Frage an Arnold Vaatz von Ralf H. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Vaatz,
Sie haben am 12.11. zum "BKA-Gesetz" zugestimmt. Dieses Gesetz umfasst u.a. die "heimliche Onlinedurchsuchung".
Erst vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht ein neues Grundrecht formuliert - das Grundrecht auf "Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme". Mit dem neuen "BKA-Gesetz" wird dieses Grundrecht ad absurdum geführt. Wie vereinbahren Sie dieses Grundrecht mit dem neuen "BKA-Gesetz"?
Mit dem "BKA-Gesetz" wurden heimliche Online-Durchsuchungen und heimliche Wohnungsdruchsuchungen ermöglicht. Als Bürger muss man demzufolge stets mit einer derartigen Durchsuchung rechnen. Dies gilt insbesonder auch für Bürger "die nichts zu verbergen haben", denn jeder Bürger kann durch bösen Willen (eine falsche Spur) oder durch Verkettung ungünstiger Zufälle in das Fadenkreuz der Ermittlungen geraten. Mit der Heimlichkeit der Durchsuchungen muss sich demzufolge jeder Bürger als Insasse eines Panoptikums fühlen. Es genügt, wenn jederzeit die Möglichkeit besteht, ausgespäht zu werden, um Angst vor einem solchen Ausspähen in den Bürgern hervor zu rufen. Und zu verbergen hat jeder Bürger etwas, sei es ungewöhnliche religiöse, politische oder sexuelle Ansichten oder eine Liebesaffaire.
Ich persönlich sehe in dem neuen BKA-Gesetz eine offensichtliche Verletzung von Grundrechten. Wie können Sie es rechtfertigen, dass sie trotzdem dafür gestimmt haben? Und wie können Sie das BKA-Gesetz mit der Angst vor einer panoptischen Überwachung vereinbaren?
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Hildebrandt
Sehr geehrter Herr Hildebrandt,
zunächst möchte ich Sie über die Hintergründe der Novelle zum BKA-Gesetz informieren:
Die Große Koalition hat im November 2005 im Koalitionsvertrag vereinbart: "Das Bundeskriminalamt soll zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus Präventivbefugnisse erhalten." Die grundgesetzliche Kompetenz der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus erhielt das BKA im Jahr 2006 durch Verfassungsänderung (Stichwort: Föderalismusreform I). Mit dem "Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus" erhält das Bundeskriminalamt nun die polizeilichen Befugnisse, die es zur Erfüllung dieser Aufgabe braucht. Die Maßnahmen entsprechen den Befugnissen, die den Länderpolizeien als Standardmaßnahmen zum allergrößten Teil bereits seit Jahren zur Verfügung stehen. Die Befugnis zur Online-Durchsuchung ist bislang erst in einem Landespolizeigesetz (Bayern) geregelt.
Entschieden trete ich der Behauptung entgegen, dass die Online Durchsuchung ungerechtfertigt Grundrechte verletze. Verdeckten Maßnahmen der Gefahrenabwehr werden wie bisher enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt und die Möglichkeit der Online Durchsuchung trägt dem aktuellen Stand der Technik Rechnung:
Eine Maßnahme wird nicht allein dadurch zur geheimdienstlichen Maßnahme, weil sie heimlich erfolgt. Die Heimlichkeit einer Maßnahme ist ebenfalls häufiges Merkmal einer ganzen Reihe von Maßnahmen der Strafprozessordnung und der Befugnisse in den Landespolizeigesetzen. Die Aufgaben und Befugnis der Dienste sind gesetzlich klar in den Dienstegesetzen geregelt. Die Dienste sammeln Nachrichten und Informationen über Bestrebungen, die sich gegen den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richten. Polizeiliche Befugnisse stehen ihnen nicht zu. Demgegenüber hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung oder bedeutende Sachwerte abzuwehren.
Beim BKA ist diese Aufgabe der Gefahrenabwehr beschränkt auf den Bereich des internationalen Terrorismus. Für diesen Bereich entsteht eine Doppelzuständigkeit: Neben dem BKA bleiben die Länderpolizeibörden für die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus zuständig. Für alle übrigen Bereiche der Gefahrenabwehr bleibt es bei der alleinigen Zuständigkeit der Länderpolizeibehörden.
Um seine neue Aufgabe im Bereich der Gefahrenabwehr erfüllen zu können, stehen dem BKA operative polizeiliche Standardmaßnahmen wie Sicherstellung oder Identitätsfeststellung, aber auch verdeckte Maßnahmen wie Observation, Telekommunikationsüberwachung oder Wohnraumüberwachung sowie erstmals die Maßnahme der Online-Durchsuchung zur Verfügung.
Die verdeckten Maßnahmen werden grundsätzlich auf Anordnung des Richters durchgeführt. Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen (Eilfälle) wird die Anordnung durch den Präsidenten des BKA getroffen, die richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.
Das Internet hat sich zu einer modernen Tatwaffe für Terroristen entwickelt. Dort findet man Bombenbauanleitungen, Propaganda für den heiligen Krieg bis hin zu gezielten Aufforderungen oder Verabredungen zu terroristischen Anschlägen. Das Bundeskriminalamt wird mit den neuen Befugnissen in die Lage versetzt, auf diese neuen Herausforderungen angemessen und wirkungsvoll reagieren zu können. Mit der offenen Beschlagnahme des Computers einschließlich Festplatte ist es im Zeitalter der Hochtechnologie nicht mehr getan. Hochprofessionelle Täter verschlüsseln ihre Daten auf den Festplatten, so dass sie im Fall einer Beschlagnahme nichts wert sind. Mit Hilfe von Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und Online Durchsuchungen können die Daten vor der Verschlüsselung ausgelesen werden.
Unter der Verantwortung von Bundesinnenminister Otto Schily waren bereits Online Durchsuchungen durch die Nachrichtendienste durchgeführt worden, allerdings ohne gesetzliche Grundlage. Die Maßnahmen wurden lediglich auf eine interne Dienstanweisung gestützt. Bundesinnenminister Dr. Schäuble hat die rechtswidrigen Maßnahmen gestoppt und dafür gesorgt, dass das Instrument der Online-Durchsuchung durch das BKA auf eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage gestellt wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Online Durchsuchung in seiner Entscheidung vom 27.02.2008 unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erachtet. Der BKA-Gesetzentwurf berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Punkt für Punkt. Das Bundesverfassungsgericht hat in derselben Entscheidung auch die Zulässigkeit der Maßnahme der Quellen-TKÜ bestätigt. Wie die konventionelle Telekommunikationsüberwachung ist sie am Maßstab des Art. 10 GG zu messen. Hier erforderliche Sicherungen sind auch in der Novelle des BKA-Gesetzes berücksichtigt. Die Maßnahmen der akustischen und optischen Wohnraumüberwachung zum Zweck der Gefahrenabwehr sieht das Grundgesetz ausdrücklich vor (Art. 13 Abs. 4 GG). Sie gehören zu den Standardbefugnissen in beinah allen Länderpolizeigesetzen.
Die Novelle des BKA-Gesetzes dient ausschließlich der Abwehr terroristischer Gefahren zum Schutz von Leib oder Leben der Bevölkerung und herausragender Sachwerte. Jede Maßnahme wird einer eigenen Eingriffsschwelle unterworfen, die auf die besondere Schwere des Grundrechtseingriffs in jedem Fall abgestimmt ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist gewahrt. Im Hinblick auf die Begrenzung der Aufgaben auf die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus wird nur ein sehr eng begrenzter Personenkreis betroffen sein. Das Schüren entsprechender Ängste in der Bevölkerung vor einem Überwachungsstaat entbehrt jeglicher Grundlage und ist deshalb unverantwortlich.
Mit freundlichem Gruß
Arnold Vaatz