Frage an Barbara Lochbihler von Anna H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lochbihler,
gestern habe ich mit Freunden in größerer Runde darüber diskutiert, ob Handel mit nicht-demokratischen Regimes, welche die Menschenrechte nicht achten, von der Politik unterstützt oder unterbunden werden sollte. Dabei haben wir festgestellt, dass dieses Thema eine sehr wichtige Frage der kommenden Wahl für uns ist.
Gerade im Hinblick auf die kommende Wahl wäre es für uns interessant, Ihre Meinung hierzu zu kennen. Ihre Antwort könnte unter Umständen entscheiden, wo wir unser Kreuz setzen werden.
Ich würde mich über eine ausführliche Antwort freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Anna Hoffmann
Sehr geehrte Frau Hoffmann,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie ist ja zunächst einmal sehr generell gehalten. Ich will mal an einem konkreten Beispiel aufzeigen, welche Aspekte man beim Thema "Sanktionen gegen nicht-demokratische Regime" beachten muss.
Am 23. Januar d.J. beschloss der EU-Außenministerrat weitreichende Sanktionen gegen den Iran. Neue Verträge über den Import von Öl und verwandten Produkten in die EU wurden umgehend verboten, die laufenden Verträge sollen ab Juli 2011 aufgehoben werden. Alle Guthaben der iranischen Zentralbank auf europäischem Boden wurden eingefroren. Die Hoffnung der Minister: den Iran im Atomstreit wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Dieses Ziel kann ich nur unterstützen, denn eine militärische Konfrontation sollte unter allen Umständen vermieden werden. Experten verschiedenster politischer Überzeugung, vor allem aber iranische Oppositionsmitglieder äußern allerdings vehemente Kritik am harten Vorgehen der EU. Dem Ölsektor entspringen 80 Prozent der iranischen Wirtschaftseinnahmen. Ein breites Embargo der EU trifft somit, im Gegensatz zu zielgerichteten smart sanctions, in erster Linie die ohnehin wirtschaftlich und politisch gebeutelte iranische Bevölkerung, nicht die autokratische Regierung in Teheran. Zudem bietet ein solcher Eingriff durch die EU den Machthabern in Teheran eine willkommene Ausrede, die katastrophalen Auswirkungen ihrer eigenen Misswirtschaft auf den sogenannten Westen zu schieben.
Die undifferenzierte Herangehensweise der EU könnte außerdem zu einer Stärkung der iranischen Abschottungspolitik führen. Seit Jahren nutzt die Regierung in Teheran die Tatsache, dass die EU Atomwaffen in anderen Ländern stillschweigend akzeptiert, den Iran aber unter Druck setzt, um die Rückzugspolitik gegenüber dem "Westen" zu rechtfertigen. Tatsächlich verfügen Länder wie Pakistan oder Israel über nukleare Sprengköpfe, haben im Gegensatz zum Iran aber nicht einmal den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben. Dem häufig geäußerten Vorwurf, die EU messe in ihrer Außenpolitik mit zweierlei Maß, kann zumindest in dem Bereich nur stattgegeben werden.
Ob ein Öl-Embargo die iranischen Diplomaten und Atomexperten davon überzeugen wird, zu verhandeln, ist fraglich. Es droht sogar das Gegenteil: eine Trotzreaktion, eine weitere Flucht in die üblichen ideologisch aufgeladenen Muster, im schlimmsten Fall sogar eine militärische Eskalation.
Es ist schwer zu sagen, wer letztlich Recht behalten wird. Auch innerhalb der GRÜNEN Europafraktion gab es angeregte Diskussionen und unterschiedliche Meinungen. Ich schließe mich der GRÜNEN Vorsitzenden der Iran-Delegation Tarja Cronberg sowie jenen Experten und iranischen Oppositionellen an, die solche Sanktionen kritisch sehen. Gleichzeitig ist zu hoffen, dass die Maßnahmen doch zu einer beidseitigen Verhandlungsbereitschaft führen werden. Denn letztlich wird der Atomstreit mit dem Iran wie so viele andere außenpolitische Konflikte nur an einem Ort zu lösen sein: am Verhandlungstisch.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weiter geholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Barbara Lochbihler