Frage an Beate Merk von Gerhard R. bezüglich Familie
Sehr Frau Dr. Merk.
Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland vor fast 2 Jahren wegen seiner menschenrechtswidrigen Sorgerechtsregelung für Väter verurteilt.
Das BVerfG hat sich dem dann angeschlossen.
Seitdem hat sich daran, auch und gerade durch die bremsende Wirkung der CSU, nichts geändert.
Nun kommt ein Urteil der BGH über Unterhaltsfragen, in dem nichts anderes beschlossen wurde, als das geltende Gesetz anzuwenden und eine Mutter aufzufordern, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen oder nachzuweisen, dass sie das nicht kann und plötzlich ist die CSU in großer Eile um dieses sinnvolle Gesetz zu ändern.
Können sie mir bitte erklären, warum dieser Fall von Ihnen als so viel dringlicher angesehen wird, als die Beseitigung von Menschrechtsverletzungen?
Sehr geehrter Herr Raden,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 8. August 2011 zum Urteil des Bundesgerichtshofs in Unterhaltssachen.
Die durch die Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts erforderlich gewordenen gesetzlichen Änderungen im Recht der elterlichen Sorge werden derzeit durch das hierfür zuständige Bundesministerium der Justiz erarbeitet. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens werde ich mich für eine ausgewogene Lösung einsetzen.
Ich weise jedoch auch darauf hin, dass die rechtliche Lage sich insofern bereits durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2010 zugunsten lediger Väter deutlich verbessert hat; die durch dieses Urteil vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof monierte Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde beseitigt. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich für die Zeit bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber vorläufig angeordnet, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge ganz oder teilweise gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht vorläufig angeordnet, dass das Familiengericht dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge ganz oder teilweise allein überträgt, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass die Übertragung der Alleinsorge dem Kindeswohl am Besten entspricht. Diese vorläufigen Regelungen des Bundesverfassungsgerichts sind durch die deutschen Gerichte anzuwenden, solange nicht der Gesetzgeber eine anderweitige Regelung trifft.
Hinsichtlich der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Unterhaltsrecht verhält es sich anders. Die vom Bundesgerichtshof eingeschlagene Linie entspricht nicht dem Ziel des Gesetzgebers, welches dieser bei der Reform des Unterhaltsrechts zum 1. Januar 2008 verfolgte. Der Gesetzgeber wollte damals die Eigenverantwortung der Ehegatten nach der Scheidung entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung verstärken und die Voraussetzungen für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs strenger regeln als dies zuvor der Fall war.
Absicht des Gesetzgebers war es aber gerade nicht, einen Automatismus einzuführen, nach dem der betreuende Elternteil ab dem vierten Geburtstag des Kindes wieder voll erwerbstätig sein muss. Vielmehr sollte nach dem dritten Lebensjahr des Kindes in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung des Kindeswohls entschieden werden, ob und in welcher Höhe Unterhalt zu zahlen ist und ob und in welchem Umfang der betreuende Elternteil gleich, ob Mann oder Frau, einer Erwerbstätigkeit nachgehen muss. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung zum Betreuungsunterhalt werde ich daher genau beobachten. Sollte sich die strenge Auslegung des Bundesgerichtshofs in der Rechtsprechung verfestigen und das Bundesjustizministerium hierauf nicht reagieren, kommt eine bayerische Bundesratsinitiative in Betracht, um eine Gesetzesänderung herbeizuführen. Ich werde mich in jedem Fall dafür einsetzen, dass dem Kindeswohl der ihm gebührende hohe Stellenwert eingeräumt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Beate Merk, MdL
Staatsministerin