Frage an Barbara Lochbihler von Rolf S. bezüglich Wirtschaft
Können Sie versichern dass es durch die Produktion von Biokraftstoffen zu keinerlei negativen Einflüssen auf die Welthungersituation kommt? Und das auch wenn man die indirekte Landnutzungsänderung mit einbezieht? Dass jegliche Befürchtung dass wegen 2009/30/EG auch nur ein Mensch auf diesem Planeten aufgrund von "Tank oder Teller" mehr für sein Essen bezahlen muss, völlig haltlos ist?
mit freundlichen Grüssen
Rolf Schmidt
Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Antwort ist leider: Nein, ich kann nicht versichern, dass es durch die Produktion von Biokraftstoffen zu keinerlei negativen Einflüssen auf die Welthungersituation kommt. Allerdings ist die Sachlage gleichzeitig sehr komplex; pauschal zu behaupten, Biokraftstoffe führten automatisch zu Hunger in den Entwicklungsländern, greift zu kurz.
Tatsächlich sind - entgegen der öffentlichen Meinung - die Auswirkungen der Biokraftstoffproduktion auf das Recht auf Nahrung derzeit noch relativ gering, wenngleich natürlich jeder negative Einfluss zu kritisieren ist. Auch weiterhin kommt ein Großteil der Reste aus der Biospritproduktion in Form von Futtermitteln auf den Markt. Dennoch: Sollten wir die Nutzung von Biokraftstoffen in Zukunft ausweiten wollen, werden auch die negativen Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung zunehmen. Wenn wir beispielsweise in der EU versuchen sollten, 20% usneres Bedarfs an Treibstoff aus Biomasse zu gewinnen, müssten wir über die Hälfte unserer eigenen Agrarfläche dafür nutzen. Da dies nicht machbar wäre, würde ein Großteil der Produktion in Drittländer verlagert werden müssen. Dass dabei zusätzlicher Druck auf die Nahrungsmittelpreise, eine stellenweise Tank-statt-Teller-Substitution und auch anderweitig (direkte und indirekte) negative Auswirkugnen auf das Recht auf Nahrung der lokalen Bevölkerung in den Drittländern entstehen würden, ist schwer von der Hand zu weisen. Als Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament und als Menschenrechtspolitikerin im Allgemeinen kritisiere ich jedwede Art einer solchen menschenrechtlichen Beeinträchtigung aufs Schärfste, sowohl gegenüber anderen als auch innerhalb meiner eigenen Partei. Auch mein Kollege und Agrarexperte Martin Häusling nimmt in diesem Zusammenhang eine kritische, differenzierte Haltung ein. Ja, die Energiewende ist nötig, und ja, auch Biokraftstoffe können hier in einem gewissen Rahmen eine förderliche Rolle spielen. Aber gleichzeitig müssen die Menschenrechte, wie im internationalen und europäischen Recht verankert, Vorrang haben und jeder Beeinträchtigung des Rechts auf Nahrung Vorschub geleistet werden.
Die Frage ist allerdings, wie ein solcher "Vorschub" möglich sein könnte. Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern sind wir GRÜNEN im Europäischen Parlament da sehr kritisch. Zwar sind Zertifizierungsprogramme eine Option, aber es dürfte zumindest mittelfristig schwierig sein, das nötige Know-How in manchen Drittländern zu entwickeln, denn der administrative Aufwand und der Kontrollbedarf sind enorm. Auch werden sich viele Staaten gegen einen Eingriff der EU in diesem sensiblen Bereich wehren. Schließlich stellt sich die Frage nach den Sanktionen: Wie soll die EU reagieren, wenn beim Anbau von Pflanzen zur Produktion von Biotreibstoff die festgelegten Regeln nicht eingehalten werden? Würde sie überhaupt reagieren, wenn sie von den Importen dieser Pflanzen abhängig wäre? Anders ausgedrückt, wie möchte man die Sanktionen lückenlos durchsetzen, wenn man doch selbst darunter leiden würde? Es bleibt also festzuhalten: Beimischungsziele der EU und Deutschlands, die über einen Biokraftanteil von 5% beim Diesel hinausgehen, sind unter derzeitigen Bedingungen unrealistisch - zumindest wenn den Menschenrechten, vor allem dem Recht auf Nahrung Vorrang eingeräumt werden soll. Hinzu kommt, dass die CO2-Entlastung durch Biokraftstoffe (gerade auch aufgrund von Rodung zur Anbauflächengewinnung) ohnehin minimal ausfallen würde. Die bisherigen Biospritpläne stoßen somit bereits jetzt an ihre Grenzen.
Die steigenden Ölpreise und der Klimawandel zwingen uns nichtsdestotrotz, weiter nach Alternativen zu suchen. Auch gibt es durchaus Beispiele, in denen die Herstellung von Biokraftstoffen mit der Nahrungsmittelproduktion Hand in Hand geht, wenn beispielsweise bei der Nahrungsmittelproduktion Öle anfallen, die der Biospritproduktion dienen können und bislang als Abfallprodukt galten. Deshalb dürfen wir die Ernährungsfrage und Energieaspekte nicht weiter getrennt voneinander behandeln. Einmal mehr wird auch hier deutlich: Menschenrechte sind ein Querschnittsthema. Wenn wir es nicht schaffen, menschenrechtliche Aspekte in allen Teilbereichen europäischer und deutscher Politik zur Grundlage unseres Handelns zu machen, wird es nicht möglich sein, negative menschenrechtliche Auswirkungen zu vermeiden. Und genau dazu sind wir laut internationalem Recht verpflichtet. Dafür werde ich mich, gemeinsam mit meinen GRÜNEN Kollegen im Europäischen Parlament, in Zukunft weiterhin aktiv einsetzen - auch und gerade gegen den Widerstand in Teilen der Kommission und allgemein im konservativen Lager, das häufig Handels- und Wirtschaftsinteressen vor menschenrechtliche oder energiepolitische Belange setzt.
Mit freundlichen Grüßen und nochmals herzlichen Dank für die Anregungen!
Barbara Lochbihler.