Frage an Axel Berg von Angelika F. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Dr. Berg,
diese Woche brachte die Linksfraktion einen Antrag ein, der vorsieht, dass Sozialtickets für sozial Benachteiligte eingeführt werden, sodass deren Mobilität gesichert wäre. Siehe auch diesen Link: http://linksfraktion.de/nachricht.php?artikel=1419141485
Warum hat die SPD diesen Vorschlag nicht unterstützt? Die SPD will doch immer die "Partei des kleinen Manns" sein, was sie m.E. aber schon lange nicht mehr ist.
Warum sollte ein Rentner der 2.700 Euro Rente hat oder ein wohlhabender Pensionär ein "Rentnerticket" bekommen, aber viel ärmere Menschen wie z.B. Geringverdiener oder Arbeitslose müssen 100% bezahlen? Halten Sie das für sozial gerecht?
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Fuchs
Sehr geehrte Frau Fuchs,
vielen Dank für Ihre engagierte Anfrage zum Vorschlag der Linksfraktion, Sozialtickets für sozial Benachteiligte einzuführen. Ihren Unmut über die generelle Bevorzugung von Rentnern gegenüber Bedürftigen hinsichtlich vieler Dienstleistungen kann ich durchaus nachvollziehen. In vielen Fällen ist eine solche Ungleichbehandlung jedoch nicht gesetzlich begründet, sondern wird von den verschiedenen, oftmals privaten, Trägergesellschaften nach deren Gutdünken gehandhabt.
Der am 04. Dezember 2008 im Bundestag diskutierte Antrag der Linksfraktion "Sozialticket für die Deutsche Bahn" wurde aus inhaltlichen Gründen von der SPD abgelehnt, die ich Ihnen im Folgenden näherbringen möchte. Denn so sehr wir alle das Bedürfnis nach Mobilität als notwendige Voraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bei allen Menschen anerkennen, so wenig wäre die Einführung eines Sozialtickets der Deutschen Bahn geeignet gewesen, dieses Ziel in gerechter Art und Weise zu erreichen.
In dem Antrag hat die Linksfraktion explizit die Freizügigkeit bedürftiger Menschen geltend gemacht. Jeder Deutsche genießt gemäß Art. 11 Abs. 1 unseres Grundgesetzes Freizügigkeit, darf also seinen Wohn- und Aufenthaltsort frei bestimmen, also auch frei reisen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Entscheidung vom 17. März 2004 jedoch auch die Rechtmäßigkeit einer gesetzlichen Einschränkung dieses Grundrechts auf Freizügigkeit für unterstützungsbedürftige Personen klargestellt, wenn Bund, Ländern und Gemeinden sonst erhebliche Lasten erwachsen würden. Das Urteil des Bundes-verfassungsgerichts macht damit deutlich: Solange ein Bedürftiger vom Staat in kommunaler Gestalt unterstützt wird, ist er gehalten, diese Hilfe möglichst effizient zu nutzen. Aufgabe des Sozialstaates ist es daher grundsätzlich nicht, Bedürftigen eine Rundumversorgung zu bieten, sondern vielmehr Ihnen schnellstmöglich einen Weg zurück in die Eigenverant-wortung aufzuzeigen. Diesem Grundsatz schuldet die Entscheidung der SPD gegen den Antrag der Linksfraktion Rechnung.
Dies wird deutlich, wenn wir uns einem wichtigen Aspekt der Mobilität Bedürftiger zuwenden: Der Mobilität, die notwendig ist, um sozial Benachteiligten einen Wiedereinstieg in die Beschäftigung zu ermöglichen. Generell werden Fahrtkosten für Fahrten zu Bewerbungsgesprächen - soweit sie nicht sowieso schon vom einladenden Arbeitgeber getragen werden - für Arbeitssuchende von der Bundesagentur für Arbeit übernommen. Für Menschen im Niedriglohnbereich werden notwendige Kosten grundsätzlich über ergänzende Hilfeleistungen nach dem SGB XII berücksichtigt. Der Antrag der Linksfraktion ist daher insoweit nicht zielführend, als er das eigentliche Problem Bedürftiger nicht angeht: Anstatt die Eigenverantwortung Hilfsbedürftiger zu stärken und dazu beizutragen, dass sie "ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können", so wie es das Zweite Sozialgesetzbuch in § 1 Abs. 1 vorsieht, soll eine Abhängigkeit von sekundären Transferleistungen geschaffen werden.
Dem wollen wir mit durchdachten Konzepten entgegentreten, die bedürftigen Bürgern sachgerecht zu Gute kommen. Den wichtigsten Beitrag, den wir allgemein zur Lösung der Mobilitätsfrage für sozial Benachteiligte liefern können, besteht darin, Bedürftige möglichst schnell wieder in den Stand zu setzen, aus sicherem eigenem Einkommen mobil und kompetent am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Einen wesentlichen Schritt in diese Richtung haben wir mit dem Beschluss eines Maßnahmenpakets zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung geleistet: Damit begegnen wir der Schwäche der aktuellen Weltwirtschaft und sichern nachhaltig den deutschen Arbeitsmarkt.
Im Rahmen eines koordinierten Vorgehens begrüße ich auch ausdrücklich die Integration sachgerechter kommunaler Angebote zur Erweiterung der Mobilität bedürftiger Menschen. So wurde im von der SPD mitregierten Brandenburg als erstes Land ebenso wie nun auch in den Städten Berlin, Köln und Dortmund ein Mobilitätsticket für Bedürftige seitens des entsprechenden Verkehrsverbunds eingeführt. Der Unterschied zu dem von der Linksfraktion auf Bundesebene geforderten Sozialticket besteht darin, dass diese kommunalen Lösungen mit den Anbietern des Öffentlichen Personennahverkehrs abgestimmt und wirtschaftlich tragfähig durchkalkuliert sind. Solche durchdachten Mobilitätsangebote müssen wir in Abstimmung mit den übrigen Unterstützungsleistungen für Bedürftige ausbauen - jedoch nicht als tröstendes Almosen, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe - um Menschen wieder eigenverantwortlich in ein geregeltes Arbeits- und Sozialleben zu integrieren.
Das wurde im Übrigen nun auch in München mit dem Beschluss der Einführung einer "Isar Card S" als neue Initiative gegen die Armut erreicht. Alle Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII können einen "München Pass" beantragen. Dieser berechtigt zum Bezug des "Sozialtickets", welches monatlich 22,90 Euro und damit die Hälfte des Normalpreises kostet. Die andere Hälfte wird von der Stadt finanziert. Nach Schätzungen werden rund 75.000 Menschen den München Pass beantragen. Die Stadt München wird dazu rund 5,5 Millionen Euro jährlich beisteuern. Voraussichtlich ab 1. April 2009 sollen auch alle Automaten für den Verkauf des sozialen Tickets umgerüstet sein.
Ich danke Ihnen für Ihr Engagement für das Thema und hoffe, dass Ihnen die Gründe, aus denen wir den Antrag der Linksfraktion abgelehnt haben, einleuchten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB