Frage an Arnold Vaatz von Angelika H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Vaatz,
am 23.9.2008, 23 Uhr konnte, wer noch wach war auf ARTE den Beitrag: "Der große Ausverkauf-wohin ungebremste Privatisierung führt" sehen. Am Beispiel von Großbritannien wurde dargelegt, dass die Bahnprivatisierung in ein marodes Schienenetz und tödliche Unfälle geführt hat. Prof. Stiglitz, ehemliger Chefökonom der Weltbank und Nobelpreisträger machte auf einprägsame Weise deutlich, wie Lobbyisten großer Unternehmen diese Entwicklung steuern und wie sie davon provitieren.
Herr Vaatz, auch Sie haben für die Bahnprivatisierung gestimmt. Würden Sie es auch heute noch tun - nach der, schon wieder zurückgenommenen, Schaltersteuer?
Herr Vatz, unsere Bundeskanzlerin Frau Merkel, ließ sich von Herrn Bush die Hand küssen und empfang ihn in Mecklenburg, geschützt mit vielen Millionen Steuergeldern. Auch über diesen Mann bzw. seine Freunde wurde in diesem Beitrag von ARTE berichtet. Sein Freund Bechtel, Inhaber einer milliardenschweren Firma in den USA bekam in Bolivien, auf Druck der Weltbank, nach der Privatisierung der Wasserversorgung das alleinige Recht auf 50 Jahre! und erhöhte die Wasserpreise bis zu 300 %. Selbst das Sammeln von Regenwasser wurde verboten. Die Bürger von Bolivien leben in unvorstellbar dreckigen und furchtbar armen Verhältnissen - auch haben sie kein Geld für das mittlerweile auf Druck der Weltbank privatisierte Gesundheits-und Bildungswesen. Es kam zum "Wasserkrieg", viele Menschen starben im Kugelfeuer der Polizei.
Zu Recht besteht die Forderung, jegliche Lobbyisten auch aus unserer Regierung zu nehmen. Was meinen Sie dazu?
Mit freundlichen Grüßen aus dem Striegistal
Angelika Hörner
Sehr geehrte Frau Hörner,
die Privatisierung der Bahn birgt Zukunftsmöglichkeiten für Investitionen und Wettbewerb, aber auch Gefahren. Sie darf nicht dazu führen, dass die steuerfinanzierte Eisenbahninfrastruktur zum Renditeobjekt des Kapitalmarktes wird.
Zunächst einmal hat die seit der Bahnreform 1994 vorgenommene unternehmerische Ausrichtung der Bahn zu einer deutlichen Entlastung des Bundeshaushalts und damit letztendlich aller Steuerzahler geführt. Auch ist Qualität und Service bei der Deutschen Bahn AG gegenüber der früheren Behördenbahn besser geworden, auch wenn einzelne Streckenabschnitte in Sachsen dies noch vermissen lassen. Der nächste Schritt bei einer Aktiengesellschaft ist dann die Hereinnahme von privatem Kapital.
Die Grundsatzentscheidung der Beteiligung privaten Kapitals an der Deutschen Bahn AG wurde nach vier öffentlichen Anhörungsverfahren mit zahlreichen Experten und jahrelanger intensiver Diskussion im Deutschen Bundestag umgesetzt. Dabei haben die negativen Erfahrungen aus Großbritannien eine große Rolle gespielt. Der gefundene Kompromiss der Teilkapitalprivatisierung, die privates Kapital mobilisiert, aber den strategisch-gestalterischen Einfluss beim Staat belässt, vermeidet Fehler, die beispielsweise in England begangen worden.
Die Infrastruktur, die Bahnhöfe, das Schienennetz, die Elektrizität gehen nicht an den Kapitalmarkt, sondern verbleiben über die DB AG Holding zu 100 Prozent beim Bund. Der Bund bleibt also auf Dauer Eigentümer der Bahninfrastruktur, um damit seine Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur auch in Zukunft wahrnehmen zu können. Privates Kapital wird nur an den Bereichen Verkehr und Logistik mit 24,9 Prozent beteiligt, was außerdem an zahlreiche Bedingungen geknüpft ist. Mit dieser Lösung wurde ein guter Kompromiss gefunden, der negative Entwicklungen wie in England unmöglich macht – wenn der Börsengang der Deutschen Bahn AG stattfinden sollte.
Ihre zweite Frage bezieht sich auf den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung des Bundes. Anders als in Bolivien muss in Deutschland kein Bürger Sorge haben, dass Gesetze wesentlich von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften mitgeschrieben werden. Eine inhaltliche Einflussnahme einzelner Unternehmen oder Gewerkschaften auf politische Entscheidungen durch entsandte Lobbyisten beispielsweise in den Ministerien ist ausgeschlossen.
Erst in diesem Frühjahr wurde die Bundesregierung vom Bundestag aufgefordert, einheitliche Regeln für externe Mitarbeiter in der Verwaltung aufzustellen. Im Sommer wurde eine entsprechende Vorschrift erlassen, um jeglichen Verdacht einer unzulässigen Einflussnahme auf Entscheidungen der Ministerien auszuräumen. Die beschlossenen Verbotsbereiche (z.B. kein Einsatz bei der Formulierung von Gesetzesentwürfen, in Leitungs- oder Kontrollbereichen sowie in sensiblen Bereichen, wie der öffentlichen Auftragsvergabe, ein Einsatzverbot von externen Personen, wenn zu deren Unternehmen in den letzten zwei Jahren Geschäftsbeziehungen unterhalten wurden usw.) waren Forderungen der CDU/CSU, die nach einem exzessiven Gebrauch externer Berater durch den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Regierung entstanden.
Wenn der Personalaustausch mit Wirtschaftsunternehmen und Verbänden unter diesen Bedingungen stattfindet, betrachte ich ihn als sinnvoll, weil so auf den externen Sachverstand von Experten zugegriffen werden kann. Mit ihrem speziellen Fachwissen tragen sie zu einem höheren Erkenntnisgewinn der Behörden bei.
Mit freundlichem Gruß
Arnold Vaatz
MdB Arnold Vaatz
stellv. Vorsitzender der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion