Frage an Arnold Vaatz von Frank J. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordnter Vaatz,
mit Bedauern habe ich heute Kenntnis von der Verweigerungshaltung des BM Scholz bezüglich der Fortführung der Optionskommunen im Rechtskreis SGB II erhalten.
Direkt macht er bekanntlich die CDU/CSU BT Fraktion für die unterbliebene Weiterführung der Option verantwortlich.
Gerade im Interesse des von Ihnen vertretenen Wahlkreises sowie dem Land Sachsen, in welchem nachweislich die Option erfolgreich ausgeführt wurde wäre doch eine dauerhafte Fortführung im Interesse aller Betroffenen.
Sehen Sie eine Lösungsmöglichkeit in diesem Sinne noch zeitnah in 2009 ?
Sehr geehrter Herr Jüttner,
die Möglichkeit einer schnellen Umsetzung der Neuregelung zum SGB II (Organisationsstruktur der Arbeitsmarktverwaltung) sehe ich nicht und diese ist auch nicht notwendig. Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seiner Entscheidung mit einer Umsetzungsfrist bis zum 31.12.2010 ausreichend Zeit gegeben, zu einem tragfähigen und vor allem verfassungskonformen Umbau der momentanen Mischverwaltung zu kommen. Der vorliegende Kompromiss würde nicht nur den Aufbau von 370 neuen Behörden und einen hohen bürokratischen Mehraufwand nach sich ziehen, sondern auch den eigentlichen Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes in Verbindung mit der erforderlichen Neuregelung verfehlen. Es ist widersinnig und dem Umgang mit der Verfassung nicht angemessen, auf die Kritik des Bundesverfassungsgerichts mit einer Verfassungsänderung zu reagieren, die genau diese nicht verfassungskonforme Mischverwaltung dauerhaft festschreiben will.
Da die Position der Union und auch die Gründe für die Ablehnung des von Bundesminister Scholz und den Ministerpräsidenten Beck und Rüttgers gefundenen Kompromiss zur Neuordnung der SGB II Trägerschaft in den Medien kaum berücksichtigt worden, möchte ich Ihnen etwas ausführlicher unsere Sicht der Dinge mitteilen.
Am 20.12.2007 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Regelungen zur Zusammenarbeit von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen im SGB II als unzulängliche Mischverwaltung gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verstoßen und daher nur bis zum 31.12.2010 gelten. Es hat damit die sog. ARGEn, den Zusammenschluss von Kommunen und Bundesagentur für Arbeit, die sich gemeinsam um die Langzeitarbeitslosen kümmern, als nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt, weil Transparenz und Zuordnung von Verantwortung des jeweiligen Trägers nicht gegeben sei.
Im Laufe der vergangenen Monate hat es vielfältige Versuche gegeben, einen gangbaren Weg zu finden. Alle Lösungsansätze wurden aus jeweils unterschiedlichen Gründen verworfen. Im Dezember 2008 erhielt Bundesarbeitsminister Scholz deshalb den Auftrag, zusammen mit den Ministerpräsidenten Rüttgers und Beck einen Lösungsvorschlag zu erarbeiten. Ein solcher Vorschlag wurde von ihnen am 13.2.2009 vorgelegt.
Er sieht einerseits eine Grundgesetzänderung vor, um die ARGEn mit der Verfassung kompatibel zu machen und andererseits ein Errichtungsgesetz für die ARGE-Nachfolge-organisation, das Zentrum für Arbeit und Grundsicherung (ZAG). Das ZAG-Gesetz bedeutet den Umbau von 346 Arbeitsgemeinschaften und 20 getrennten Trägerschaften in eigen-ständige Anstalten des öffentlichen Rechts (AöR), mit eigener Personalhoheit und eigenem Haushalt, sowie den Aufbau zahlreicher Entscheidungsgremien. Zur Verwaltung dieser AöR sieht das Gesetz eine neue Bundesoberbehörde vor, das heißt, die ZAGs wären weder eindeutig dem Bund noch den Ländern zuzuordnen, sondern würden als separate staatliche Ebene zwischen beiden stehen.
Was die Umsetzung des Gesetzes bedeuten würde, sagt wohl am deutlichsten ein Eckpunkte-papier aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 23.9.2008, in dem es zur Begründung der Ablehnung der damals bereits diskutierten Zentren für Arbeit und Grundsicherung (ZAG) heißt: /„Entscheidender Nachteil bei einer vollständigen Eigenständigkeit der ZAG wäre die Kleinteiligkeit des Verwaltungshandelns, wenn Fragen wie die der Personalbewirtschaftung, der Haushaltsplanung und der Liegenschaftsverwaltung dezentral in 370 Einheiten zu regeln wären, was insgesamt ineffizient wäre.
Auch die Neugründung von 370 selbständigen Behörden wäre mit Blick auf den damit verbundenen bürokratischen Aufwand kaum vertretbar und würde den Bemühungen von Bund und Ländern zum Bürokratieabbau zuwiderlaufen.“ …“Die Verselbständigung der (ZAG) aus haushaltsrechtlicher Sicht stünde ferner im Konflikt zur Finanzierungsverantwortung und Steuerungsverantwortung des Bundes. Die Verflechtungen und Abhängigkeiten mit bzw. von den Haushalten des Bundes, der Länder und der Kommunen wären so erheblich, dass eigene Haushalte der ZAG und ihre notwendige Harmonisierung mit diesen bereits aus verwaltungsökonomischer Sicht kaum vertretbar wären. Einerseits wäre damit kein Mehrwert (insbesondere kaum „echte“ Haushaltsautonomie), andererseits aber eine deutliche Zunahme von Verwaltungsaufwand verbunden.“ …“Letztlich würde durch den dreigliedrigen Personalkörper aus zugewiesenem Personal von Bund und Kommune sowie eigenem Personal die Heterogenität der Beschäftigtenstruktur längerfristig noch verstärkt.“
Damit ist eigentlich alles gesagt!
Keine Ausführungen enthielt das Gesetz zur Änderung der Verfassung zugunsten der Optionskommunen, in denen die Kommunen die Vermittlung in Arbeit in Eigenregie durchführen, obwohl es inzwischen als gesichert gilt, dass es aus verfassungsjuristischer Sicht geboten ist, auch diese – will man sie dauerhaft absichern – im Grundgesetz festzuschreiben. In den unmittelbar eingeleiteten Nachverhandlungen zu diesem Punkt konnte allerdings nur erreicht werden, dass der Status Quo festgeschrieben worden wäre. Zu einer Öffnungsklausel ist die SPD nicht bereit gewesen. Da gleichzeitig die FDP signalisiert hat, die „kleine“ Lösung im Bundesrat nicht mittragen zu wollen, hätten wir also allein für ein hochbürokratisches, zentralistisches Gesetz die Verfassung geändert, ohne dauerhaft Sicherheit für die kommunale Selbstverwaltung zu bekommen.
BM Scholz hat, als Reaktion auf unseren Fraktionsbeschluss vom 17.03.09 einen Tag später angekündigt, die vertragliche Absicherung der derzeit bestehenden ARGEn zu gewährleisten. Das zeigt, dass die Panikmache gegenüber den Betroffenen, bei Ablehnung des Vorschlags breche das Chaos aus, zu jeder Zeit unverantwortlich war. Bis 31.12.2010 gibt es eine gültige Rechtsgrundlage für die derzeit bestehenden ARGEn und die Arbeit dort kann wie bisher fortgeführt werden. Für die Beschäftigten der ARGEn heißt das, niemand muss abwandern, weil er oder sie Angst um den Arbeitsplatz hat. Die Ablehnung des ZAG-Vorschlags bedeutet für die Beschäftigten auch, dass sie weiterhin BA- oder kommunale Beamte bleiben können und nicht zu ZAG-Mitarbeitern werden müssen, denen außer der Beschäftigung in ihrem jeweiligen ZAG keinerlei berufliche Perspektiven mehr offen stünden.
Im Übrigen sind die Regelungen, die die Leistungen für Arbeitslosengeld II Empfänger betreffen, von dem Urteil des BVerfG nicht betroffen. Kein Arbeitslosengeld II Empfänger muss daher um seine Hilfe fürchten. Das gilt unabhängig davon, wann und welche politische Entscheidung über die Trägerschaft getroffen wird.
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Die Zeit bis zum Beginn der neuen Legislaturperiode sollte intensiv genutzt werden, um eine einigungsfähige Nachfolgeregelung für die ARGEn vorzulegen. Die künftige Lösung muss den Grundsätzen der Föderalismusreform I, dem Demokratieprinzip, dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen und dem Urteil des BVerfG entsprechen. Und die Reform muss sicherstellen, dass alle Hilfebedürftigen Zugang zu den Arbeitsmarktinstrumenten und der Arbeitsvermittlung der BA haben und die BA auch zukünftig für eine wirksame und einheitliche Arbeitsmarktpolitik für die Empfänger von Arbeitslosengeld I und II verantwortlich ist. Ein eigenes Bundessozialamt, welches die BA aus der Arbeitsmarktpolitik für Alg II Empfänger hinausdrängt, wird es nicht geben.
Bei der Neuregelung müssen weiterhin kommunale Lösungen möglich bleiben
und kommunale Belange in einem rechtssicheren Rahmen berücksichtigt
werden. Die Städte und Kreise verfügen über die notwendigen sozialen
Kompetenzen, um gerade Personen mit komplizierten Vermittlungshemmnissen
wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen und in Beschäftigung zu bringen.
Dass Hilfe unter einem Dach möglich ist, beweisen die 20 Kommunen, die heute schon mit den Arbeitsagenturen gut und konstruktiv auf freiwilliger Basis zusammenarbeiten. Auch in diesem Fall kann z.B. eine gemeinsame Antragstellung organisiert werden, vor Gericht können Klagen gegen zwei Bescheide zu einem Verfahren verbunden werde. Überhaupt sollten wir uns klar machen, dass eine gute Kooperation und Koordination der Akteure vor Ort immer noch die wichtigste Voraussetzung für eine optimale Vermittlung ist.
Mit freundlichem Gruß
Arnold Vaatz