Frage an Axel Berg von Siegfried k. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Berg,
ich hatte Sie bereits am 6.10.04 zum Thema Türkeibeitritt angeschrieben, aber keine Antwort erhalten.
Ich hatte Ihnen mitgeteilt, daß ich ein Wechselwähler bin und mit Respekt die Reformpolitik der SPD verfolge. Nun machen es mir die Grünen und Ihre Partei schwer zu verstehen, warum die Türkei in die EU aufgenommen werden soll.
Frage: Befürworten Sie persönlich auch den Beitritt?
MfG.
Sehr geehrter Herr Kinsky,
mit Bedauern habe ich feststellen müssen, dass ihr Brief in keinem
meiner Büros auffindbar war und sich auch niemand daran erinnern konnte.
Vielleicht ist er ja wirklich nicht angekommen. Aber gut, nun erhalten
Sie ja zumindest auf diesem Wege eine Antwort von mir:
Grundsätzlich habe ich bezüglich des Beitritts der Türkei zur EU eine
recht differenzierte Position, die ich Ihnen gerne erläutere. Ich bin
dafür, aber erst später und nur unter ganz bestimmten Bedingungen:
Die Diskussion der letzten Monate zeigt meiner Meinung nach deutlich,
dass die Vor- und die Nachteile einer Aufnahme der Türkei in die
Europäische Union sachlich und ausführlich diskutiert werden müssen.
Aber gerade die Sachlichkeit ist das, was ich leider oft in der
öffentlichen Diskussion vermisse.
Es stimmt natürlich, dass die Außengrenzen der EU durch eine Aufnahme
der Türkei unmittelbar zum Nahen und Mittleren Osten lägen und diese
Region sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerade durch Stabilität,
Frieden und Demokratie auszeichnet. Aber ich habe den festen Glauben,
dass sich dies in den nächsten 10 bis 20 Jahren ändern wird, Frieden
einkehren kann und die autoritären Systeme dem Ende zugehen. Hier könnte
die Türkei auch durchaus eine Vorbildfunktion einnehmen, wenn sie den
eingeschlagenen Weg der Reformen hin zu mehr Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit konsequent weitergeht. Dies sollte auch im
ureigensten Interesse der EU und Deutschlands liegen, denn nur eine
Befriedung der Region garantiert auch, dass keine Bedrohung für die EU
und Deutschland von dort ausgeht. Denn spätestens seit den Anschlägen
von Madrid sollte uns klar sein, dass der internationale Terrorismus
auch nicht vor Europa Halt machen wird. Und, um Terrorismus zu
bekämpfen, muss man auch die Ursachen des Entstehens und vor allem die
Rekrutierungsmöglichkeiten von terroristischen Bewegungen betrachten.
Meist ist Unzufriedenheit in den unterschiedlichsten Ausprägungen die
Motivation. Und besonders der große Zulauf von freiwilligen
Selbstmordattentätern etc. ist nicht nur mit religiösem Wahn zu
begründen. Oft ist es eher so, dass die Menschen keinen Ausweg aus Ihrer
Lage sehen, weil es ihnen z.B. wirtschaftlich so schlecht geht oder weil
sie sich unterdrückt fühlen – von wem auch immer: entweder vom eigenen
Regime oder von „dem Westen“ – dass sie erst dann fundamentalistisch
werden. Dies ist natürlich keine Entschuldigung für ihr Verhalten, aber
wenn man die Ursachen für die Unzufriedenheit an der Wurzel bekämpft,
wäre es sehr viel vorausschauender, bereits vor dieser Sinneswandlung
anzusetzen. Und vorausschauende Politik, die vielleicht wirklich zu
einer einigermaßen Befriedung der Region führt, sollte auch im Sinne der
EU ebenso wie im Sinne Deutschlands sein. Insofern ist für mich die
Unterstützung des Reformprozesses in der Türkei durch den Anreiz der
EU-Mitgliedschaft auch Terrorismusbekämpfung und kann vielleicht sogar
zur Befriedung der Region beitragen.
Dies bringt mich aber zu einem ganz anderen, aber entscheidenden Punkt:
Bis die Türkei wirklich zu einem Vollmitglied der Europäischen Union
werden kann, hat sie noch einen langen Weg vor sich. Nicht nur, weil die
EU sicher erst einmal aufgrund der gerade erst erfolgten Erweiterung,
eine Konsolidierungspause benötigt, sondern auch, weil natürlich die
Kopenhagener Kriterien bedingungslos auch für die Türkei gelten. Erst
wenn diese sichtbar reell erfüllt sind, kann die Türkei Mitglied der EU
werden. Vorher ganz sicher nicht, für jeden gilt das gleiche Recht und
ohne die vollständige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien wird die
Türkei sicher kein Mitglied der EU werden. Allerdings sollte man auch
nicht den Aspekt der positiven Auswirkungen auf den Reformprozess in der
Türkei vernachlässigen. Alleine die „Aussicht auf Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen“ Ende 2004 hat den Reformprozess extrem weiter
vorangetrieben. Ausgerechnet unter Erdogan hat sich in der Türkei mehr
an Demokratisierung getan als die 200 Jahre davor. Nun ist aber
natürlich vorrangig, dass die beschlossenen Reformen auch wirklich
umgesetzt werden. Zu einer konsequenten Fortführung der Reformen gehört
sicher auch eine hohe Kooperationswilligkeit seitens der Türkei bei der
Lösung des Zypern-Konflikts, dies alleine wird aber sicher nicht
ausreichen um Beitrittsverhandlungen aufzunehmen.
Den Aspekt der Religion, der ja oft angesprochen wird, würde ich gerne
aus der Debatte heraushalten. Die EU ist eine Wertegemeinschaft, die aus
einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft entstanden ist, ob allerdings hier
die Religion der Bevölkerung der einzelnen Mitgliedsstaaten
ausschlaggebend für das Werteverständnis ist, möchte ich anzweifeln.
Bereits jetzt leben Millionen von Moslems in den einzelnen
Mitgliedsstaaten der EU. Diese Menschen erfolgreicher als bisher zu
integrieren ist wichtiger als die Türkei, die sich immerhin zur
ausdrücklichen Trennung von Staat und Religion bekennt, auszuschließen
aus der Europäischen Union, nur weil der überwiegende Teil der
türkischen Bevölkerung sich zu einer anderen Religion bekennt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB