Frage an Barbara Klepsch von David L. bezüglich Politisches Leben, Parteien
Sehr geehrte Frau Klepsch,
als Anwohner in Ihrem Wahlkreis interessiert mich Ihre Position zur Institutionalisierung von Instrumenten, die eine ausgewogenere Beteilignug von Bürger*innen an politischen Prozessen ermöglichen. Insbesondere interessiert mich, ob Sie sich vorstellen können, sich für eine Verankerung von Bürger*innenräten als zunächst vorschlaggebendes, aber verstetigtes Organ auf bundes-, landes- oder kommunaler Ebene einzusetzen.
In Deutschland und anderen Ländern wurden Bürgerräte in den veragangenen Jahren als ein demokratischen Instrument erprobt. In Bürgerräten beraten zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus allen Lebenslagen zu einer politisch relevanten Fragestellung . Dabei werden sie durch Expert*innen fachlich unterstützt und werden aus verschiedenen Perspektiven informiert. Diskutiert wird also auf Basis des aktuellen Wissensstands. Die Mitglieder beratschlagen sich vor allem in moderierten Kleingruppen, sodass auch gerade die leisen Stimmen gehört werden.
Dieses Instrument ist für viele ein Hoffnungsträger, was die Überwindung von geistigen Gräben, Politikverdrossenheit und verebbten politischen Diskursen angeht. Es hat das Potenzial, dass auch marginalisierte Gruppen und Menschen mit geringem Bildungsstand im politischen Diskurs eine hörbare Stimme erhalten. Bisherige Bürger*innenräte haben gezeigt, dass es möglich ist, gemeinsam über politische Lager und Gräben hinweg an Lösungsvorschlägen zu potenziell polarisierenden Themen zu arbeiten und zu einer Einigung zu finden. Und das ganz ohne Polemik, gegenseitige Anschuldigungen, Machtspiele oder ähnliche unkonstruktive Dynamiken. Es braucht nur einen geeigneten, gut moderierten Raum dafür, den Bürgerräte schaffen können.
Mit einer rechtlichen Verankerung von Bürgerräten, können diese die repräsentative Demokratie stärken und Parlamentarier*innen als Kompass und Legitimationsgrundlage für Entscheidungen dienen.
Was meinen Sie?
Sehr geehrter Herr Loesche,
vielen Dank für Ihre Frage. Diese betrifft ein sehr interessantes Thema, dass aber gleichzeitig auch sehr viele Fragen aufwirft.
Im Freistaat Sachsen wird aktuell der Bürgerrat „Forum Corona“ durchgeführt. Ähnlich wie auch Sie es beschreiben, werden sich 50 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger mit Fragen rund um die „Corona-Pandemie“ beschäftigen. Dabei werden die Bereiche Bildung, Gesundheit, Politik und Wirtschaft in den Blick genommen. Gemeinsam erarbeiten die Mitglieder in mehreren Sitzungen bis zum Frühjahr 2022 Handlungsempfehlungen für die Politik. Die politischen Vertreter müssen dann entscheiden, wie sie mit den Ergebnissen umgehen.
Schon bei der Zusammensetzung wird die Frage interessant, ob es Teile in der sächsischen Gesellschaft gibt, die eher bereit sind, sich bei einem solchen Forum zu beteiligen – damit bleibt die von Ihnen beschriebene Ausgewogenheit zunächst offen. Der Sächsische Landtag und die entsprechenden Gremien bilden hingegen die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger ab. Die Abgeordneten des Sächsischen Landtages werden ebenfalls von Experten aus Wissenschaft und Praxis beraten. Zudem hat jeder Bürger die Möglichkeit mit den entsprechenden Vertretern der verschiedenen politischen Ebenen in den direkten Austausch zu kommen und damit seine Eindrücke oder Erfahrungen in das Parlament zu tragen.
Für die gesamte kommunale Ebene, die sich ja bereits aus ehrenamtlichen Vertreten zusammensetzt, stehe ich zusätzlichen Bürgerräten sehr skeptisch gegenüber – für eine Gemeinde oder eine Ortschaft wäre es eine sehr große Herausforderung, eine dann parallele Struktur zu unterhalten. Zudem kann sich jeder Bürger, bspw. in einer Sitzung eines Gemeinde- oder Ortschaftsrates, zu Wort melden. Unter dem Stichwort „Bürgerhaushalt“ gibt es auch weitere Formen der Beteiligung.
Im Vergleich zur kommunalen Ebene, professionalisieren sich die Strukturen ab der Länderebene. Dies hat gute Gründe. So ist der Aufwand der Meinungs- und Willensbildung sowie die fachliche Ausrichtung deutlich intensiver. Zudem obliegt den professionellen Parlamenten eine besondere Kontroll- und Aufsichtsfunktion bezüglich der Regierung.
In diesem Zusammenhang ist es für mich interessant, ob bspw. das „Forum-Corona“, nach der professionellen Begleitung, zu anderen Ergebnissen kommt, als das Parlament bzw. die Staatsregierung. Und vor dem Hintergrund der eingangs ausgeführten Gedanken zu speziellen Gruppen, ist es für mich zudem interessant, ob die Ergebnisse vielleicht auch eine große Schnittmenge zu einzelnen Fraktionen aufweisen. Diese Gedanken berühren dann auch Überlegungen der politischen Legitimität.
Abschließend möchte ich Ihnen mitteilen, dass es zunächst ein interessantes Modellprojekt ist, aber dass ich Ihre Einschätzung zu dann größerer Legitimität und Ausgewogenheit, ohne destruktive Dynamiken, nur sehr begrenzt nachempfinden kann, da nicht sichergestellt ist, dass die Gesellschaft in ihrem gesamten Spektrum in einem Bürgerrat abgebildet ist.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Klepsch