hier einen Überblick? Haben Sie sich das als Abgeordneter schon gefragt? Wie sehen Sie die Zukunft all dieser Kooperationen mit einem Regime, dessen Fehlverhalten nun offener zutage tritt als je zuvor? Möchten Sie nicht über Anfragen und Fragestunden, Anträge und Diskussionen mehr Transparenz in die Lage bringen?
Noch ein Wort zum C in CSU: Was tun Sie persönlich für die Rechte unserer Brüder und Schwestern in Ägypten?
Wovor haben Sie Angst? Hic Rhodos ...!
Meine weiteren Wahleintscheidungen werden sicher von Ihren und Ihrer Kolleginen und Kollegen Antworten bestimmt werden.
Sehr geehrter Herr Lichtenberger,
Ihren Zorn verstehe und teile ich. Man muß aber immer genau schauen, wen man mit "der EU" meint - die Mitgliedstaaten und ihr Organ, den Rat, oder etwa das gewählte Europaparlament. Was die Nationalstaaten und den Rat betrifft, sollten Sie sich an London, Rom, Paris, Berlin etc. wenden, also etwa an Herrn Westerwelle. Das Europaparlament hat sich in den letzten Jahren regelmäßig mit Menschenrechtsverletzungen in Ägypten befaßt, durch Unterstützung von verfolgten oder inhaftierten Menschen, durch Dringlichkeits-Entschließungen und Proteste, auch durch systematische Kontakte mit den verschiedenen politischen Kräften in Ägypten. Zuletzt haben wir uns - wie schon früher - vor einigen Wochen zur Lage der Kopten geäußert. Sie können sicher sein, daß wir auch in Zukunft einen klaren Menschenrechts-Kurs fahren werden.
Bereits nächste Woche findet beim Plenum des Europaparlamentes in Straßburg die nächste Debatte über Ägypten statt, wobei wir konkrete Demokratie- und Aufbauhilfen in die Wege leiten werden.
Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen den Text einer Pressemeldung übermitteln, die ich bereits am 2. Februar veröffentlicht habe:
Posselt (CSU) fordertMarshall-Plan für Nordafrika
München. Einen „Marshall-Plan der EU für unsere nordafrikanischen Nachbarn“ hat der außenpolitische Sprecher der CSU im Europäischen Parlament, Bernd Posselt, gefordert. Dieser müsse „an Rechtsstaatlichkeit und gute Verwaltung sowie zumindest an Grundelemente der Demokratisierung“ geknüpft sein. Posselt warnte jedoch davor, allein in freien Wahlen „ein Allheilmittel für den Maghreb und für Ägypten zu sehen. Dort herrschen Bevölkerungsexplosion und soziale Perspektivlosigkeit.“ Die Antwort darauf müsse ein Plan mit fünf Kernpunkten sein: „Bildung, vor allem auch berufliche Bildung, Mittelstandsförderung, Bekämpfung von Kriminalität und illegaler Einwanderung, Forschungs-Kooperation sowie eine umfassende europäisch-nordafrikanische Energiepolitik, die auch die systematische Entwicklung von Sonnenenergie umfaßt.“ Gestützt werden müsse dieses Wirtschafts- und Sozialprogramm in beiderseitigem Interesse durch eine wirksame, grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen der EU sowie dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum, die nicht zuletzt auch Israel umfasse: „Wir haben in der Mittelmeer-Union dafür ein geeignetes Instrument, nutzen es aber nicht und lassen uns vom Nahost-Konflikt lähmen.“
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Posselt MdEP