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Frage von Benno B. •

Frage an Barbara Borchardt von Benno B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Borchardt, ich habe an der Diskussionsrunde des Unternehmerverbandes in Parchim teilgenommen. Durch die Vertreter der anderen Parteien, insbesondere CDU, wurde die Frage der Übergabe von Verantwortung an die Regionen als ein Lösungsweg für die Probleme angesprochen. Wie stehen Sie dazu? Gleichzeitig wurde die Dienstleistungsrichtlinie angesprochen. Welche Position haben Sie dazu?

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Sehr geehrter Herr Bechtel,

vielen Dank für das Interesse in Vorbereitung der Landtagswahlen 2006. Gern beantworte ich Ihre Frage. Meine Partei und ich halten sehr viel von der Übergabe der Verantwortung an die Regionen. Hier kennt man die Stärken und Schwächen, kann man gezielt die entsprechenden Möglichkeiten nutzen. Deshalb haben wir z.B. bei der Erarbeitung des neuen Arbeitsmarktprogrammes des Landes die Übergabe der regionalen Verantwortung festgeschrieben. In so genannten Beiräten sitzen die Verantwortlichen einer Region und beraten auf der Grundlage der Entwicklungskonzeptionen der Region den möglichen Einsatz von finanziellen Mitteln. Diese festgeschriebene Zusammenarbeit aus Sicht des Landes gibt es aber nur im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Wünschenswert wäre es auch in anderen Bereichen. Das schafft Transparenz, Anerkennung für den Einsatz der finanziellen Mittel und hilft den Regionen bei der Umsetzung der Ziele. Dazu müssen aber auch alle Partner bereit sein.

Zu Ihrer zweiten Frage: Ich bedaure sehr, dass wir in diesem Forum nicht näher auf diese Entwicklung eingegangen sind. Denn gerade die „wirtschaftsfreundliche Partei“ CDU unterstützt die eingeschlagene Entwicklung. Die Dienstleistungsrichtlinie soll in den kommenden Wochen von der Europäischen Union verabschiedet werden. Ziel ist es, den Bereich der Dienstleistungen zu liberalisieren. Der entsprechende Richtlinienentwurf wird z.Z, nachdem er in den entsprechenden Kommissionen und im Europaparlament diskutiert bzw. verabschiedet wurde, von den Regierungen der einzelnen Länder diskutiert. Bereits im Vorfeld gab es zum entsprechenden Entwurf harte inhaltliche Auseinandersetzungen, die von meiner Partei als auch den entsprechenden Fraktionen im Bundestag, Europaparlament und Landtag unterstützt wurden. Im Januar 2006 führte die Landtagsfraktion eine öffentliche Anhörung durch, an der Vertreter der Handwerkskammer, der einzelnen Innungen, des DGB und von Einzelgewerkschaften teilgenommen haben. Der Landtag M-V positionierte sich auf Grund eines Antrages meiner Fraktion. Einzelne Forderungen wurden im Europäischen Parlament übernommen. Grund zur Entwarnung besteht jedoch nicht. Inhaltlich würden die konservativ-sozialdemokratischen Kompromissanträge den Richtlinienentwurf zwar in einigen Punkten abmildern. Die darin angelegte Grundtendenz zu einer weitgehenden Liberalisierung und Deregulierung des Dienstleistungssektors bliebe jedoch erhalten. Gegenüber der bisherigen Rechtslage ist eine bedrohliche Verschlechterung zu befürchten, insbesondere in Bezug auf den Abbau von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzrechten sowie der Rechtssicherheit. Benachteiligt werden insbesondere die Klein- und Mittelständischen Unternehmen, die Handwerksbetriebe. Hier nur einige Kritikpunkte:

1. Der Kompromissvorschlag von Sozialdemokraten und Konservativen zu Artikel 16 des Richtlinienentwurfs (bisher: Herkunftslandprinzip; jetzt: Dienstleistungsfreiheit) schafft keine Rechtsklarheit, welche Vorschriften bei einer zeitweiligen grenzüberschreitenden Dienstleistung im Tätigkeitsland letztlich zur Anwendung kommen sollen. Beide Fraktionen vermeiden es, vom Herkunftsland- oder alternativ vom Bestimmungslandprinzip zu sprechen. Damit wollen sie eine "Win-Win"-Situation herstellen: weder Sozialdemokraten (Bestimmungslandprinzip), noch Konservative (Herkunftslandprinzip) haben sich durchgesetzt, deshalb sei der Kompromiss "ausgewogen".
2. Ungeklärt bleibt nach wie vor, welche Vorschriften und Standards dabei zur Anwendung kommen sollen. Wenn z.B. ein spanischer Architekt beauftragt wird, in Saarbrücken ein Haus zu bauen und dabei mit einem belgischen Ingenieur und einem portugiesischen Bauleiter zusammenarbeitet - welches Recht, welche Qualitäts-, Verbraucherschutz- und anderen Standards sollen dann gelten? Diese ganz elementare Frage bleibt vollständig ungeklärt.

3. Es ist absehbar, dass künftig der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine noch viel bedeutendere Rolle in der Interpretation der Dienstleistungsfreiheit spielen wird als bisher. Gleichfalls ist zu befürchten, dass der Deregulierungsdruck auf die Mitgliedstaaten durch die EuGH-Rechtsprechung erhöht wird.

Weitere Fragen sind ebenfalls nicht geklärt. Deshalb bleibt unsere Forderung, dass der entsprechende Entwurf zurückgezogen werden sollte. Sehr geehrter Herr Bechtel, bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich nicht noch ausführlicher die entsprechende Situation darstellen kann. Sollten Sie zu diesem Thema weitere Fragen haben, dann verweise ich Sie auf meine Internetseite. Selbstverständlich können Sie aber auch die Möglichkeit über diesen Weg nutzen, direkt nachzufragen.

Mit freundlichen Grüßen,
Barbara Borchardt