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Axel Berg
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Frage von Hans S. •

Frage an Axel Berg von Hans S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Dr. Berg,

Wir sind ein aussterbendes Volk. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es dem Gros der deutschen Bevölkerung immer schlechter gehen. Warum werden folgende Themen so wenig diskutiert:

- Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, die Finanzen, das Gesundheitswesen,das Bildungswesen,..
- was kann man gegen die demografische Entwicklung tun?
- warum haben wir so wenig Kinder ( ? Hauptursache : unser Wirtschaftssystem ?)
- welche Lasten kommen auf die Bevölkerung zu?

Ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit diesem Thema und je länger ich darüber forsche um so mehr graust es mir vor der Zukunft.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Stolley,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom Februar letzten Jahres zur demographischen Entwicklung in Deutschland. Die Verspätung meiner Antwort bitte ich Sie zu entschuldigen - durch die bürgernahe Tätigkeit in meinem Wahlkreis bekomme ich täglich eine große Zahl von Anfragen, die ich leider nicht alle sofort beantworten kann. Aufgrund meines Anspruchs, jede Anfrage qualifiziert zu beantworten, kommt es gelegentlich zu Verzögerungen, insbesondere wenn es sich wie hier um ein komplexeres Thema handelt.

Meiner Wahrnehmung nach wird dem Problem der demographischen Entwicklung durchaus ausreichend Aufmerksamkeit entgegen gebracht. Das mag auch daran liegen, dass sich das weltweite demographische Bild entsprechend dramatisch präsentiert: Die Weltbevölkerung soll bis 2050 auf über 9 Milliarden Menschen anwachsen, was hauptsächlich dem Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern Afrikas und Asiens geschuldet ist. Dadurch werden im Jahr 2050 über 86% der Weltbevölkerung in kaum oder wenig entwickelten Ländern leben.

Seit geraumer Zeit werden aber auch die demographischen Probleme Deutschlands heftig diskutiert: Die Zahl der Geburten geht in Deutschland bereits seit Ende der 60er Jahre stetig zurück. Spätestens seit der Wiedervereinigung ist auch in Ostdeutschland ein Einbruch der Geburtenzahlen festzustellen. Aus der Differenz von Geburten- und Sterbezahlen ergibt sich die sogenannte Natürliche Bevölkerungsentwicklung, welche in Gesamtdeutschland seit 1972 negativ ist.

Die Gesamtbevölkerungsentwicklung in Deutschland hängt darüber hinaus von der Zu- und Abwanderung ab. Bis Anfang der 1990er Jahre kam es in Deutschland teilweise sogar noch zu einem Bevölkerungswachstum durch Immigration. Dieses vorübergehende Wachstum bot jedoch keine nachhaltige Lösung für das demographische Problem. Einerseits handelte es sich bei den Zuwanderern oft nur um unzureichend ausgebildete Hilfs- und Gastarbeiter. Darüber hinaus ging die Zuwanderung seit 1992 kontinuierlich zurück. Seit 2003 kann die geringere Zuwanderung auch den Sterbeüberschuss nicht mehr ausgleichen: Seitdem schrumpft die deutsche Bevölkerung auch insgesamt. Bis 2050 wird ein Rückgang der deutschen Bevölkerung auf 51 Mio. vorhergesagt. Gleichzeitig soll der Altersdurchschnitt von derzeit 41 auf über 50 Jahre steigen.

Mit dieser demographischen Entwicklung gehen außerordentliche hohe Belastungen für umlagebasierte Sozialsysteme wie Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung einher. Dies lässt sich anhand der Rentenversicherung gut beispielhaft darstellen: Seit 1960 hat sich die Lebenserwartung um drei Jahre erhöht, bis 2030 wird sie noch einmal um drei Jahre steigen. Das bedeutet eine Verdoppelung der Rentenbezugsdauer! Gleichzeitig verschlechtert sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern. Lag es 1960 bei 5:1, müssen im Jahr 2030 nur zwei Beitragszahler einen Rentner finanzieren. Ohne strukturelle Veränderungen ist das finanzielle Ende des Rentensystems also bereits absehbar.

Daher setze ich mich für eine grundlegende und nachhaltige Reform unserer Sozialsysteme ein. Um den Sozialstaat zu retten, muss man ihn wieder auf eine stabile finanzielle Basis stellen. Bereits 2001 wurden mit der Rentenreform erste Weichen gestellt: Maßnahmen zur Dämpfung des Beitragsanstieges wurden mit der Einführung des Riester-Faktors, der Öko-Steuer und der Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge ergriffen. Ohne diese rot-grüne Reform wären die Beiträge für die Rentenversicherung heute bereits kaum noch bezahlbar.

Die bereits heute im Schnitt gegenüber der Steuerlast doppelt so hohen Sozialabgaben sind zugleich auch der Schlüssel zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands: Diese Abgaben müssen gesenkt werden, um die Bürger wirklich nachhaltig zu entlasten und ihre Wirtschaftskraft zu stärken. Eine Abgabensenkung käme auch am ehesten einer gerechten Lastenverteilung zu Gute und würde nicht einseitig die Bezieher hoher Einkommen bevorzugen: Eine grundlegende Reform der Sozialsysteme mit dem Ziel einer wesentlichen Absenkung der Abgabenlast hat für mich und meine Fraktion daher absolute Priorität!

In dem Zusammenhang wollen wir auch die gesetzliche Rentenversicherung als wichtigste Säule der Alterssicherung in Deutschland grundlegend neustrukturieren. Denn nur mit Hilfe nachhaltiger strategischer Reformen in der Alterssicherung sind die Voraussetzung für Bezahlbarkeit, Verlässlichkeit und Gerechtigkeit der Renten auch zukünftig gegeben. Dazu wird auch die betriebliche und die private Vorsorge ein fester Bestandteil der Rentenplanung werden müssen.

Doch lassen Sie mich auch noch einmal auf den Kern des Demographie-Problems eingehen: Deutschlands Geburtenrate sinkt, und zwar schon seit über 30 Jahren. Eine durchschnittliche Zahl von mindestens 2 Kindern je Frau hatte es sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands zuletzt Anfang der 1970er Jahre gegeben. Seitdem ist die durchschnittliche Geburtenrate auf deutlich unter 1,4 Kindern abgesunken - weit unter das zum Ersatz der Elterngeneration notwendige Niveau von etwa 2,1 Kindern je Frau.

Seit geraumer Zeit schon diskutieren wir vor dem Hintergrund dieser alarmierend niedrigen Geburtenrate über politische Instrumente wie Eltern- und Kinderbetreuungsgeld, die Finanzierung von Krippenplätzen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie kann es sein, dass jede Frau in Deutschland heute durchschnittlich nur noch 1,37 Kinder bekommt, während es in Schweden 1,8 und in Frankreich sogar 2,07 sind? Woran liegt das?

Wenn man sich genau ansieht, was in diesen Ländern anders läuft als bei uns, wird deutlich, dass dort die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wesentlich einfacher ist. Junge Frauen, die arbeiten möchten, müssen sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden - bei uns vielfach schon. Wir haben derzeit ein Krippenplatzangebot von 60.000, was bedeutet, dass bundesweit für 13,7 % der Kinder unter drei Jahren ein Platz zur Verfügung steht. Aufgeschlüsselt nach Ost- und Westdeutschland sieht es noch schlimmer aus: 36,7% der Kinder in Ostdeutschland, nur 7,5% der Kinder in Westdeutschland verfügen über einen Krippenplatz.

Im Klartext heißt das: die meisten Mütter können sich nicht aussuchen, ob sie arbeiten gehen wollen oder nicht. Und viele Frauen, die studiert haben, wollen dann eben lieber arbeiten gehen. Ihre Frage, was man dagegen tun kann, ist deshalb einfach zu beantworten. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mütter muss verbessert werden, und wir haben schon einige Maßnahmen ergriffen, um das zu erreichen.

Es war deshalb schon ein großer politischer Erfolg, dass Bund, Länder und Kommunen sich darauf verständigt haben, bis zum Jahr 2013 bundesweit für rund ein Drittel der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege zur Verfügung zu stellen. Bereits 2007 haben wir eine entscheidende Weiche dafür gestellt, dass Länder und Kommunen zügig mit dem Aufbau eines bedarfsgerechten Angebots für die Betreuung der Kinder dieser Altersgruppe fortfahren können: Der Bund hat ein Sondervermögen in Höhe von 2,15 Milliarden Euro für Investitionen in Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren eingerichtet.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass die demografische Entwicklung mittlerweile längst in unserem Alltag angekommen ist: immer mehr Menschen entscheiden sich für eine "Karriere nach der Karriere", für ein Seniorenstudium sowie für berufliche Neuorientierungen auch im fortgeschrittenen Alter. Wenn wir mit der demographischen Entwicklung konstruktiv umgehen wollen, bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als sie als Chance zu begreifen. Die Chance, uns auch noch im fortgeschrittenen Alter persönlich weiterzuentwickeln und unser Leben durch berufliche und individuelle Abwechslung zu bereichern. Letztlich geht es darum, auch in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft ein hohes Niveau an Lebensqualität aufrecht zu erhalten. Dies erfordert eine von uns allen gelebte Generationensolidarität, in der Alte von Jungen und Junge von Alten lernen können!

Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Position in dieser Frage verständlich machen konnte und damit einen Teil Ihrer Bedenken zur demographischen Entwicklung aufgreifen konnte. Sie erforschen in der Tat ein hoch spannendes Gebiet. Nur grauen vor der Zukunft sollte Ihnen nicht. Schon weil Angst ein schlechter Ratgeber ist. Und wie die Zukunft auch immer bedrohlich scheint, so pflanzte Luther doch sein Apfelbäumchen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Axel Berg MdB