Frage an Beate Merk von Norman M. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Merk,
sie werden auf heise.de mit den Worten zitiert:
"Da Daten anders als Autos oder Handys keine Sachen sind, kann man sie nicht stehlen. Und wo es keine gestohlene Ware gibt, da gibt es auch keine Hehlerei."
Mich würde interessieren, inwieweit diese Aussage auch auf das Schwerverbrechen "Raubkopieren" anwendbar ist. Immerhin handelt es sich dabei auch nur um den Austausch von Daten. Falls ein Unterschied zwischen Musik-Daten und Steuer-Daten besteht, wie werden Daten kategorisiert und wie kann ich erkennen, welche Daten ich unbehelligt stehlen darf? Kann man im Zusammenhang von Daten überhaupt noch von Diebstahl sprechen, wenn es sich dabei nicht um Sachen handelt?
Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Jemand stiehlt einer großen Krankenversicherung viele persönliche Daten der Kunden und erpresst anschließend die Krankenkasse mit diesen Daten. Macht er sich strafbar? Prinzipiell hat er ja nichts gestohlen, oder doch?
Ich sehe ein, dass Daten keine physikalischen Dinge sind (wobei das so auch nicht stimmt, da Daten zu jedem Zeitpunkt durch eine physikalische Konfiguration von Elementarteilchen auf einem sogenannten Datenträger vorliegen), aber man sollte dabei auch beachten, dass sich die Welt im sogenannten Informationszeitalter befindet. In diesem Zusammenhang sind die Daten eines Menschen neben der Wahrheit das wichtigste Gut, dass jeder Mensch besitzt. Machen diese Daten doch einen nicht unerheblichen Teil der Identität des Menschen aus.
Mit freundlichen Grüßen,
Norman Malessa
Sehr geehrter Herr Melassa,
für Ihre E-Mail als Reaktion auf meinen Namensartikel "Kaufen oder nicht Kaufen" im Münchner Merkur danke ich Ihnen und freue mich, dass sie sich so engagiert an dieser Debatte beteiligen. Solche Rückmeldungen sind für mich wichtig. Es ist in der Tat eine sehr schwierige Frage, ob der Staat die Steuersünder-CDs kaufen darf, die derzeit mehreren Bundesländern angeboten wurden. Hier kann man - wie die aktuelle Debatte zeigt - sehr unterschiedlicher Meinung sein. Ich habe in dem Artikel klar zu Ausdruck gebracht, dass der Staat hier sehr sorgfältig abwägen muss. Einerseits haben viele Menschen bei dem CD-Kauf zu Recht ein ungutes Gefühl; es bleibt der fade Beigeschmack, dass der Rechtsstaat mit Straftätern Geschäfte macht - und das ist für mich als Justizministerin ein sehr gewichtiger Gesichtspunkt. Aber andererseits bin ich der festen Überzeugung, dass der Staat in Zeiten der häufig leider hemmungslosen Marktwirtschaft entschlossen handeln sollte, wenn einzelne sich zu Lasten der Gemeinschaft zu Unrecht bereichern. Hier brauchen wir ein klares Signal, dass der Staat alle Straftaten - ganz gleich ob der Täter arm oder reich ist - konsequent verfolgt und für Steuergerechtigkeit sorgt. Nachdem ich diese Gesichtpunkte miteinander abgewogen habe, habe ich die Auffassung vertreten, dass wir uns diese Daten beschaffen sollten.
Warum sich unsere Strafverfolger bei dem Ankauf nach deutschem Recht nicht strafbar machen und die CD im späteren Strafprozess verwertet werden dürfen oder zumindest wichtige Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen liefern können, habe ich in dem Namensartikel näher begründet.
Etwas überraschend war die Reaktion mancher über meine Feststellung, dass der "Datenklau" kein Diebstahl im Sinne unseres Strafgesetzbuches ist, denn das ist unter Juristen völlig unstrittig: Der Straftatbestand des Diebstahls (§ 242 des Strafgesetzbuchs) setzt voraus, dass der Täter eine "bewegliche Sache" einem anderen wegnimmt. Wegen Hehlerei (§ 259 des Strafgesetzbuchs) macht sich strafbar, wer eine "Sache" ankauft oder einem anderen verschafft. "Sache" im Sinn dieser beiden Bestimmungen kann nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und der juristischen Literatur nur ein körperlicher Gegenstand sein; bei der Hehlerei muss es sich dabei um den Gegenstand handeln, der Tatobjekt einer anderen Straftat war. Das Sichverschaffen und die Weitegabe von Daten als solchen erfüllen diese Tatbestände daher eindeutig nicht.
Personenbezogene oder geschäftliche Daten als solche sind damit keineswegs schutzlos; der strafrechtliche Schutz für diese Daten - dessen Stellenwert ich als Verbraucherschutzministerin sehr hoch einstufe - wird durch andere Bestimmungen unseres Strafgesetzbuches gewährleistet bzw. durch das Bundesdatenschutzgesetz, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb oder etwa das Urheberrechtsgesetz. Im konkreten Fall habe ich aber dargelegt, dass sich ein deutscher Beamter meines Erachtens auch insoweit nicht strafbar macht, wenn er die CD ankauft: Die schwere Steuerhinterziehung ist ein Delikt, das Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren vorsieht. Das Strafverfolgungsinteresse des Staates und das Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit sind dann höher einzustufen als das Geheimhaltungsinteresse der Bank an Steuerhinterzieherdaten. Strafbar macht sich der deutsche Beamte mit dem Ankauf somit nicht. Dass der Informant, der sich die Daten unberechtigt verschafft, dadurch eine Straftat begeht, habe ich mit keinem Wort in Zweifel gezogen.
Der von Ihnen eingewandte Umstand, dass z.B. jegliche Form des Raubkopierens von Musik, Videos oder Software strafbar ist, steht daher zu meiner Äußerung keineswegs im Widerspruch. Die Strafbarkeit dieser Handlungen ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Urheberrechts (§§ 106 ff. des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte). Für die Verletzung der urheberrechtlichen Bestimmungen ist es nämlich - anders als bei § 242 und § 259 StGB - allein entscheidend, dass eine urheberrechtlich geschützte geistige Schöpfung (Musik, Film) unberechtigt vervielfältigt oder verbreitet wird, ohne dass es darauf ankommt, in welcher Form dieses Werk gespeichert vorliegt und auf welche Weise die Vervielfältigung oder Verbreitung erfolgt.
Natürlich macht sich derjenige strafbar, der sich rechtswidrig Krankendaten beschafft und anschließend damit die Krankenkasse "erpresst". Er hat zwar keinen Diebstahl begangen - weil die Daten keine Sache sind -, aber schon das rechtswidrige Beschaffen ist in jedem Fall als Ausspähen von Daten strafbar. In Betracht kommen weitere Straftatbestände zum Schutz von personenbezogenen Daten. Sollte er etwa damit drohen, die Patientendaten öffentlich zugänglich zu machen, falls ihm die Krankenkasse nicht einen bestimmten Geldbetrag bezahlt, läge auch eine strafbare Erpressung vor. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte, dass die betroffenen Banken mit den Steuerdaten erpresst wurden.
Ich kann Ihnen versichern, dass alle Aspekte dieser durchaus komplexen Problematik umfassend geprüft und berücksichtigt wurden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Beate Merk, MdL