Frage an Axel Berg von Heinz F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Berg
Nach 35 Jahren Stammwählerschaft bei der SPD bin ich nun doch stark im grübeln ob ich das so weiter aufrechterhalten kann.
Der Hintergrund ist die Debatte um Leih- und Zeitarbeiter.
Ich bin übrigens trotz guter Ausbildung bis zum Handwerksmeister auch davon betroffen.
Das aber diese Firmen z.T. damit werben das sie auch Krankheits- und Urlaubstage zahlen, müsste ihnen als Sozialdemokrat die Tränen der Wut in die Augen treiben ( und ihre Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit drehen sich im Grab um und wenden sich ab) . Ich kriege übrigens (trotz Feiertagsentgeltgesetz) auch keine Feiertage gezahlt, frohe Weihnachten.
Was Herr Clement (immer noch Mitglied der SPD) zu dieser Situation sagt ist, mit Verlaub, ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.
Auch ein Herr Florian Gerster war (oder ist ?) Mitglied der SPD.
Wenn ein kleiner Hartz IV - Empfänger den Staat bescheißt ist er ein Sozialschmarotzer.
Wenn aber jemand so wenig zahlt das man davon nicht leben kann und gleichzeitig der Meinung ist und sagt "den Rest kann er sich ja vom Arbeitsamt holen", dann fällt mir eigentlich nichts mehr dazu ein.
Das heißt die Sozialgemeinschaft soll dafür aufkommen damit er seine Kosten drücken und damit seine Gewinne steigern kann.
Das ist doch dann auch Sozialschmarotzerschaft, nur im großen Stil.
Und es kommt kein Aufschrei, keine Verurteilung kein nichts.
Verstehen Sie jetzt meine Bauchschmerzen mit der SPD ?
Als Handwerksmeister weiß man, daß wenn etwas schief gelaufen ist, man nachbessern muß.
Was gedenkt nun die SPD zu tun um diesen Tendenzen Einhalt zu gebieten und wieder für die Arbeiter da zu sein ?
( Man könnte ja mal ins Auge fassen Leiharbeit und Überstunden extra zu besteuern,
um der Wirtschaft einen Anreiz zu geben feste Arbeitsplätze zu schaffen. )
Quo vadis SPD ?
Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.
Vielen Dank schon mal im Voraus
Heinz Fischer
München
Sehr geehrter Herr Fischer,
vielen Dank für Ihre eindringliche Anfrage zur Problematik der Leih- und Zeitarbeit.
Die wachsende Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse, zu denen auch Leih- und Zeitarbeit zählt, stellt für mich ein drängendes Problem unserer Gesellschaft dar. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit erhöhte sich der Bestand an Leiharbeitnehmern in Deutschland zwischen 1993 und 2007 von 121.400 auf gut 731.000. Das entspricht einem Zuwachs von 500 Prozent!
Diese Entwicklung geht einher mit der Auflösung des Mittelstands, sozialer Desintegration sowie mit einem zunehmenden Auseinanderklaffen der gesellschaftlichen Schere. Drohende Folge ist das Entstehen einer Klasse praktisch ungeschützt Arbeitender, die aufgrund geringer Löhne und unzureichender Rechte zur arbeitsmarktpolitischen Verfügungsmasse werden. Das geht soweit, dass der Staat für diese Menschen zunehmend als Lohnzahler einspringen muss. Einige Unternehmen kalkulieren bereits explizit damit, dass sich ihre Beschäftigten den zum Überleben notwendigen Rest ihres unzureichenden Lohns vom Staat holen - das ist keine Soziale Marktwirtschaft mehr sondern Staatslohnwirtschaft!
Mein Verhältnis zur Leiharbeit ist auch aus einem weiteren Grund mehr als gespannt: Während Leiharbeit ursprünglich den Zweck hatte, kurzfristig Einsätze bei gesteigertem Arbeitsbedarf zu ermöglichen, deutet vieles darauf hin, dass Betriebe heute Leiharbeit oft nur zur Senkung der Arbeitskosten nutzen. Mehrere Anzeichen sprechen dafür, dass es sich bei dem Trend zu länger andauernden Leiharbeitsverhältnissen um einen solchen betriebswirtschaftlich strategischen Einsatz der Leiharbeit zur Lohnkostensenkung handelt - der in vielen Fällen auch noch auf Kosten von Festanstellungen geht. Dies widerspricht klar dem vom Gesetzgeber im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verfolgten Ziel, durch Leiharbeit Beschäftigung zu fördern. Eine Ersetzung unbefristeter Beschäftigter durch Leiharbeiter entspricht nicht meinem Verständnis einer effektiven Beschäftigungsförderung!
Es ließen sich hier noch viele weitere Kritikpunkte an der Leiharbeit vorbringen, etwa die eingeschränkte Bereitschaft der Betriebe zur Ausbildung und betrieblichen Weiterbildung oder die Einschränkung der sozialen Sicherheit und der gesellschaftlichen Identifikation der Leiharbeiter. Letztlich bleibt uns aber nur die Möglichkeit, die Situation der – wie Sie – von Leiharbeit betroffenen Menschen schrittweise zu verbessern.
Einen ersten Schritt dahin haben wir bereits 2004 mit der Einführung des nun ab Beginn des Leiharbeitsverhältnisses geltenden Gleichbehandlungsgebots getan: Demnach sollen dem Leiharbeitnehmer grundsätzlich gleiche Bedingungen und ein gleicher Lohn wie den Stammbeschäftigten gewährt werden – ein Grundsatz, der durch die EG-Richtlinie Nr. 104 im Jahr 2008 als europaweit einheitlicher Mindeststandard für die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer festgelegt worden ist.
Allerdings ist die Durchsetzung dieses Gebots bis heute von der im Einzelfall unterschiedlichen tarifvertraglichen Regelung abhängig. Entsprechend dem Beschluss des Hamburger SPD-Parteitages von 2007 wollen wir das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nun insoweit ändern, dass das Gleichbehandlungsgebot generelle Anwendung findet. Außerdem wollen wir in der Regierungskoalition im Februar eine Lohnuntergrenze für Leiharbeiter auf den Weg bringen.
Ihr Vorschlag, Leiharbeit und Überstunden extra zu besteuern, erscheint im Kontext der aktuellen wirtschaftlichen und gesetzlichen Situation nur bedingt Ziel führend: Mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahr 2004 wurde die Leiharbeit erst kürzlich in wesentlichen Punkten liberalisiert, um Arbeitslose auf diesem Wege wieder in Lohn und Brot zu bringen. Die Einführung einer zusätzlichen Besteuerung der Leiharbeit würde diese arbeitsmarktpolitischen Ziele wieder konterkarieren. Wenn man sich aus besagten Gründen einmal grundsätzlich für die Zulassung der Leiharbeit entschieden hat, ist es sinnvoller, die Rechte der Leiharbeiter zu stärken, als ihre Zahl durch Besteuerung wieder zu verringern. Auch die Besteuerung von Überstunden ist in der aktuellen wirtschaftlichen Situation, in der viele Firmen nicht nur Überstunden abbauen, sondern bereits Kurzarbeit einführen, nicht geeignet, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beizutragen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass uns bei der Arbeitsmarktpolitik generell die Hände gebunden wären: Mit dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit zu einem modernen Dienstleister haben wir die Voraussetzungen für eine schnelle und effiziente Vermittlung und eine größtmögliche Unterstützung für arbeitslose Menschen geschaffen. Erste Erfolge zeigen sich. Auch die Beschäftigungschancen für gering Qualifizierte wollen wir weiter verbessern. Schon heute gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Lohn aufzustocken. Diese sollen gebündelt werden. Dabei darf es aber nicht zu einer dauerhaften Lohnsubventionierung kommen. Wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger von ihren Erwerbseinkommen auch leben können. Ein Wettlauf um niedrige Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen führt nicht zu mehr Beschäftigung.
Im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik steht jedoch die konsequente Förderung soliden Wachstums - eines der wichtigsten Mittel um die Konsolidierung der Staatsfinanzen zu erreichen und die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Aus diesem Grund haben wir bereits im November letzten Jahres mit dem Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ eines der größten Konjunkturpakete in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Mit Hilfe des Programms kurbeln wir die Konjunktur an und investieren in zentrale Zukunftsbereiche wie Forschung und Entwicklung: Sie sind Voraussetzung für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb werden die Mittel für Forschung und Entwicklung um sechs Milliarden Euro aufgestockt.
Wir investieren 4,3 Milliarden Euro in eine moderne Verkehrsinfrastruktur und bauen Schienennetz, Wasserwege und Straßen aus. Mittelständische Betriebe, insbesondere das Handwerk, sind arbeitsintensiv und haben ein hohes Potenzial für zusätzliche Beschäftigung. Daher unterstützen wir kleine und mittlere Unternehmen durch Anhebung der Grenzen der Umsatzbesteuerung von 125.000 auf 250.000 Euro.
Mit diesen zusätzlichen Investitionen fördern wir Wachstum und Beschäftigung und setzen zugleich auf die traditionellen Stärken unseres Landes: innovative Produkte, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine leistungsfähige Infrastruktur.
Ich hoffe, dass deutlich wurde, dass ich die bedenkliche Situation der Leiharbeiter mit großer Besorgnis wahrnehme. Sie können daher versichert sein, dass ich mich daher auch weiterhin mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln für eine Verbesserung unserer wirtschaftlichen Situation, insbesondere im Niedriglohnbereich, stark machen werde.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB