Frage an Axel Berg von Michael W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Berg,
wie ich zahlreichen Beiträgen entnehme, sind Sie mit der Thematik "Grundeinkommen" vertraut.
Ich habe mir als "ALG-II-Empfänger" ebenso meine Gedanken gemacht und halte eine Einführung des Grundeinkommens "von oben" für nicht realistisch, da die von den Parteien präferierten Modelle sich zwar gegenseitig nicht ausschließen, doch in der Praxis würde ein kaum nachvollziehbarer "Kuddelmuddel" herauskommen. Zudem ist Hartz IV bzw. ALG II momentan Realität, ganz wertfrei gemeint.
Deshalb meine Frage: Was halten Sie von der Idee, dass sich Hartz-IV-EmpfängerInnen für eine Pauschale von 30 € (statt 359 € ab Juli 2009, wenn ich richtig informiert bin, also 339 €) sozusagen aus den Bedingungen der ARGEn quasi "freikaufen" können? Sie müssen sich weder bewerben, sondern können es tun, wenn sie es für richtig und notwendig halten (begrenzt "Scheinbewerbungen" und somit Schaden auch für Firmen). Das so eingesparte Geld würde kommunal oder bundesweit addiert und auf die "Hartz-IV"-Kinder umgerechnet werden, soll heißen der Geldbetrag von momentan 211 bzw. 281 € (wenn dem noch so ist), würde sich erhöhen, umso mehr erwachsene ALG-II-Empfänger sich "freikaufen" würden. Im ARGE-Amtdeutsch könnte man dies auch "ALG-Generationsausgleichsbonus" o.ä. nennen.
Der Hintergrund ist jener, dass ich aus vier Jahren Beobachtung gesehen habe, dass viele sog. Arbeitslose sich nicht an der Höhe des ALG stoßen, sondern an der Gängelei der ARGEn, wobei die Fallmanager dies nicht aus Interesse am Kunden, sondern zu 90% aus überzogenen Pflichtbewusstsein tun - mit stellenweise katastrophalen Folgen für alle. Mit anderen Worten: finanziell wären es keine Mehrausgaben. Rechnerisch einfach umzusetzen und sozial ebenso, da sich Menschen gegenseitig unterstützen. Des weiteren könnte man auf die HARTZ-IV-Gesetze aufbauen und transformieren, ohne vor der unlösbaren Aufgabe zu stehen, etwas völlig Neues implementieren zu wollen.
Was denken Sie über diese Idee, Michael Winkler (Dresden).
Sehr geehrter Herr Winkler,
vielen Dank für Ihre Stellungnahme zur Möglichkeit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wie Sie gehe auch ich nicht davon aus, dass wir die bestehenden sozialen Sicherungssysteme einfach "per Dekret" durch ein Grundeinkommen ersetzen können. Aufgrund der Komplexität und hohen Bedeutung für die Betroffenen muss ein generell sicher notwendiger Systemwechsel schrittweise und inhaltlich durchdacht vollzogen werden.
Eine Möglichkeit, einen solchen Übergang zu vollziehen, haben Sie in Ihrer Nachricht beschrieben: Leistungsempfänger könnten sich von den bisher bestehenden Pflichten des Leistungsrechts freikaufen und mit diesem Geld in einen Fond zur Unterstützung hilfsbedürftiger Kinder einzahlen. Ihre Idee setzt dabei voraus, dass sowohl die bestehenden Leistungsgrundsätze als auch deren praktische Realisierung ineffizient sind. Die Frage ist, ob Ihre Erfahrung im Umgang mit der ARGE verallgemeinert und damit für alle Leistungsempfänger festgestellt werden kann, dass die Betreuer und Vermittler der Arbeitsagenturen nicht aus Interesse am Kunden, sondern aus falsch verstandenem Pflichtbewusstsein handeln.
Es kann durchaus sein, dass die gesetzlichen Grundlagen des derzeitigen Leistungsrechts zu sehr an unrealistischen Wunsch- und Idealvorstellungen einer möglichen Vollbeschäftigung orientiert sind. Sicher wird es auch Betreuer und Vermittler bei den Arbeitsagenturen geben, die sich zu sehr an internen Leistungsvorgaben und zu wenig an der Realität der Leistungsempfänger orientieren. Der Gedanke, sich als Leistungsempfänger von einer gesetzlich vorgegebenen Pflicht freikaufen zu können, bereitet mir jedoch aus folgenden Gründen Probleme:
Warum wird eine gesetzliche Pflicht überhaupt aufgestellt, wenn man sich anschließend durch eine Geldzahlung davon befreien kann - müsste dann nicht zunächst versucht werden, die gesetzlichen Grundlagen zu verbessern? Handelt es sich bei einer solchen Möglichkeit, sich freizukaufen, nicht nur um eine versteckte Steuer, die, wenn überhaupt, allen Bürgern nach dem Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit auferlegt werden müsste, um sozial schwache Kinder besser unterstützen zu können? Und schließlich: Würde die Gesellschaft die Betroffenen durch eine solche Regelung nicht vollständig aufgeben und sie ihrem Schicksal überlassen?
Dessen ungeachtet bin ich natürlich immer bereit, über mögliche Wege und realistische Lösungen für einen Systemwechsel im Bereich des Arbeitslosengelds nachzudenken. Ein Gedanke in Ihrem Schreiben scheint mir dabei besonders Erfolg versprechend: Leistungsempfänger sollten durch das Leistungssystem angehalten sein, sich gegenseitig zu unterstützen! Selbst wenn ein Leistungsempfänger keine Arbeitsmöglichkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt findet, besitzt er doch individuell besondere Fähigkeiten, Kenntnisse und Informationen, mit denen er anderen Leistungsempfängern helfen könnte. Warum machen wir dieses Potential bisher noch nicht nutzbar?
Warum wenden beispielsweise nicht mehr Kommunen das wunderbare Konzept an, das aus meinem Hauptarbeitsbereich, der Energiewende, kommt: 10 % der Sozialleistungsempfänger werden zu kleinen Energieberatern ausgebildet. Diese besuchen dann die restlichen 90 % - ausgerüstet mit Steckerleiste, Energiesparlampen und Wassersparduschkopf - und erklären, wie man Strom und Gas spart. Durch die Möglichkeit einer gegenseitigen Unterstützung wären die Leistungsempfänger besser informiert und würden ihre Kompetenzen kontinuierlich weiterentwickeln. Mangels anderweitiger beruflicher Alternativen könnte eine qualifizierte Unterstützungsleistung als Erfüllung der gesetzlichen Mitwirkungspflicht der Leistungsempfänger anerkannt werden.
Ob durch die schrittweise Einführung eines Grundeinkommens oder durch andere intelligente und realistische Maßnahmen zur Vereinfachung unserer Sozialsysteme: Ich bin überzeugt, dass wir eine praktikable Lösung der fundamentalen Gerechtigkeitsfragen in unserer Gesellschaft dringend brauchen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten riskieren wir sonst den sozialen Zusammenhalt in unserer ganzen Gesellschaft. Auch deshalb herzlichen Dank für Ihre konstruktiven Gedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB