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Anton Hofreiter
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Stephan M. •

Frage an Anton Hofreiter von Stephan M. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Hofreiter,

Deutschland hat die meisten Flüchtlinge aller westlichen Industrienationen aufgenommen. In Deutschland leben dabei mehr Flüchtlinge als in Frankreich, Italien, Schweden, Österreich, Spanien und Griechenland zusammen. Deutschland bietet Flüchtlingen weltweit mit den höchsten Standard und hat als einziges Land der Welt ein individuelles einklagbares Grundrecht auf Asyl. Aktuell hat Deutschland zudem jedes Jahr einen Zuwanderungsüberschuss einer Großstadt in Höhe von fast 400.000 Menschen. Deutschland wird von der UN für seine vorbildliche Flüchtlingspolitik ausdrücklich gelobt.

Dennoch wird federführend von den Grünen eine Gefahr von rechts beschworen, als ob das eines der größten Probleme überhaupt wäre und zwar ohne den Begriff genau zu klären. Ihr Europawahlkampf stand neben dem Klimawandel ganz in diesem Zeichen. Natürlich kommt es bei solchen enormen Zahlen zu Verwerfungen und damit leider auch zu Verbrechen (das ist doch psychologisch zu erwarten), aber warum wird trotz der großen Duldsamkeit und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im Lande so massiv das Thema Gefahr von rechts bedient, ohne die große Leistung dieses Landes zu würdigen (die Mehrheit akzeptiert was passiert und zwar unabhängig davon, ob sie einverstanden ist, oder nicht). Wäre es nicht geboten, dass die Politik ehrlich herausstellt, dass die Verwerfungen am Ende eben auch ein Preis sind, den man bezahlen muss, wenn ein System unter Druck gerät und im Hinblick auf die Erfüllung des auch massiv von den Grünen beschworenen humanitären Imperativs zusätzlich unter Druck gerät? Sind die Grünen mit dem psychologischen Rüstzeug ausgestattet und gewillt, das Land in dieser Frage wieder zu einen und auch zu versuchen zu verstehen, warum die Menschen so reagieren, wie sie es eben tun? Ist nicht die teilweise recht oberflächlich anmutende Antirechtsrethorik vielleicht ein größerer Teil des Problems, als wir es wahrhaben wollen?

Mit freundlichen Grüßen
S. M.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

haben sie vielen Dank für Ihre Anfrage.

Zunächst einmal müssen wir klarstellen, dass keine der von Ihnen getätigten Aussagen am Anfang Ihrer Anfrage stimmt. Es handelt sich bei Ihren Aussagen bestenfalls um Halbwahrheiten, aber größtenteils um Unwahrheiten. Sie sollten daher Ihre Quellen dringend überprüfen.

In Deutschland leben nicht mehr Flüchtlinge als in Frankreich, Italien, Schweden, Österreich, Spanien und Griechenland zusammen. Deutschland bietet Geflüchteten weltweit auch nicht den höchsten Standard, wie Sie proklamieren, sonst hätte das Bundesverfassungsgericht nicht geurteilt, dass die Grundleistungen des Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig sind. Die Menschenwürde ist unantastbar, das gilt für alle Menschen. Mit dem Zuwanderungsüberschuss suggerieren Sie in diesem Kontext, dass es sich dabei lediglich um Asylsuchende handelt, auch das stimmt nicht, wie Sie den Ausführungen des statistischen Bundesamts entnehmen können. Zudem verschweigen Sie, dass aufgrund der demographischen Entwicklungen in Deutschland die Bevölkerungsanzahl, auch bei einem Zuwanderungsüberschuss in dieser Höhe, nicht ansteigt. Bezüglich des Lobs der UN verschweigen Sie, dass die UN Deutschland neben dem Lob zu Verbesserungen der Situation Geflüchteter aufgefordert hat.

Im weiteren Verlauf verharmlosen Sie rechte Gewalt, indem Sie die Strategie der Täter-Opfer-Umkehr anwenden. Sie normalisieren rechte Gewalt und rechte Hetze als "Reaktion" auf ein "System unter Druck". Das ist schäbig und eines Demokraten unwürdig.

Ein paar Fakten für Sie:
Rechtsextreme Gruppen in Deutschland erstarken immer mehr, Aggressionen gegenüber Geflüchteten und Asylsuchenden nehmen zu. Rechtsextremist*innen lassen immer öfter Worten Taten folgen. Das sollte mindestens seit Bekanntwerden des rechten Terrors durch den NSU bekannt sein.

Wir alle stehen in der Verantwortung, das Problem des Rechtsextremismus angesichts massiver Angriffe auf unsere Demokratie nicht länger zu verharmlosen, sondern endlich konsequent und entschieden anzupacken und die Prävention gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, auf allen Ebenen zu verstärken. Denn sie ist der Nährboden für rechtsradikale Instrumentalisierung. Hetze führt zu Gewalt. Angriffen auf die Menschlichkeit folgen Angriffe auf Menschen. Pogromstimmung und rechtsextreme Aufmärsche führten vor 25 Jahren zu den rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen und zu den Morden in Mölln und Solingen. Sie bereiteten auch den Boden für das Entstehen der Terror-Gruppe des NSU.

Die Zeit des Verharmlosens und Wegduckens vor rechten Brandstiftern und Strukturen muss ein für alle Mal vorbei sein.

Mit freundlichen Grüßen
Team Hofreiter

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