Bernd Fell
FDP
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Frage von gunther t. •

Frage an Bernd Fell von gunther t. bezüglich Energie

s.g. hr. dr. fell,
habe gehört, dass es bald einige monstertrassen (380kV-Freileitungen) mit riesenmasten (grössenordnung kölner dom) quer duch südniedersachsen geben soll, welche die alten kleineren leitungen ablösen sollen, welche nicht mehr ausreichen werden, den europäischen stromtransport zu gewährleisten. Sind sie für erdkabel (sparsame HGÜ-kabeltechnik) oder für freileitungen (nicht gerade ein exportschlager der wachstumsbranche), welche landschaft und grundstücke entwerten ?

Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Toffel,

auf Ihre Frage möchte ich Ihnen zunächst ein paar technologische Erläuterungen geben. Wenn Ihnen dies bereits bekannt ist, bitte ich um Nachsicht.

Es gibt unterschiedliche technische Möglichkeiten einer unterirdischen Verlegung von Höchstspannungs-Hochleistungs-Leitungen:

• Gasisolierte Leitungen ( In Tunneln oder in „Pipelinetechnik“)
• Hochspannungsgleichstrom-Leitungen
• Konventionelle Wechselspannungs-Kabel mit unterschiedlichen Isoliermaterialen (z.B. VPE) und Kühlmechanismen

Alle Lösungen haben unterschiedliche Vor- und Nachteile hinsichtlich Preis, Herstellungsaufwand, Umweltbelastung und energetischen Verlusten sowie physikalisch-technischer Begrenzung der Trassenlänge. Alle Lösungen sind aber auch teurer als eine Freileitung.

Nach einer Machbarkeitsstudie der technischen Universität Graz von 2001 würde schon nur eine VPE-Teilverkabelung einer 100 km Trasse in verschiedenen Varianten die Kosten auf das 2,5 … bis 4,2 fache (abhängig vom Verlauf der Übertragungsleistung) steigern, d.h. bei 100 km Mehrkosten von ca. 100 - 224 Mio. Euro bedeuten (2001 werden dort für eine 100 km 380 kV Freileitung mit 2x1500 MVA Leistung Herstellungskosten von ca. 70 Mio. Euro genannt). EON rechnet aktuell mit 0,8 bis 1 Mio. Euro je km Freileitung und dem 4-7fachen für VPE-Kabel, andere Studien mit dem 3fachen. Bezieht man die Betriebs- und Netzverlustkosten ein, dürfen nach einer Untersuchung der Universität Duisburg-Essen jedoch die Investitionskosten für eine vollständige Verkabelung nicht mehr als 8 % bis 60 % (abhängig vom Verlauf der Übertragungsleistung) über denen für eine Freileitung liegen. Andernfalls wäre die Kabelanlage selbst bei einer Lebensdauer von 50 Jahren entsprechend unwirtschaftlicher. Außerdem liegen bisher keine Erfahrungen mit sehr langen Höchst-Wechselspannungs-Kabelanlagen vor und es werden als maximale Länge für WS-Verkabelungen 100 km genannt.

Gasisolierte Leitungen (GIL) und Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen (HGÜL) sind im Vergleich hier noch unwirtschaftlicher. Die Investitionskosten von GIL betragen zurzeit das 7,5 bis 10fache der von Freileitungen. Bei einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung (Prof.Oswald - ForWind) über 40 Jahre liegen die Gesamtkosten etwa beim 3 bis 6fachen der einer Freileitung (abhängig vom Verlauf der Übertragungsleistung). GIL können allerdings relativ einfach in sensiblen Teil-Abschnitten einer Freileitung eingefügt werden. Eine gesicherte Wirtschaftlichkeitsabschätzung für eine 180 km lange HGÜL als Zweig in einem 380kV-Netz mit den hierbei geforderten Übertragungsleistungen liegt bisher offenbar nicht vor. Eine Abschätzung bzw. Budget-Anbeot eines Herstellers nennt die 4 bis 5fachen Investitionskosten der einer Freileitung und eine Wirtschaftlichtkeit erst ab 250 km. Für kürzere HGÜL werden Faktoren von 10 bis 15 genannt. Generell werden HGÜ-Übertragungssysteme in Abhängigkeit von der Übertragungsleistung erst bei Punkt zu Punkt Verbindungen großer Längen oder längeren Unterwasser-Leitungen oder bei Kopplung unsynchroner Netze sinnvoll.

Auch Höchstspannungs-Kabeltrassen haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und sind unter einer Reihe von Gesichtspunkten umweltschädlicher als Freileitungen.

Die bundesrechtlich zulässigen Stärken der elektrischen und magnetischen Felder werden selbst direkt unter 380-kV-Freileitung eingehalten bzw. deutlich unterschritten. Das Magnetfeld erreicht max. ca. 15 Mikro-Tesla (Vergleich: Erdmagnetfeld bei uns ca. 50 Mikro-Tesla) und das elektrischen Feld beträgt max. ca. 5 Kilo- Volt pro Meter (Vergleich: natürliche Felder bei uns je nach Wetter zwischen 0,1 bis 20 Kilo- Volt pro Meter). Diese schwachen niederfrequenten Felder stellen im physikalischen Sinn keine Strahlung dar, treten auch an elektrischen Haushaltsgeräten auf und sind in vielen Studien als unschädlich belegt. Im Abstand von nur 350 m von der Freileitung sind diese Felder um noch etwa den Faktor 100 geringer.

Die wirksamen Felder einer GIL sind noch um einer Größenordnung geringer. Das magnetische Feld eines Untererdkabels ist an der Erdoberfläche geringfügig höher.

In Folge des schnellen Anstiegs der regenerativen Stromerzeugung aus Windenergieanlagen im On- und Offshore Bereich und des Baues der neuen Kraftwerke im Küstenbereich planen Höchstspannungsnetzbetreiber bis 2015 einen Ausbau des 380 kV Freileitungs-Netzes. Es sind mehrere neue Trassen mit Längen bis zu 200 km geplant. Die Ausbaupläne haben eine breite öffentliche und politische Diskussion um die Trassen und insbesondere Forderungen nach Untererdverlegung angeregt. In dieser Diskussion wären mehr Ehrlichkeit sowie wirtschaftliche und technische Vernunft hilfreich. Unsere sozial- und umwelt-politische Handlungsfähigkeit ist nur durch hohen Wohlstand gesichert und der wurde bisher auch im hohen Maß durch eine sichere und wirtschaftliche Energieversorgung erzeugt. Ökologie und Ökonomie müssen in Einklang gebracht werden. Dies gilt für die Erstellung von Windkraftanlagen gleichermaßen wie für den Bau von Hochspannungsleitungen.

Wer den Ausbau der regenerativen und hierbei insbesondere der Windenergie will, muss auch die hiermit verbundenen weiträumigen Energieflüsse berücksichtigen und einen wirtschaftlichen Netzausbau fordern. Wer dies verschweigt, täuscht Wähler und betreibt Kirchturmpolitik.

Selbstverständlich müssen neue Trassen auch im Rahmen der Forderungen des Bundesrechts nach Wirtschaftlichkeit des Netzausbaus alle berechtigten Ansprüche der Bürger nach Landschafts- und Umweltschutz erfüllen. Neue Trassen sollen weitgehend bereits bestehenden Trassen folgen und außerdem sollen die Abstände der neuen Freileitung von Wohnsiedlungsflächen, Siedlungsfreiflächen und Gewerbeflächen über die vorgeschrieben Mindestabstände hinaus ausgeweitet werden. Eine aus raumordnungs- und siedlungspoltischen Gründen gebotene unterirdische Verlegung ist nach Stand der Technik in die Planung aufzunehmen.

Die Antwort auf Ihre Frage ist somit aus meiner Sicht nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten. Hier muss der jeweilige Planungsfall bewertet werden.

Mit freundlichem Gruß
Dr.-Ing. Bernd Fell