Frage an Arnold Vaatz von Martin D. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Vaatz,
im Juli 2008 hat das Bundesverfassungsgericht Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes insoweit als verfassungswidrig qualifiziert, als Regelungen zu Überhangmandaten zu einem negativen Stimmengewicht führen können - will heißen: die Zweitstimmenabgabe für eine Partei in einem "überhangträchtigen" Bundesland kann zu einer Reduzierung der Gesamtmandatszahl führen.
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Zeit bis Mitte 2011 zur Schaffung einer verfassungsgemäßen Regelung eingeräumt hat, ist es für mich nicht einsichtig, daß wir im September auf der Grundlage verfassungswidriger gesetzlicher Bestimmungen den Bundestag wählen.
Ich will für mich vermeiden, daß meine Zweitstimme dazu beiträgt, die von mir gewählte Partei entgegen meinem politischen Willen schlechter zu stellen.
Werden Sie sich in Ihrer herausgehobenen Funktion noch für eine rechtzeitige gesetzliche Änderung einsetzen?
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Döring
Sehr geehrter Herr Döring,
nein, weil eine Änderung des Bundeswahlgesetzes zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung sondern nur weitere Probleme herbeiführen würde.
Nicht ohne Grund ist im Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Zeitspanne genannt, die in die nächste Legislaturperiode hineinreicht.
Einige wesentlich Gründe hierfür sind:
- eine Änderung des Wahlverfahrens war im Hinblick auf das bereits laufende Kandidatenaufstellungsverfahren für die Bundestagwahl am 27. September 2009 nicht möglich, da sonst die begonnene Aufstellung verfassungsrechtlich angreifbar gewesen wäre
- im Hinblick auf die Komplexität der Materie und die weitreichenden Folgen muss eine Veränderung des Wahlverfahrens ohne wahltaktische Beweggründe und ohne Zeitdruck intensiv beraten werden
Nicht nur aus diesen Gründen ist eine Veränderung des Bundeswahlgesetzes erst nach der Bundestagswahl in diesem Jahr sinnvoller. Bei der Lösung des komplexen Problems des negativen Stimmgewichts sollte Qualität und Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Das gebietet der Respekt vor dem Wahlrecht als Grundlage unserer Demokratie.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil bereits einige alternative Lösungen angesprochen. Diese werden bereits geprüft, um gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode mit der sachlichen Abstimmung zu beginnen.
Es ist übrigens parlamentarischer Brauch, dass Wahlrechtsänderungen erst in darauf folgenden Legislaturperioden entschieden werden, damit nicht diejenigen direkt darüber entscheiden, die davon profitieren könnten. Aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht erlassenen Zeitspanne ist die kommende Bundestagswahl auch nicht rechtswidrig.
Mit freundlichem Gruß
Arnold Vaatz