Frage an Barbara Lochbihler von Sebastian B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lochbihler,
wie Ihnen sicherlich bekannt ist, hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland kürzlich die sogenannte Vorratsdatenspeicherung für Verfassungswidrig erklärt. Die deutsche Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten ist somit gekippt. Eine neue Regelung ist nur unter sehr bestimmten Auflagen Verfassungskonform.
Auch in Rumänien wurde die Vorratsdatenspeicherung vom Verfassungsgericht in der jetzigen Form erst mal gestoppt.
Meine Frage an Sie:
Besteht eine Möglichkeit, dass die EU die Richtlinie 2006/24/EG nun noch einmal vollständig überprüft und gegebenenfalls wieder abschafft? Wie bewerten Sie persönlich hier die Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit?
Sollte es noch Fragen Ihrerseits geben, so stehe ich Ihnen jeder Zeit und gerne zur Verfügung; zur weiteren Information empfehle ich Ihnen die Webseite des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (vorratsdatenspeicherung.de).
Vielen Danke für Ihre Arbeit und freundliche Grüße, Sebastian Bartsch
Sehr geehrter Herr Bartsch,
Unten stehend finden Sie Frau Lochbihlers Antwort auf ihre Fragen zur Vorratsdatenspeicherung.
Mit besten Grüssen,
Hülya Tapti
"Besteht eine Möglichkeit, dass die EU die Richtlinie 2006/24/EG nun noch einmal vollständig überprüft und gegebenenfalls wieder abschafft?"
Die EU-Kommission erstellt derzeit, wie schon lange vorgesehen, eine Evaluierung der Richtlinie. Dazu hatte sie letztes Jahr einige NGOs um Stellungnahmen gebeten. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat eine umfangreiche Stellungnahme eingereicht, die wir inhaltlich voll unterstützen: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/antworten_kommission_vds_2009-11-13.pdf
Wir werden in Brüssel als Grüne Fraktion darauf drängen, dass die Kommission im Herbst eine massive Beschränkung der Vorratsdatenspeicherung vorschlägt oder am besten gleich ihre vollständige Aufhebung anstrebt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass das Europaparlament diese Linie ebwenfalls mit trägt. Für eine Entscheidung brauchen wir allerdings auch den Ministerrat, in dem u.a. die Bundesregierung vertreten ist. Sie können dabei helfen, indem sie die Arbeit des AK Vorrat in Deutschland unterstützen und damit weiter Druck auf die Bundesregierung aufbauen.
"Wie bewerten Sie persönlich hier die Güterabwägung zwischen Freiheit und Sicherheit?"
Das Europäische Parlament hat auf Initiative der Grünen Fraktion in seiner Resolution zum Stockholm-Programm letzten Herbst hier eine bedeutende Klarstellung vorgenommen, die mit der unsäglichen "Balance"-Metapher aufräumt:
"Das Europäische Parlament (...)
7. hebt hervor, dass die Europäische Union im Grundsatz der Freiheit verwurzelt ist; weist darauf hin, dass zur Unterstützung dieser Freiheit die Sicherheit im Einklang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und unter Einhaltung der aus den Grundrechten erwachsenden Verpflichtungen verfolgt werden muss; stellt fest, dass die Ausgewogenheit zwischen Sicherheit und Freiheit unter dieser Perspektive zu sehen ist;"
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2009-0090+0+DOC+XML+V0//DE
Kurz gesagt: Freiheit ist das Fundament, Sicherheit kann nur im Rahmen der Freiheitsrechte angestrebt werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Barbara Lochbihler