Frage an Axel Berg von Lauretta H. bezüglich Finanzen
Hallo Herr Dr. Berg-
Die Petition zum Bedingungslosen Grundeinkommen hat heute die notwendigen 50.000 Stimmen bekommen, um als Diskussions- Vorlage in den Bundestag zu kommen.
Wie stehen Sie zu dem Thema?
Wie geht es jetzt erfahrungsgemäss weiter? Da dies , so glaube ich, die erste Petition ist, die die notwendige Stimmanzahl erreicht hat- ist das meines Erachtens ein Präzedenzfall- oder?
Was passiert jetzt?
Viele Grüsse-
Lauretta Hickman
Sehr geehrter Frau Hickmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Petition von Frau Susanne Wiest zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Wird ein Bürgeranliegen als öffentliche Petition akzeptiert, wird es für sechs Wochen auf der Internetseite des Bundestages veröffentlicht. Wenn in den ersten drei Wochen mindestens 50.000 Unterstützer die Petition unterzeichnen (Quorum), lädt der Ausschuss den Petenten zu einer öffentlichen Sitzung ein – es sei denn, zwei Drittel der Ausschussmitglieder sprechen sich dagegen aus. In ihrer am 29. Dezember 2008 veröffentlichten Petition schlägt Frau Wiest die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor und konnte während der bis zum 17. Februar 2009 laufenden sechswöchigen Mitzeichnungsfrist fast 53.000 weitere Bürger von ihrer Idee überzeugen; Stimmen, die per Fax oder Postkarte beim Bundestag eingingen, sind dabei noch nicht mitgezählt.
Es handelt sich also unstreitig um eine der erfolgreichsten Petitionen der letzten Jahre. Gleichzeitig stellt der Antrag auch ein Lehrstück für die Möglichkeiten direkter Demokratie im Internet-Zeitalter dar. Ungeachtet dieses Erfolgs wurden die strengen Anforderungen der Quorums-Regel bei Petitionen jedoch nicht voll erfüllt. Frau Wiest ist es mit Ihrem Antrag nämlich nicht gelungen, die notwendigen 50.000 Mitunterzeichner in den ersten drei Wochen nach Veröffentlichung der Petition zu gewinnen.
Mit Hinblick auf das große öffentliche Interesse an dem Thema kann es jedoch durchaus sein, dass der Petitionsausschuss Frau Wiest trotzdem einladen wird. Sollte es dazu kommen, wird der Ausschuss den Antrag in ihrer Anwesenheit öffentlich beraten und Frau Wiest wird dabei Rederecht erhalten. Ob es zu einer solchen öffentlichen Beratung kommt, steht zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht fest. Die Petition befindet sich derzeit nämlich noch in der parlamentarischen Prüfung. Hiermit ist der Zeitraum ab dem Ende der Diskussions- und Mitzeichnungsphase bis zur Entscheidung durch den Deutschen Bundestag gemeint. Dabei geht die Petition den üblichen Geschäftsgang. Dies bedeutet konkret: Die Obleute beraten darüber, ob eine öffentliche Beratung in diesem Fall angesetzt wird. Dazu muss zumindest eine Fraktion im Ausschuss eine öffentliche Beratung beantragen. Außerdem holt das Sekretariat des Petitionsausschusses Stellungnahmen von Sachverständigen ein, zum Beispiel der entsprechenden Bundesministerien, der Bundesregierung oder anderer Institutionen, die die Idee des Grundeinkommens bewerten. Sollte der Ausschuss eine öffentliche Beratung befürworten, muss dann ein Termin hierfür gefunden werden. Ein Termin für eine weitere öffentliche Beratung ist in dieser Legislaturperiode bisher nicht mehr vorgesehen und müsste daher kurzfristig eingeplant oder auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Auf der Grundlage einer gegebenenfalls anberaumten öffentlichen Beratung sowie der von den Sachverständigen eingeholten Informationen wird der Ausschuss dann eine Beschlussempfehlung verabschieden – also einen begründeten Vorschlag für das weitere Vorgehen zu dem Thema. Diese Beschlussempfehlung wird von mindestens 2 Abgeordneten – den sogenannten Berichterstattern – vorgeprüft. Über diese Empfehlung werden alle Bundestagsabgeordneten dann abschließend im Plenum abstimmen.
Inhaltlich vertrete ich zum Thema Grundeinkommen noch keine abgeschlossene Position: Wir erleben derzeit einen Wandel der Arbeitswelt: Arbeit ist heute immer seltener eine organisatorisch und inhaltlich fixe Größe. Die Anforderungsprofile sind ständiger Veränderung unterworfen. Wissen und Produktionsanlagen müssen sich einem zunehmend globalen und schärfer werdenden Wettbewerb stellen. Arbeit mit fest umrissener Tätigkeitsbeschreibung tritt zugunsten flexibler Projektarbeit immer häufiger in den Hintergrund. Die Zahl klassischer Arbeitsverhältnisse ist daher rückläufig. Betriebe verkleinern ihre Kernbelegschaft und arbeiten verstärkt mit externen Zulieferern, Agenturen und Projektteams. Unbefristete Vollzeitbeschäftigungen weichen sogenannten „atypischen“ Beschäftigungsformen. Arbeit bekommt damit zukünftig einen fundamental anderen, flexibleren und selbständigeren Charakter als bisher.
Vor dieser Entwicklung macht eine pauschale Forderung einer „Integration in das Erwerbsleben“ nur begrenzt Sinn. Bereits der Begriff der „Integration“ setzt logisch die Existenz eines arbeitstechnischen Normzustands voraus. Als solcher wurde bisher das sogenannte „Normalarbeitsverhältnis“ begriffen: Ein unbefristetes, unselbständiges Arbeitsverhältnis, das einen geregelten Lohn aufweist, in dem der Arbeitnehmer der Weisungsgewalt des Arbeitgebers unterliegt und in die betriebliche Strukturen des jeweiligen Unternehmens eingegliedert ist. Das Konzept dieses Normalarbeitsverhältnisses stammt noch aus dem „fordistischen“ Wirtschaftsmodell – einer Wirtschaftsordnung, die sich auf standardisierte Massenproduktion und -konsumtion mit Hilfe von Fließbandfertigung stützte. Zu der Zeit war das Arbeitsverhältnis auch noch auf das „männliche Ernährermodell“ zugeschnitten: Der Arbeitslohn des Mannes musste als „Familienernährerlohn“ den Lebensunterhalt der ganzen Familie sichern und eine streng instrumentelle Arbeitseinstellung währende der Normalarbeitszeiten garantierte Autonomie während der arbeitsfreien (Frei-)Zeit.
Obwohl dieses fordistische Ideal in einer globalisierten Informations- und Innovationswirtschaft keine Gültigkeit mehr besitzt, versuchen wir es mit aller Kraft aufrecht zu erhalten. Besonders schwerwiegende Konsequenz dieser verzweifelten Ausrichtung der gesamten Arbeitsmarktpolitik an einer Vollbeschäftigung im Normalarbeitsverhältnis sind stetig wachsende Staatsausgaben. Zur Aufrechterhaltung einer hohen Beschäftigtenquote werden Milliardenbeträge für eine überaus kostspielige und ineffiziente Integrationsarbeit aufgewendet. Die Staatsausgaben des Bundes allein sind von 1991 bis 2005 um über ein Drittel von unter 300 auf über 400 Milliarden Euro gestiegen. Der aktuelle Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland beträgt insgesamt mittlerweile mehr als 1.500 Mrd. Euro, ca. 18.600 Euro pro Kopf, und wächst mit über 4.000 Euro pro Sekunde. Deutschland ist bereits mit über 63 % seines Bruttoinlandsprodukts und damit deutlich über der Quote des EU-Durchschnitts verschuldet. Zur Altschuldentilgung müssen inzwischen jedes Jahr neue Schulden aufgenommen werden. Zwischen 1965 und 2002 überstieg die Summe der Zinsausgaben sogar die Summe der Neuverschuldung - die Neuverschuldung deckte also noch nicht einmal mehr unsere Zinsausgaben. Dieses von der Bundesbank als „Teufelskreis der Schuldendynamik“ bezeichnete Problem hat zu einem bereits jetzt kaum noch abzutragenden Schuldenberg geführt. Selbst bei einer jährlichen Rückzahlung von 13 Milliarden Euro wäre dies in 100 Jahren nicht möglich. Der verschuldete Staat rutscht in den Teufelskreis einer Haushaltsnotlage aus immer höheren Zins- und Tilgungsverpflichtungen und einem immer begrenzteren Zugang zum Finanzmarkt. Diese Spirale endet für gewöhnlich erst mit dem Verlust der Kreditwürdigkeit oder der Zahlungsunfähigkeit (Staatsbankrott).
Für dieses Fundamentalproblem müssen wir möglichst bald eine praktikable und realistische Lösung finden. Das Grundeinkommen könnte eine solche Lösung darstellen, jedoch nur dann, wenn es nicht als utopisches Modell eines vom Arbeitszwang befreiten Ersatzparadieses, sondern als pragmatische und effiziente Antwort auf die grundlegenden Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen in unserer Gesellschaft verfolgt wird. Wissenschaftliche Gutachten haben beispielsweise gezeigt, dass ein Grundeinkommen nur in sehr geringem Umfang bedingungslos gezahlt werden könnte, ohne den Bundeshaushalt zu überfordern oder Fehlanreize zu setzen. Eine mögliche Lösung könnte daher ein geringes Grundeinkommen sowie eine negative Einkommensteuer im Niedriglohnbereich sein. Das bedeutet, dass jeder Bürger ein Grundeinkommen etwa in Höhe des heutigen Sozialhilferegelsatzes gezahlt bekäme und im Bereich darüber bis beispielsweise 1.000 Euro eine negative Einkommensteuer greift, so dass jeder verdiente Euro vom Staat finanziell belohnt würde.
Auf diese Art und Weise würde – insbesondere im Niedriglohnsektor – nicht wie heute Nichtarbeit belohnt, sondern Eigeninitiative durch starke Anreize gefördert. Außerdem würde durch die faktische Bereitstellung einer finanziellen Planungsgrundlage für alle Bürger auch die Bereitschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung und unternehmerischem Risiko gefördert. Mehr unternehmerische und selbständige Tätigkeit bedeutet dann auch mehr Arbeitsplätze und mehr wirtschaftliches Wachstum. Während das jetzige System eher die finanzielle Abhängigkeit der Leistungsempfänger fördert, würden wir damit die Möglichkeit zur individuellen wirtschaftlichen Selbstverwirklichung stärken und den bestmöglichen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft leisten. Richtig umgesetzt böte das Grundeinkommensmodell sogar Einsparpotentiale gegenüber den jetzigen Sozialausgaben, die dann in (Weiter-)Bildung und Forschung investiert werden können.
Ich bin kein romantischer Sozialutopist, der auf dem Weg eines verlockend einfach klingenden Konzepts eine abgemilderte Form des Sozialismus wiedereinführen will. Damit wir aber die in einer globalisierten Welt auf uns zukommenden demografischen Herausforderungen an unseren Sozialstaat auch nur annähernd bewältigen können, müssen wir neue Ideen und Konzepte ernsthaft prüfen. Nur so können wir die bestehenden Gerechtigkeitslabyrinthe unseres Arbeits-, Steuer- und Sozialsystems langfristig überwinden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB