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Frage von Anton B. •

Frage an Axel Berg von Anton B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Hallo Herr Berg,

ich hätte da eine Frage zum Vertrag von Lissabon:

Auch wenn Irland noch zustimmen sollte, hat das Bundesverfassungsgericht unserem Präsidenten die Unterschrift dieses EU-Verfassungsersatzes untersagt.

Sofern er sich nicht über das Grundgesetz hinwegsetzt, kann Deutschland den Vertrag aufgrund seiner Verfassungswidrigkeit nicht ratifizieren.

Wie geht es da jetzt weiter?
Und warum tun alle so (allen voran die Bundesregierung), als ob das Verfassungsgericht nichts gesagt hätte, und als ob wir schon lange ratifiziert hätten?

Wäre es nicht gut, wenn sich der Bundesrat nach diesem Urteil noch einmal mit dem Thema beschäftigt und seine eigene Entscheidung auf die Rechtmässigkeit dieses Vertrages unter dem Licht, dass das Verfassungsgericht auf die EU - Reformation geworfen hat, neu betrachtet?

Schöne Grüße,

Anton Bergovec

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Sehr geehrter Herr Bergovec,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Vertrag von Lissabon. Gerne beziehe ich hierzu Stellung. Bitte entschuldigen Sie die späte Rückmeldung.

Lassen Sie mich aber zunächst auf Ihre Bemerkung eingehen, dass das Bundesverfassungsgericht Bundespräsident Horst Köhler „die Unterschrift dieses EU-Verfassungsersatzes untersagt“ habe. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundespräsident verständigten sich in gegenseitigem Einvernehmen darauf, aufgrund der anhängenden Verfassungsklagen gegen den Vertrag von Lissabon, mit der Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts zu warten.

Ihre Anfrage zielt hauptsächlich darauf ab „wie es weitergeht“. Durch das inzwischen ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon vom 30. Juni 2009 ist neue Dynamik in das Verfahren gekommen. Bevor ich Ihnen das Urteil, dessen Konsequenzen und den aktuellen Stand erläuterte, möchte ich gerne nochmal ganz Allgemein auf die Bedeutung des Projektes der Europäischen Einigung eingehen und darauf welche Bedeutung dem Vertrag von Lissabon in diesem Kontext zukommt.

Europa heute heißt, dass 27 souveräne Mitgliedsstaaten mit einer Gesamtbevölkerung von rund 500 Millionen Menschen gemeinsam die Ziele Frieden, Demokratie und Wohlstand verfolgen. Die Europäische Union ist im Kern ein Friedensprojekt. Sie hat durch eine mutige Erweiterungspolitik die in Europa bestehenden Gräben überwunden und so zu dauerhaftem Frieden und nie gekannter Stabilität beigetragen.

Nur die Europäische Union kann nachdrücklich und europaweit für die Durchsetzung von Mindeststandards der Wirtschaft, der sozialen Sicherung und Teilhabe, beim Klimaschutz und beim schonenden Energieeinsatz sorgen. Der Euro hat durch seine Funktion als Stabilitätsanker Europas in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise Wohlstand, soziale Sicherheit und Stabilität bewahrt, und zwar weit besser als jede nationale Währung es vermocht hätte. Die „soft power“ eines zusammen wachsenden Europas als Raum des Rechts, der Freiheit und der Sicherheit hat ein enormes Integrationspotential. Der gemeinsame Binnenmarkt hat die Wirtschaftskraft und die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefestigt.

Zudem, auch zeigt uns die aktuelle Krise deutlich, schwindet die Chance der einzelnen Nationalstaaten, auf das weltpolitische Geschehen noch Einfluss nehmen zu können. Selbst die großen Mitgliedsländer der Europäischen Union wären für sich allenfalls Mittelgewichte in Weltpolitik und Weltwirtschaft. Nur gemeinsam bilden sie ein Schwergewicht und werden von anderen weltpolitischen Mächten auf Augenhöhe wahrgenommen. Viele der heutigen politischen Herausforderungen sind nur gemeinsam lösbar. Jürgen Habermas sagt zu recht, dass nur die Europäische Union als global verhandlungsfähiges regionales Regime in der Lage ist, die prioritären Probleme anzugehen. Dazu gehören der Klimawandel, das extreme Wohlstandsgefälle, die Weltwirtschaftsordnung, die Verletzung elementarer Menschenrechte und der Kampf um knappe Energieressourcen. „Müsste nicht ein handlungsfähiges Europa im eigenen Interesse sein Gewicht für eine völkerrechtliche und politische Zähmung der internationalen Gemeinschaft in die Waagschale werfen?“

Das Zusammenwachsen der europäischen Staaten ist also friedenspolitisch, wirtschaftspolitisch und sozialpolitische das Beste, was uns in Deutschland passieren konnte. Aber damit wir zu 27st regierungs- und handlungsfähig bleiben brauchen wir den Vertrag von Lissabon.

Die Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedsstaaten sowie die neuen Herausforderungen einer globalisierten Welt machten eine Reform der vertraglichen Grundlage nötig. Der Verfassungsvertrag von 2005 sollte die EU für diese Herausforderungen fit machen. Seine Ratifizierung wurde jedoch durch die ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden blockiert. Der Vertrag von Lissabon entspricht im Wesentlichen dem Verfassungsvertrag, einige Dinge wurden geändert, um den Anliegen und Bedenken einiger Staaten gerecht zu werden.

Der Vertrag von Lissabon ist Voraussetzung, Grundlage und Rahmen für die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Entscheidend ist, dass durch den Vertrag von Lissabon die Handlungsfähigkeit, die demokratische Legitimität und die Transparenz der EU erhöht werden. So verringert der Vertrag beispielsweise die Blockademöglichkeit bei Entscheidungen im Rat der Europäischen Union und erhöht damit die Handlungsfähigkeit der Union durch veränderte Beschlussfassungsregeln. Eine große Zahl von Bereichen, in denen bislang Einstimmigkeit im Rat gefordert war, wird in die qualifizierte Mehrheit überführt. Zudem wird ab 2014 die doppelte Mehrheit als Abstimmungsverfahren eingeführt. Ausgenommen sind hiervon beispielsweise Steuern, Verteidigung und soziale Sicherung. Zudem wird die Demokratie in der EU gestärkt, u.a. durch ein Stärkung des Europäischen Parlaments. Das bisherige „Mitentscheidungsverfahren“ wird zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU. Das Parlament und der Ministerrat werden dadurch in 95 Prozent der Europäischen Gesetzgebung zum gleichberechtigten Gesetzgeber. Die Charta der Grundrechte wird zum verbindlichen Maßstab für die Handlungen der Europäischen Union. Nur in Großbritannien und Polen findet sie keine direkte Anwendung. Für eine ausführliche Stellungnahme zum Vertrag von Lissabon möchte ich Sie auf meine Homepage http://www.axel-berg.de verweisen. Unter Themen/Europa finden Sie eine Erklärung, die ich anlässlich der Abstimmung im deutschen Bundestag im März 2008 abgegeben habe.

Wichtig ist zu betonen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil den Lissabon-Vertrag und die diesbezügliche Grundgesetzänderung nicht beanstandet hat. Das heißt, dass der Lissabon-Vertrag – im Gegensatz zu dem, was Sie schreiben – verfassungskonform ist. Die Karlsruher Richter beanstandeten allerdings das Lissabon- Begleitgesetz des Bundestages, da es die Integrationsverantwortung von Bundestag und auch Bundesrat nicht hinreichend beachte. Im Kern geht es darum, dass die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat gestärkt werden müssen. Dem Bundestag kam die Aufgabe zu das Begleitgesetz so zu ändern, dass das Europäische Vertragswerk in wirklich allen denkbaren Fällen nur mit ausdrücklicher Billigung der nationalen Parlamente verändert werden kann. Das heißt, die Bundesregierung darf nur mit Zustimmung des Bundestages akzeptieren, dass Abstimmungsregeln geändert oder neue europäische Kompetenzen geschaffen werden.

Ich will ausdrücklich festhalten, dass es immer das Ziel der SPD-Bundestagsfraktion war, die Rechte des Bundestages im Bereich der Europapolitik weiter zu stärken. Dieses Ziel wird mit den in letzten Wochen erarbeiteten Gesetzen erreicht.

Mit den neuen Gesetzen werden nicht nur die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, sondern die Rechte des Deutschen Bundestages und auch des Bundesrates mit gesonderten Gesetzen präzise definiert. Das geschah in einer parteiübergreifenden Anstrengung von SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Gesetze gemeinsam mit den Fraktionen von CDU/CSU, FDP und Grünen in den Bundestag am 26. August 2009 eingebracht.

Im Anschluss an die Einbringung hat eine gemeinsame zweitägige Anhörung von Bundestag und Bundesrat zu den Begleitgesetzen mit namhaften Verfassungs- und Europaexperten stattgefunden. Hierbei haben die Sachverständigen – unter ihnen verschiedene Staatsrechtslehrer – festgestellt, dass die vorliegenden Begleitgesetze die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Vorgaben voll erfüllen. Der Europaausschuss des Deutschen Bundestages hat die Gesetze dementsprechend mit den Stimmen der genannten vier Parteien beschlossen, so dass die Verabschiedung – wie geplant – am 8. September stattfinden konnte. Ausgeschert sind lediglich die CSU und die Linkspartei, die in ihrer europaskeptischen Grundhaltung erstaunlich oft übereinstimmten.

Herzstück der neuen Gesetzgebung ist das sogenannte Integrationsverantwortungsgesetz. An diesem Titel können Sie erkennen, dass der Bundestag sich seiner Verantwortung für die europäische Integration und deren demokratische Legitimation sehr bewusst ist. Das Gesetz stärkt die Einflussmöglichkeiten des Bundestages; ich möchte Ihnen die drei wichtigsten Änderungen zur Stärkung der Rechte des Bundestages nennen:

- Änderungen der EU-Verträge im vereinfachten Verfahren gemäß dem Vertrag von Lissabon werden nur möglich sein, wenn der Bundestag dem durch ein Gesetz zuvor zugestimmt hat.

- Wenn die nationalen Regierungen der Europäischen Union Rechte übertragen möchten, über die die Europäische Union nicht bereits aufgrund bestehender Verträge verfügt, muss der Bundestag dem durch ein Gesetz vorab zustimmen.

- Dies gilt ebenfalls für Änderungen der europäischen Entscheidungsverfahren: Wenn in bestimmten Politikbereichen vom Verfahren der Einstimmigkeit zum Verfahren der qualifizierten Mehrheit übergegangen werden soll, darf die Bundesregierung dem nur dann zustimmen, wenn dies zuvor durch ein Gesetz abgesichert wurde.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Deutsche Bundestag in Zukunft jedem weiteren Schritt zu stärkerer europäischer Integration – in den meisten Fällen durch ein Gesetz – zustimmen muss. Das Parlament erhält durch die Begleitgesetze deutlich mehr und deutlich klarer definierte Rechte als zuvor.

Ich denke, dass die in letzten Wochen erarbeiteten Regelungen gut sind, da die nötige Balance gefunden wurde. Zum einen wurden die Beteiligungsrechte des Bundestages und des Bundesrates gestärkt. Gleichzeitig wird die Bundesregierung aber nicht zu stark eingeschränkt, so dass ihre Handlungsfähigkeit am Verhandlungstisch in Brüssel erhalten bleibt.

Abschließend möchte ich auf die Präambel unseres Grundgesetzes verweisen. Dort heißt es, bezogen auf die Rolle Deutschlands in Europa, dass das deutsche Volk vom Willen beseelt ist: „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Ich denke, besser und treffender als die Mütter und Väter des Grundgesetzes es getan heben, kann man das nicht schreiben.

Sobald der Bundesrat, der am 18. September tagt, seine Zustimmung zu den Begleitgesetzen erteilt hat, kann die Ratifikationsurkunde zum Vertrag von Lissabon durch den Bundespräsidenten ausgefertigt und in Rom hinterlegt werden. Deutschland setzt damit ein wichtiges integrationspolitisches Zeichen. Der Ratifizierungsprozess wäre somit noch vor der Volksabstimmung in Irland am 2. Oktober erfolgreich abgeschlossen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB