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Frage von Reinhard B. •

Frage an Arnold Vaatz von Reinhard B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Vaatz,

warum wird dem deutschen Volk seit 1949 das Recht auf eine eigene Verfassung verwährt? Jetzt werden Sie sicherlich sagen, daß Deutschland doch eine Verfassung hat, diese aber eben Grundgesetz heißt. Sie müßten aber eigentlich wissen, dass diese Aussage selbstverständlich nicht der Richtigkeit entsprechen würde. Als Beweis kann das Grundgesetz höchstselbst als Beweis herangezogen werden (Artikel 146).

Leider muss ich feststellen, dass von nahezu jeder deutschen Regierung von 1949 an Artikel 146 des GG verletzt worden ist. Viel schlimmer noch ist, dass sogar Politiker und Medien einem das GG als Verfassung verkaufen, obwohl doch vollkommen klar ist, dass das GG keine Verfassung ist und auch nie sein kann. Im GG Artikel 146 steht, für jedermann nachvollziehbar und zugänglich:

Artikel 146
[Geltungsdauer des Grundgesetzes]
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Meine direkte Frage dazu lautet: Warum wird nicht mit einer einzigen Silbe von Politikern eben dieses Problem angesprochen? Warum werden bewusst die Begriffe Verfassung und Grundgesetz durcheinander gebracht, obwohl doch klar ist, dass dies Unterschiede wie Tag und Nacht sind? Warum wird dem deutschen Volk bis zum heutigen Tage die Ratifizierung einer deutschen Verfassung verwehrt - und das offensichtlich mit Absicht?!

Über eine Antwort wäre ich sehr erfreut.

Mit freundlichen Grüßen,
R. Beckheim

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Beckheim,

bei der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 wurde vom Parlamentarischen Rat der vorläufige Charakter dieses Verfassungstextes betont. Das Grundgesetz sollte als Provisorium bis zu dem Zeitpunkt gelten, an dem die Teilung Deutschlands überwunden ist. Laut Artikel 146 sollte das Grundgesetz dann durch eine in freier Selbstbestimmung erlangten Verfassung ersetzt werden. Dieser Artikel sieht aber keine Verpflichtung der staatlichen Institutionen auf die Initiierung eines Verfassungs-Referendums vor.

In den 40 Jahren der Bundesrepublik bis zur friedlichen Revolution 1989 erwies sich das Grundgesetz als eine der erfolgreichsten Verfassungstexte weltweit. Die Entwicklung Deutschland stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Bei der Wiedervereinigung entschied sich der Bundestag deshalb für den Artikel 23, der eine Ausweitung des Grundgesetzes auf die Beitrittsländer vorsah. Eine Neukonstituierung des wiedervereinigten Deutschlands wurde abgesehen von radikalen Parteien deshalb nicht für notwendig befunden. Das Grundgesetz blieb, abgesehen von einigen geringfügigen Änderungen, in der bewährten Form erhalten und sorgte für die notwendige Kontinuität.

Dem Deutschen Volk wird das Recht auf eine eigene Verfassung nicht verwährt und die Regierung verletzt auch nicht den Artikel 146, wie Sie es behaupten. Durch wiederholte Wahlen auf Bundes- und Landesebene hat das Deutsche Volk das Grundgesetz als gültige Verfassung indirekt anerkannt. Artikel 23 GG wurde am 3. Oktober 1990 ungültig und die Umsetzung des Artikel 146 bleibt weiterhin möglich. Eine Notwendigkeit dazu besteht aber derzeit nicht. Auf der Basis des Grundgesetzes existiert in Deutschland eine parlamentarische Demokratie, die den Grundsätzen der Sozial- und Rechtsstaatlichkeit folgt und die Zusammenarbeit der Verfassungsorgane des Bundes regelt. Damit sind die wesentlichen Merkmale einer Verfassung erfüllt, auch wenn es lediglich ein Verfassungstext ist, der „Grundgesetz“ heißt.

Wer glaubt, die Ungültigkeit des Grundgesetzes darin zu erkennen, das es ohne die Beteiligung der Bevölkerung von einem nicht legitimierten parlamentarischen Rat verfasst und für gültig erklärt wurde, liegt nicht nur juristisch falsch sonder negiert auch die gesellschaftlichen und politischen Zustände nach dem Zusammenbruch Deutschlands 1945.

Mit freundlichem Gruß

Arnold Vaatz