Frage an Axel Troost von Henning T. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Millionen von Arbeitslosen stellen ihre Konsumwünsche zurück, weil sie nicht über genügend Geld verfügen. Gerne würden sie sich dieses Geld erarbeiten, wenn man ihnen nur die Möglichkeit gäbe. Angebot und Nachfrage von Arbeitsleistung sind vorhanden, wieso finden beide nicht zusammen? Mit welcher Politik wollen Sie dieses Paradoxon lösen?
Sehr geehrter Herr Thielemann,
anbei erhalten Sie unsere programmatischen Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Troost
Direktkandidat die LINKE.PDS
Wirtschafts- und Finanzpolitik für Arbeit und soziale Gerechtigkeit
1. In die Zukunft investieren – für Arbeit, Bildung und Umwelt
Mehr sinnvolle Beschäftigung, mehr Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit, der Aufbau Ostdeutschlands und der notwendige ökologische Umbau der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft können nur gelingen, wenn der Staat seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung wieder gerecht wird.
Schulen und Hochschulen, Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, Krankenhäuser und Pflegeheime müssen saniert oder neu gebaut und personell besser ausgestattet werden. Viele öffentliche Anlagen und Einrichtungen sind dringend erneuerungsbedürftig. Energieeinsparung und Umweltschutz müssen vorangetrieben werden, bessere Wärmedämmung öffentlicher und privater Gebäude ist nötig. Vielerorts muss die Kanalisation dringend saniert werden. Das Schienennetz und der Fahrzeugbestand der Bahn müssen ausgebaut werden, viele Straßen sind erneuerungsbedürftig.
Die WASG fordert deshalb ein großes öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm. Die öffentlichen Investitionen, die in Deutschland auf einen historischen Tiefstand gefallen sind, müssen mindestens verdoppelt werden, damit sie wieder einen Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung wie im europäischen Durchschnitt und wie Anfang der 1990er Jahre erreichen. Wir folgen mit dieser Forderung Gewerkschaften und arbeitnehmerorientierten Wirtschaftswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, die hier ebenfalls den zentralen Ansatzpunkt einer alternativen Wirtschaftspolitik sehen.
Ein solches Programm schafft viele hunderttausend neue Arbeitsplätze und gibt einen starken Impuls für qualitatives Wachstum, das die Umwelt nicht weiter zerstört, sondern zugleich die sozialen und ökologischen Lebensbedingungen nachhaltig verbessert. Ungesteuertes privatwirtschaftliches Wachstum führt häufig zu sozialen und ökologischen Schäden. Öffentliche Investitionen bieten demgegenüber den Vorteil, dass sie gezielt an demokratisch ermittelten gesellschaftlichen Bedürfnissen und Zukunftserfordernissen ausgerichtet werden können.
Vor allem regionale, kleine und mittlere Unternehmen erhalten zusätzliche Aufträge. Es werden neue Beschäftigungsfelder erschlossen. Durch bessere Bildung und Infrastruktur sowie durch Förderung von Innovationen wird die Wirtschaftskraft gestärkt und langfristig gesichert.
Allerdings dürfen öffentliche Investitionen nicht gegen notwendige Personal- und Sozialausgaben ausgespielt werden. Die Entwicklung einer sozial gestalteten und zukunftsfähigen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft erfordert nicht nur Sachinvestitionen, sondern ebenso mehr Beschäftigung im öffentlichen Dienst.
Zur Finanzierung des Zukunftsinvestitionsprogramms ist nur in wirtschaftlichen Schwächephasen kurzfristig eine höhere Kreditaufnahme nötig. Diese planmäßig einzugehen ist sinnvoll, um Krisen zu überwinden und einen Aufschwung einzuleiten. In den folgenden Jahren ist dann eine solide und gerechte Finanzierung über Steuern und die Sanierung der öffentlichen Haushalte notwendig und möglich. Öffentliche Investitionen führen durch zusätzliche Produktion und Beschäftigung zu erheblichen Mehreinnahmen an Steuern und Sozialbeiträgen. Sie haben dadurch hohe Selbstfinanzierungseffekte und sind so viel effizienter und kostengünstiger als Steuersenkungen. Große Unternehmen, Reiche und Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen müssen wieder einen wesentlich höheren Finanzierungsbeitrag leisten.
2. Ostdeutschland und andere strukturschwache Regionen entwickeln
Wir halten fest an dem im Grundgesetz formulierten Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.. Insbesondere Ostdeutschland leidet bis heute an den Strukturbrüchen einer verfehlten Vereinigungspolitik. In allen relevanten wirtschaftlichen und sozialen Strukturdaten – beispielsweise Arbeitslosigkeit, Beschäftigung, Produktivität, öffentliche Finanzen, Industriestruktur – fallen die neuen Länder weit hinter das westdeutsche Niveau zurück. Der Aufbau Ost bleibt eine dringende und noch längst nicht gelöste Aufgabe.
Das von der WASG geforderte öffentliche Investitionsprogramm für Arbeit, Bildung und Umwelt wird die Nachfrage beleben und gerade auch in strukturschwachen Regionen die Entwicklung fördern. Es ist für den weiteren Aufbau Ost eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Spezifische Defizite in Ostdeutschland, etwa in der Infrastruktur, müssen durch gezielte Förderprogramme abgebaut werden. Darin muss ein besonderer Schwerpunkt des Investitionsprogramms liegen.
Der Aufbau der Infrastruktur dient sowohl der direkten Verbesserung der Standortbedingungen der Industrie als auch einer verbesserten sozialen und kulturellen Versorgung der Bevölkerung. Es geht dabei nicht um einzelne Prestigeobjekte, sondern um eine vor allem kommunal sichergestellte Versorgung in der Fläche, die ökologischen Kriterien genügen muss.
Eine weitere Förderung und Unterstützung der industriellen Entwicklung in Ostdeutschland und anderen strukturschwachen Regionen ist notwendig. Sie soll an konkreten Schwachpunkten der Industrie ansetzen und insbesondere Unternehmenskooperationen, Forschung und Entwicklung, Marktzugänge, Arbeitsorganisation, Qualifizierungsprogramme und Produktinnovationen fördern. Dabei sind diese Programme so zu gestalten, dass Mitnahmeeffekte möglichst gering gehalten werden. Ziel ist die Entwicklung tragfähiger regionaler Wirtschaftsverbünde und -kreisläufe. Gemeinden, Länder, Bund und EU sowie die Bundesagentur für Arbeit müssen hierbei zusammenwirken und ihre Aktivitäten koordinieren.
Die Strukturschwäche der Wirtschaft in den Neuen Bundesländern ist wesentlich auf eine falsche Politik der verantwortlichen Regierungen und der Treuhand zurückzuführen. Anstatt die Betriebe mit den vorhandenen Fachkräften zu modernisieren und wettbewerbsfähig zu machen, wurde der größte Teil der Betriebe von den neuen Besitzerinnen und Besitzern geschlossen. Die Folge ist, dass es in den Neuen Bundesländern vor allem an Betrieben des verarbeitenden Gewerbes, dem Hauptgerüst jeder Wirtschaft, mangelt. Dieser Fehler kann nur mit erheblichem Aufwand korrigiert werden. Er ist aber zwingend erforderlich.
Eine zielgerichtete Förderung der Neuen Länder und strukturschwacher Regionen muss in ein Gesamtkonzept qualitativen Wachstums eingebunden sein. Nur so kann eine zukunftsfähige Entwicklung erreicht werden. Eine Strategie fortgesetzten Lohndumpings und der Unterbietung von Sozial- und Umweltstandards wird dagegen die Entwicklung Ostdeutschlands zu einer Armutsregion ohne Zukunft verfestigen.
3. Öffentliche Beschäftigung ausbauen und aktive Arbeitsmarktpolitik stärken
Die Arbeitslosigkeit wird nicht allein durch mehr Beschäftigung im privaten Sektor abgebaut werden können. Zusätzlich zu öffentlichen Aufträgen an die private Wirtschaft, die dort neben der Beschäftigung insbesondere den Übergang zu ökologisch tragfähigen Produktionsmethoden fördern sollen, ist auch die direkte Ausweitung öffentlich getragener und geförderter Beschäftigung erforderlich.
Neben gesellschaftlich sinnvollen Arbeitsplätzen sichern öffentliche Dienstleistungen allen Menschen einen erschwinglichen Zugang zu wichtigen Grundgütern, z. B. im Bereich der Wasserversorgung, der öffentlichen Verkehrsbetriebe, des Gesundheits- und Bildungswesens. Auch die Bereitstellung und der Unterhalt kultureller und sozialer Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie für Ältere oder die Förderung des Sports sind öffentliche Dienstleistungen. Schließlich umfassen öffentliche Dienstleistungen den genuin staatlichen Bereich, etwa die Institutionen der inneren Sicherheit (Justiz und Polizei) oder der Interaktion zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern (Bürgeramt, Finanzamt, Grundbuchamt usw.).
Das Personal der öffentlichen Verwaltung und öffentlich getragener Dienstleistungsunternehmen ist seit 1991 in Gesamtdeutschland so stark abgebaut worden, dass in diesem Bereich mittlerweile weniger Menschen arbeiten als zuvor in der alten Bundesrepublik allein. Dies hat auf der einen Seite unmittelbar zum Anstieg der Arbeitslosigkeit beigetragen und auf der anderen Seite den Umfang und die Qualität öffentlicher Dienstleistungen spürbar vermindert und verschlechtert.
Die WASG setzt sich dafür ein, dass die regulären Stellen im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem, im Kulturbereich sowie in Justiz und Polizei wieder bedarfsgerecht aufgestockt werden. Wir setzen uns für eine deutlich verbesserte Kinderbetreuung in Krippen, Kindergärten und Ganztagsschulen ein, die es mehr Menschen ermöglicht, Beruf und Familie zu vereinen. Die deutsche Schulausbildung muss deutlich verbessert, Hochschulen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung müssen stärker gefördert werden. Das Angebot von aufeinander abgestimmten Ausbildungs- und Fortbildungsmodulen sowie betrieblicher Praktika muss ausgeweitet werden, um insbesondere jüngeren Arbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Die Zustände in Alten- und Pflegeheimen sind oftmals bestürzend und müssen dringend verbessert werden. Wir streben ein verbessertes Angebot im Bereich Kunst, Kultur und Museen an und werden uns für die Förderung des Breitensports stark machen. Staatliche Behörden müssen effizienter und kundenfreundlicher werden.
Zur Deckung des für diese öffentlichen Dienstleistungen benötigten Personalbedarfs müssen mindestens eine Million tariflich bezahlte Arbeitsplätze neu geschaffen werden.
Neben der Ausweitung der Beschäftigung in Einrichtungen der öffentlichen Hand strebt die WASG auch eine verstärkte staatliche Unterstützung von Beschäftigungsmöglichkeiten in unabhängigen, nicht profitorientierten Initiativen an. Vereine, Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, soziale und kulturelle Vereinigungen verfügen über eine Nähe zu ihrer Klientel, die im klassischen öffentlichen Dienst oft nicht zu erreichen ist. Derzeit ist die Förderung freier Träger und soziokultureller Projekte aus kommunalen Haushaltsmitteln völlig unzureichend, ja wird immer weiter verringert. Wir möchten diesen Bereich sozialer, kultureller und ökologischer Dienstleistungen und Angebote mit Hilfe projektorientierter Förderung wesentlich ausbauen.
Der Schwerpunkt der neu zu schaffenden Arbeitsplätze in diesem Bereich sollte denjenigen zugute kommen, deren Chancen auf dem Ersten Arbeitsmarkt besonders gering sind. Dies sind nicht nur gering qualifizierte, sondern vor allem ältere Arbeitslose. Im Rahmen eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors muss gerade für Ältere die Möglichkeit geschaffen werden, Beschäftigung bis zur Verrentung zu finden.
Die Weiterentwicklung von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, die eine Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt erfüllen, ist allerdings nur dann realistisch, wenn tatsächlich auf dem ersten Arbeitsmarkt, und zwar vor allem in den von starken Strukturbrüchen betroffenen Regionen der Neuen und Alten Bundesländer, neue Arbeitsplätze in erheblicher Zahl entstehen. Die von der WASG geforderten Strategieelemente bedingen einander. Ohne vermehrte öffentliche Investitionen und eine Stärkung der Massenkaufkraft kann aktive Arbeitsmarktpolitik auch in Zukunft nur das Elend der Massenarbeitslosigkeit verwalten.
4. Solidarische und gerechte Steuerpolitik
Die Finanzkrise des Staates ist nicht durch übermäßig wachsende Ausgaben verursacht, sondern durch die unverantwortlichen und ungerechten Steuersenkungen und Steuervergünstigungen für große Unternehmen und hohe Einkommen sowie die Abschaffung der Vermögenssteuer. Der Anteil der öffentlichen und sozialen Ausgaben an der erarbeiteten Wertschöpfung verharrt trotz wachsender Aufgaben, die durch die deutsche Vereinigung und die steigende Arbeitslosigkeit verursacht sind, seit 30 Jahren auf dem gleichen Niveau.
Der Anteil der Steuereinnahmen an der Wirtschaftsleistung ist dagegen deutlich gesunken, insbesondere in den letzten Jahren. Läge dieser Anteil noch auf dem Niveau des Jahres 2000, hätte der Staat über 60 Milliarden Euro jährlich mehr zur Verfügung. Dabei hat es eine gravierende Umverteilung der Steuer- und Abgabenbelastungen gegeben: Der Anteil der Steuern auf Gewinne und Vermögenseinkommen an allen Steuereinnahmen hat sich von 1978 bis 2003 von 28 auf 14 Prozent halbiert. Der Anteil der Lohnsteuern ist von 29 auf 36 Prozent gestiegen, deutlich zugenommen hat ebenfalls der Anteil der Mehrwert- und Verbrauchsteuern. Gleichzeitig ist die Belastung der Löhne und Gehälter mit Sozialbeiträgen gestiegen.
Die WASG fordert eine solidarische Steuerpolitik. Die Begünstigung der großen Unternehmen und der Vermögenden muss beendet werden. Der Staat muss wieder ausreichend Finanzmittel bekommen, um die sozialen und öffentlichen Aufgaben erfüllen zu können, ohne sich immer mehr verschulden zu müssen. Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. Zugleich müssen niedrige und mittlere Arbeitnehmereinkommen entlastet werden. Wir orientieren uns dabei an dem Konzept der Solidarischen Einfachsteuer, das die Gewerkschaften ver.di und IG Metall gemeinsam mit Attac und der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik entwickelt haben.
Wir wollen eine sozial gerechte Reform der Einkommensteuer, die kleine Einkommen entlastet und große stärker belastet. Steuerschlupflöcher für Vermögende und Großverdiener müssen geschlossen werden, der Spitzensteuersatz muss wieder auf seine frühere Höhe angehoben werden, mindestens jedoch auf 47 Prozent. Kapitalerträge und Spekulationsgewinne dürfen steuerlich nicht besser als andere Einkommen behandelt werden. Auch Börsenumsätze sind wieder zu besteuern. Das Ehegattensplitting ist abzuschaffen. Es begünstigt insbesondere Ehen, in denen ein Partner allein oder ganz überwiegend ein hohes Haushaltseinkommen erzielt. Lediglich eheliche Unterhaltsverpflichtungen in Höhe des Grundfreibetrags sind steuerlich weiter zu berücksichtigen. Für ältere Ehepaare ist eine Übergangsregelung vorzusehen. In Verbindung mit der allgemeinen Steuerreform treten nur für Ehepaare mit sehr hohen und ungleich verteilten Einkommen Mehrbelastungen auf. Die Mehreinnahmen sind zur Förderung von Kindertageseinrichtungen zu nutzen.
Die Steuergesetze müssen so gestaltet werden, dass insbesondere große und international tätige Unternehmen möglichst wenig Möglichkeiten zur Steuervermeidung und Steuerhinterziehung haben. Betriebsprüfungen sind zu verstärken. Durch die vollständige und realistische Erfassung sowie die angemessene Besteuerung aller erzielten Gewinne und Vermögenszuwächse muss das Aufkommen der Unternehmenssteuern wieder mindestens auf das Niveau des Jahres 2000 gebracht werden. Es wäre dann um etwa 20 Milliarden Euro größer als das im Jahre 2003. Dabei müssen vor allem den Kommunen erheblich höhere und stabilere Einnahmen gesichert werden. Auf europäischer Ebene fordern wir eine Angleichung der Regelungen zur Gewinnermittlung und Mindeststeuersätze, die nicht unterschritten werden dürfen.
Die Vermögensteuer muss wieder eingeführt und die Erbschaftsteuer reformiert werden. Dabei sind alle Vermögen realistisch zu bewerten. Durch Freibeträge ist dafür zu sorgen, dass normales selbstgenutztes Wohneigentum oder Mittel zur Altersvorsorge nicht betroffen sind. Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität sowie Steueroasen müssen verstärkt bekämpft werden. Insgesamt können durch unsere Reformvorschläge in der Summe Mehreinnahmen von über 80 Milliarden Euro jährlich erzielt werden.
Arbeit und Einkommen umverteilen – mehr Beschäftigung und Gerechtigkeit
1. Umverteilung von unten nach oben stoppen, Massenkaufkraft stärken
Seit mehr als 20 Jahren steigen Löhne und Gehälter erheblich langsamer als die Produktivität. Die Beschäftigten erhalten einen immer geringeren Anteil des wachsenden Reichtums, den sie Jahr für Jahr erarbeiten. Die Lohnsumme stieg real, also nach Abzug der Preissteigerung, von 1980 bis 2003 brutto um knapp die Hälfte und netto um weniger als ein Drittel. Gewinne und Vermögenseinkommen haben sich dagegen real, brutto wie netto um etwa 120 Prozent erhöht, also mehr als verdoppelt. Die Gewinne wurden zu einem erheblichen Teil nicht im Inland für den Konsum oder für Investitionen ausgegeben. Diese Umverteilung hat die Binnennachfrage also allgemein geschwächt. Besonders betroffen hiervon sind kleine und mittlere Unternehmen, die für den regionalen und inländischen Markt produzieren.
Wir unterstützen die gewerkschaftlichen Bestrebungen, die Einkommen mindestens in dem Maße zu steigern, wie die gesamtwirtschaftliche Produktivität und das Preisniveau steigen. Nur wenn auf diese Weise der Verteilungsspielraum ausgeschöpft wird, sind eine ausreichende Steigerung der Nachfrage, die Auslastung der Produktionsanlagen und wachsende Beschäftigung möglich. Es ist deshalb gerade in heutiger Zeit von entscheidender Bedeutung, die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften und die Bindungswirkung der Tarifverträge zu stärken. Nur so können sich die Beschäftigten vor Erpressungsmanövern der Arbeitgeber zur Durchsetzung von Lohnsenkung oder Arbeitszeitverlängerung schützen.
Die WASG will die Tarifautonomie und die Streikfähigkeit der Gewerkschaften stärken. Die im Jahr 1985 durchgesetzte Streichung des Anspruchs auf Arbeitslosenunterstützung bei Streiks „kalt“ ausgesperrter Beschäftigter (§ 146 Sozialgesetzbuch III bzw. § 116 des ehemaligen Arbeitsförderungsgesetzes) muss zurückgenommen werden. Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen muss erleichtert werden, auch ohne Zustimmung der Arbeitgeberseite.
2. Arbeitszeiten begrenzen, verkürzen und sozial gestalten
Die WASG tritt für weitere Arbeitszeitverkürzungen ein. Die Arbeit aller erzeugt einen kontinuierlichen Produktivitätsfortschritt. Sinnvoll und gerecht verteilt, muss dieser Produktivitätsfortschritt vornehmlich denen zugute kommen, die ihn erarbeiten, und zwar sowohl durch wachsende Einkommen wie durch kürzere Arbeitszeiten. Auch freie Zeit ist Wohlstand – Zeitwohlstand.
In einem umfassenden Sinne wurde der Produktivitätsfortschritt schon immer zur Finanzierung von Nicht-Arbeit genutzt: Nicht nur in Gestalt von längerem Urlaub und kürzeren Arbeitstagen, sondern in gleicher Weise durch öffentliche Finanzierung längerer Schul- und Ausbildungszeiten wie durch Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebensabends. Das waren keine Geschenke, sondern Ergebnisse zumeist heftig umkämpfter sozialer Reformen und harter Verteilungskonflikte. Heute glauben Unternehmer und ihre politischen Interessenwalter, die gegenwärtige Machtverteilung in den Betrieben und in der Wirtschaft nutzen zu können, um die Arbeitszeiten wieder zu verlängern.
Die WASG wendet sich gegen jede Arbeitszeitverlängerung. In Zeiten, in denen Millionen Menschen vergeblich Arbeit suchen, ist es sozial und volkswirtschaftlich unverantwortlich, die Beschäftigten länger arbeiten zu lassen und in der Folge noch mehr Menschen aus dem Erwerbsleben auszugrenzen. Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich bedeutet nichts anderes als Lohnsenkung und eine Steigerung des Gewinns. Damit wird die Nachfrage weiter geschwächt. Die Arbeitslosigkeit steigt dann aus einem doppelten Grund: Es wird weniger produziert und die zur Produktion nötige Arbeitszeit verteilt sich auf weniger Personen.
Die WASG tritt dem gegenüber für weitere Arbeitszeitverkürzungen ein, damit alle Menschen mehr freie und selbst bestimmte Zeit haben und Arbeitslose wieder Beschäftigung finden. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit drängt zu Arbeitszeitverkürzungen in großem Stil, auch wenn dies vorübergehend zu Lasten möglicher Lohnerhöhungen geht. Um beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzung zu fördern, kann es in besonderen Fällen Aufgabe des Staates sein, zeitlich begrenzt einen Teil des Einkommensausgleichs zu finanzieren.
Im Vordergrund steht als effektivste Form die allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Die 35-Stunden-Woche muss tarifvertraglich so bald wie möglich als Regelarbeitszeit in allen Wirtschaftsbereichen und Regionen durchgesetzt werden, insbesondere auch in Ostdeutschland. Wir unterstützen gewerkschaftliche Bestrebungen in diese Richtung. Längerfristig muss die Arbeitszeit im Maße des Wachstums der Produktivität weiter verkürzt werden. Dabei sind Regelungen zur Begrenzung der Arbeitsbelastung der Beschäftigten und über einen Beschäftigungsausgleich anzustreben. Die Perspektive ist die 30-Stunden-Woche. Die Durchsetzung hinreichend hoher Löhne in allen Bereichen und Qualifikationsniveaus ist dafür eine wichtige Bedingung.
Tariflich erkämpfte Arbeitszeitverkürzungen können und müssen gesetzlich abgesichert werden. Das Arbeitszeitgesetz muss geändert werden mit dem Ziel, die 40-Stunden-Woche als maximale durchschnittliche Wochenarbeitszeit zu verankern. Der derzeitige Trend zu Arbeitszeitverlängerungen kann damit gebrochen und Überstunden können begrenzt werden. Notwendig ist auch eine wirksame Kontrolle der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Zudem sind gesetzliche Regelungen zur Absicherung von Arbeitszeitkonten notwendig, insbesondere für den Insolvenzfall.
Bei der Verteilung von Arbeit und Freizeit setzen wir uns für differenzierte Lösungen ein. Arbeitsbedingungen und Lebensweisen unterscheiden sich ganz erheblich und mit ihnen die Bedürfnisse hinsichtlich Arbeit und Freizeit. Für Beschäftigte in besonders belastenden Berufen (z.B. Schicht- und Nachtarbeiter) ist die Möglichkeit vorzeitigen Ruhestandes ohne Rentenschmälerung zu eröffnen, spätestens ab dem 60. Lebensjahr. Andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden zusätzliche freie Tage oder Blockfreizeiten (Sabbaticals etc.) bevorzugen, sei es zum Ausgleich für besonders belastende Arbeiten, sei es nach Abschluss von Projekten und längerfristigen Arbeitseinsätzen.
Sozial wünschenswerte Formen einer Arbeitszeitverkürzung wären etwa regelmäßige Arbeitsfreistellungen zum Zwecke der Weiterbildung, Elternfreizeiten oder Beurlaubungen zur Pflege erkrankter oder pflegebedürftiger Angehöriger. Soweit Freistellungen oder Arbeitszeitreduzierungen aus diesen oder ähnlichen gesellschaftlich anerkannten Gründen in Anspruch genommen werden, müssen solche Zeiten rentenrechtlich als reguläre Arbeitszeiten anerkannt werden. Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung darf nicht durch Rentenminderung bestraft werden. Die Finanzierung von Berufsfreizeiten aus familiären Gründen ist so zu gestalten und teilweise davon abhängig zu machen, dass auch Männer sich daran beteiligen.
Insgesamt müssen in der Gestaltung von Arbeit und Freizeit die Bedürfnisse der Menschen wieder Vorrang bekommen. Dazu gehören auch die Wahrung gesellschaftlicher Zeitrhythmen und die Erhaltung von Ruhezonen gemeinsamer Freizeit wie etwa am Wochenende und an Feiertagen. Wir wollen dies auch durch ein weiterhin bundeseinheitlich geltendes Ladenschlussgesetz absichern.
3. Gegen Niedriglöhne und ungeschützte Beschäftigung
Die WASG wendet sich gegen untertarifliche Bezahlung und gegen die Ausweitung von Niedriglohnbeschäftigung. Vollzeitbeschäftigung muss in allen Wirtschaftsbereichen unter Einhaltung der Normalarbeitszeiten in jedem Fall ein existenzsicherndes Einkommen erbringen. Die Qualifikation der Beschäftigten und die mit ihrer Arbeit verbundenen Belastungen sind zu berücksichtigen.
Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn in der Größenordnung von brutto 1500 Euro monatlich oder 9 Euro je Stunde. Vollzeitarbeit muss ein Einkommen deutlich oberhalb des Existenzminimums sichern. Der Mindestlohn muss regelmäßig entsprechend der Entwicklung der Preise und der Einkommen erhöht werden. An der Festsetzung und der Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns sind die Gewerkschaften zu beteiligen. Der gesetzliche Mindestlohn bildet nur die absolute Untergrenze. In Wirtschaftsbereichen, in denen die niedrigsten tariflichen Lohngruppen oberhalb dieses Mindestlohns liegen, sind diese Tarifverträge auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich zu erklären.
Ein Entsendegesetz muss für alle Branchen vorschreiben, dass bei Einsatz auswärtiger Arbeitskräfte die am Arbeitsort üblichen Tarifverträge und arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen angewendet werden. Ein Tariftreuegesetz muss festsetzen, dass öffentliche Ausschreibungen nur an Unternehmen vergeben werden, die die Tarifverträge einhalten.
Erwerbsarbeit ist zunehmend durch einen Wechsel zwischen verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen und -formen geprägt. Neben unbefristeter Vollzeitbeschäftigung sind auch Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung, Phasen der Weiterbildung und begrenzte Auszeiten arbeits- und sozialrechtlich abzusichern. Hierbei sind die normalen Arbeitsbedingungen und Entgelte durchzusetzen. Alle Erwerbsarbeitsverhältnisse, auch in Formen von Selbstständigkeit, sind vollständig in die sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen.
Wir wollen alle geplanten oder schon durchgeführten Maßnahmen, die den gesetzlichen Kündigungsschutz einschränken, vollständig zurücknehmen. Vor allem muss die unbeschränkte Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge ab dem 52. Lebensjahr wieder abgeschafft werden. Die Lockerung des Bestandsschutzes von Arbeitsverhältnissen hat nachweisbar nicht zu mehr Neueinstellungen, sondern zu mehr Entlassungen geführt.