Frage an Anton Hofreiter von Hilde D. bezüglich Frauen
Sehr geehrter Herr Dr. Hofreiter,
ich habe ein Frage zum zusätzlichen Beitrag zur Pflegeversicherung. Warum werden Frauen, die z.B. aus medizinischen Gründen kinderlos bleiben müssen genau so zum Zusatzbeitrag herangezogen wie Frauen, die, aus welchen anderen Gründen auch immer, kinderlos sein wollen? Drei diesbezügliche Anfragen beim Gesundheitsministerium wurden bis heute nicht beantwortet. Vielleicht haben Sie eine Antwort.
MfG H. Deimer
Sehr geehrter Frau Deimer,
vielen Dank für Ihre Frage, die sich auf das Kinder-Berücksichtigungsgesetz (KiBG), das im Jahr 2004 noch von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen wurde, bezieht. Nach dem KiBG müssen kinderlose Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung seit dem 1. Januar 2005 einen um 0,25% erhöhten Beitragssatz bezahlen. Im Folgenden möchte ich ausführlich dazu Stellung nehmen. Hintergrund des KiBG ist ein äußerst umstrittenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2001. Laut diesem Urteil müssen Erziehende beim Beitrag zur Pflegeversicherung während der Erziehungszeit gegenüber Nicht-Erziehenden relativ entlastet werden. Dieses Urteil musste vom Gesetzgeber bis zum 1. Januar 2005 umgesetzt werden. Ansonsten hätten keine Beiträge mehr für die Pflegeversicherung erhoben werden dürfen. Das BVerfG stellte fest, dass die im Umlageverfahren finanzierte soziale Pflegeversicherung auf die nachfolgende Generation angewiesen ist. Das BVerfG befand, dass Mitglieder, die Kinder erziehen, neben dem monetären Beitrag einen zum Systemerhalt wichtigen generativen Beitrag leisten; im Ergebnis also einen "doppelten Beitrag". Das Urteil eröffnete grundsätzlich zwei Wege der Umsetzung: Entweder Erziehende direkt zu entlasten, oder Erziehende indirekt zu entlasten und den Beitrag für Nicht-Erziehende zu erhöhen. Die rot-grüne Koalition verständigte sich damals darauf, den zweiten Weg einzuschlagen. Diese Entscheidung hing wesentlich mit der finanziellen Situation der Pflegeversicherung zusammen. Jede denkbare Form der Umsetzung des Urteils wäre mit Vor- und mit Nachteilen behaftet gewesen. Aus unserer Sicht hätte es auch gute Gründe dafür gegeben, die Entlastung auf die tatsächliche Erziehungszeit zu begrenzen, etwa auf den Zeitraum des Kindergeldbezugs. Mit diesem Vorschlag konnten wir uns jedoch gegenüber dem damaligen Koalitionspartner nicht durchsetzen. Unter "kinderlos" werden nach diesem Gesetz diejenigen verstanden, die weder in der Vergangenheit Kinder erzogen haben, noch es gegenwärtig tun. Der erhöhte Beitrag ist also nicht von Adoptiv-, Stief- oder Pflegeeltern zu bezahlen. Auch Eltern, deren Kind nicht mehr lebt, gelten nicht als kinderlos. Die genannte Altersuntergrenze von 23 Jahren lehnt sich an das einschlägige Sozialrecht zur Familienmitversicherung an. Mit dem im März 2008 beschlossenen Pflegereformgesetz (PfWG) wurde nochmals eine Konkretisierung des vom Zuschlag befreiten Personenkreises vorgenommen. Der Gesetzgeber hat den §55 SGBXI dahingehend geändert, dass die Zuschlagsbefreiung explizit nur für solche Stiefeltern gilt, bei denen das Kind zum einen die festgelegte Altersgrenze nicht überschritten hat und zum anderen im Haushalt des betroffenen Stiefelternteils lebt (vgl. Art.1 Nr.34 PflWG). Diese Neuregelung wurde mit Inkrafttreten des Pflege-Weiterentwicklungsgesetztes am 1.Juli 2008 wirksam.
Versicherte, die vor dem 1. Januar 1940 geboren sind, sind von der Beitragserhöhung generell ausgenommen, also auch diejenigen, die keine Kinder haben. Denn die bis 1940 geborenen Jahrgänge haben noch in ausreichendem Maße Kinder geboren und erzogen. Erst durch die Entwicklung der Kinderzahlen ab Mitte der 60er Jahre entsteht nach den Ausführungen des BVerfG das Ausgleichserfordernis. Von künftigen kinderlosen Altersrentnern (ab 1940 Geborene) wird der erhöhte Beitrag also zu zahlen sein. Gelegentlich wird kritisiert, dass der Beitragszuschlag einer "Strafsteuer" für Kinderlose gleichkomme. Diese Auffassung teilen wir nicht. Die Gründe für eine Kinderlosigkeit können für die Zuschlagspflicht keine Rolle spielen. Auch BürgerInnen, die unfreiwillig kinderlos sind, können und sollen einen Ausgleich leisten. Der Zuschlag zum Beitrag wird nur von ArbeitnehmerInnen erhoben. Das ist sachlich gerechtfertigt, da die Arbeitgeber nicht die Verantwortung dafür tragen, ob ihre Beschäftigten Kinder haben oder nicht.
Das KiBG ersetzt freilich keine umfassende Reform der Pflegeversicherung, die wir auch weiterhin vehement fordern.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Ing. Udo Werner
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Dr. Anton Hofreiter MdB