Frage an Bärbel Höhn von Erich-Günter K.
Sehr geehrte Frau Höhn,
jüngst angeregt durch die Äußerungen des Herrn Bundesministers Schmidt zur Gefährdung von Standards bei den TTIP-Verhandlungen, möchte ich Sie um Ihre Meinung bitten zu der Frage „Was wäre, wenn wir vor zehn oder zwanzig Jahren bereits ein Freihandelsabkommen mit den USA u.a. abgeschlossen hätten?“
Wären diese politischen Entscheidungen dann durchsetzbar gewesen?(Beispiele):
Staatliche Förderung
• Alternativer Energien (bis hin zum Atomausstieg und zur Energiewende)
• Biologischer Landwirtschaft
• ÖPNV
• Gesundheits- u. Bildungswesen, Forschung, Sport, Kultur, Parteien, Kirchen, ÖRR
• Auflagen an den Handel zur Müllvermeidung (Verpackung, Recycling)
• Auflagen an die Industrie zum Umweltschutz (Grundwasser, Emission, Baustandards, Werkstoffe, Chemikalieneinsatz)
• Verbot von Steuerfluchtmodellen (Finanzsektor und internationale Konzerne)
Die Prozesse auf diesen Feldern waren und sind politisch mühsam genug. Hätten sie z.B. mit TTIP erreicht werden können?
Ein Blick nach vorn:
Unterstellt, Politik u. Gesellschaft engagierten sich weiter für ambitionierte Zukunftsprojekte, wären Entscheidungen unter TTIP-Bedingungen künftig denbar?
Staatliche Förderung
• Alternativer (Umwelt-)Technologien
• Alternativer Medizin (weniger Pharma- dafür mehr Naturheilprodukte, wo sinnvoll)
• Alternativer Geld- und Finanzwirtschaft
• Auflagen an die Internetwirtschaft (z.B. Einhaltung nationaler Standards und Regeln)
• Auflagen an die private Werbe- und Medienindustrie (Einschränkungen, Normen)
Diese Fragen stellen sich Bürger über den "Chlorhuhnhorizont“ hinaus. Außerdem meine ich, dass es sowohl Politik wie auch den Medien oft schwerfällt, die Komplexität dieses Vorhabens und deren massive Auswirkungen auf die Gesellschaft in Zukunft umfassend und zugleich verständlich darzustellen. Da fiel mir die Frage „Was wäre, wenn…“ in diesem Kontext ein.
Über Ihre Gedanken dazu würde sich sehr freuen
Erich-Günter Kerschke
Sehr geehrter Herr Kerschke,
vielen Dank für die interessanten Fragen, die Sie stellen.
Ihre grundsätzliche Frage ist natürlich eine hypothetische. Niemand kann sagen, wie genau die von Ihnen genannten politischen Vorhaben durch ein Freihandelsabkommen mit den USA beeinflusst worden wären. Fakt ist, dass vor 20 Jahren zwar über eine transatlantische Freihandelszone nachgedacht wurde, aber so weit mir bekannt ist, keiner die Aufnahme vom Investorenklagerechten gegen Staaten darin unterbringen wollte. Das Instrument wurde damals in Verträge mit schwachen Rechtstaaten aufgenommen, um Investoren vor materiellen Enteignungen wie der Beschlagnahmung von Fabriken etc. zu schützen. Die Entwicklung, dass Konzerne auf Grundlage anderer Verträge wie z.B. NAFTA gegen vorwiegend umweltpolitische Entscheidungen von Demokratien klagen, kam erst hinterher. Umso wichtiger ist, dass wir aus den dort gemachten Fehlern lernen und die Aufnahme solcher Klauseln in TTIP und übrigens auch in das schon ausverhandelte, aber noch nicht unterschriebene Abkommen mit Kanada (CETA) nicht hinnehmen. Genau darauf zielt auch unter Antrag: "Ablehnung von Schiedsgerichten bei CETA und TTIP", den wir im Januar im Bundestag eingebracht und debattiert haben:
http://www.gruene-bundestag.de/themen/freihandel/konsultationsergebnisse-beherzigen-klageprivilegien-zurueckweisen_ID_4394233.html
Union und SPD müssen Farbe bekennen: wollen Sie dieses Instrument, das keinen ersichtlichen Nutzen hat außer die Gewinne von Großkonzernen zu sichern oder wollen Sie demokratische Handlungsspielräume für bessere Regulierung erhalten. Ich bin gespannt auf die Debatte und Abstimmung. In jedem Fall bin ich davon überzeugt, dass der Druck der Zivilgesellschaft sehr genau beobachtet wird, auch aus dem Kanzleramt. Insofern: suchen Sie das Gespräch, auch mit Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen und machen Sie Ihre Bedenken deutlich. Der Vizekanzler macht den deutschen Einfluss in der EU klein, wenn er sagt, Deutschland werde kein Abkommen verhindern, das alle wollen. Erstens ist das nicht der Fall, auch in anderen Mitgliedstaaten gibt es deutlichen Widerstand. Zweitens kann man an vielen Debatten in der EU, zum Beispiel über die CO2-Grenzwerte von Autos, immer wieder beobachten, wie groß der politische Einfluss der Bundesregierung in Brüssel ist. Gerade bei TTIP und CETA muss er genutzt werden mit einem klaren Bekenntnis gegen die Investorenklagerechte.
Mit freundlichen Grüßen,
Bärbel Höhn