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Anton Hofreiter
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Frage von Johanna S. •

Frage an Anton Hofreiter von Johanna S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Hofreiter,

wie setzen sie sich für die Seenotrettung von Flüchtlingen ein? Was sind sie bestrebt zu tun, um sie besser zu integrieren? Was kann man tun, um Menschen aus Menschenhandel herauszuhelfen?

Mit freundlichen Grüßen, J. S.

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Sehr geehrte Frau S.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen.

Seenotrettung ist alternativlos. Sie darf nicht gegen die Flüchtlingsumverteilung innerhalb der EU ausgespielt werden. Es dürfen keine Menschen sterben, weil sich die EU-Mitgliedstaaten nicht über die Aufnahme von Flüchtlingen und die Durchführung von Asylverfahren einigen können. Dass dem Bundesinnenminister zusammen mit einer Koalition der Willigen gelungen ist, einen vorübergehenden Mechanismus zur Verteilung von aus Seenot Geretteten zu schaffen, ist ein notwendiger erster Schritt. Der gordische Knoten, der uns über Monate hinweg ein inhumanes und unwürdiges Geschacher um Aufnahme von Menschen in Not beschert hatte, scheint endlich gelöst. Auf dieser Grundlage können sich beim nächsten Treffen der Justiz- und Innenminister in Brüssel weitere EU-Mitgliedsstaaten einem Verteilmechanismus anschließen.

Die EU hat die Pflicht, einen robusten, flächendeckenden EU-Seenotrettungsdienst aufzubauen. Auswege aus dem humanitären Desaster im Mittelmeer bieten nur legale und sichere Fluchtwege nach Europa. Den Bootsflüchtlingen muss nach Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine menschenwürdige Aufnahme und Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden.

Weiterhin dürfen Seenotretter*innen nicht kriminalisiert werden. Wer Menschen aus Seenot rettet, darf nicht mit einem Bein im Gefängnis stehen. Die Seawatch 3-Kapitänin Carola Rackete beispielsweise hat nach dem Beschluss einer italienischen Richterin in Agrigent in Übereinstimmung mit internationalem Seerecht Menschen vor dem Ertrinken bewahrt und sie in den nächsten sicheren Hafen auf der italienischen Insel Lampedusa gebracht. Der Schritt, in italienische Gewässer und infolgedessen in den Hafen von Lampedusa einzufahren, sei eine notwendige Reaktion auf den Zustand der Geretteten an Bord gewesen und der von der Seenotrettungsleitstelle zugewiesene Hafen in Tripolis (Libyen) sei kein sicherer Hafen im Sinne des internationalen Seerechts.

Dieser Richterspruch und die Freilassung von Carola Rackete sind ein wichtiges Signal in Richtung der europäischen Regierungen –allen voran der italienischen. Das Urteil zeigt, dass nicht die Kapitänin der Seawatch 3 falsch gehandelt hat, sondern all jene, die eine Notlage auf der Sea-Watch 3 bewusst in Kauf genommen haben.

Die Abgründe der gegenwärtigen europäischen Flüchtlingspolitik zeigen sich in dem Umstand, dass Carola Rackete aber weiterhin strafrechtliche Konsequenzen drohen, dafür dass sie Menschenleben gerettet hat. Der Schutz des Lebens muss aber über den nationalstaatlichen Streitigkeiten stehen. Wir sind und bleiben solidarisch mit dem engagierten Einsatz der NGOs, Freiwilligen, Kapitän*innen und Ärzt*innen an Bord der zivilen Rettungsschiffe.

Bezüglich der Integration von Geflüchteten brauchen wir endlich eine Offensive durch die Teilhabe- und Partizipationsmöglichkeiten, sowie Anti-Diskriminierungsarbeit endlich in den Fokus gerückt werden. Integration kann nur im Dialog funktionieren Integration kann nicht mit Sanktionen und Druck erzwungen werden. Viel mehr braucht es eine bessere finanzielle und strukturelle Förderung der Integrationskurse und deren Unterstützer*innen. Denn es fehlt immer noch an Integrationskursen, Alphabetisierungskursen, weiterführenden Deutschsprachkursen, flächendeckenden und auskömmlich finanzierten Beratungsangeboten insbesondere für besonders Schutzbedürftige und anderen Teilhabemöglichkeiten in Stadt und Land.

Mit Ihrer Frage zum Menschenhandel spielen Sie sicherlich auf die Situation in Lybien an. Für die Geflüchteten in den Lagern auf libyschen Territorium ist die Lage verheerend. Folter, Ausbeutung, Menschenhandel und sexuelle Gewalt sind an der Tagesordnung. Die Ausbeutung von Menschen auf der Flucht ist eine lukrative Einnahmequelle für die Milizen und Treibstoff für den anhaltenden Konflikt. Angesichts dieser gefährlichen Entwicklungen ist die totale Starrheit der europäischen Regierungen ein unwürdiger Zustand. Die eskalierende Lage in Libyen ist auch Folge der Untätigkeit der Bundesregierung und der Regierungen anderer Mitgliedstaaten, die auf Kooperation mit fragwürdigen Milizen setzt. Neben dem Einsatz für eine friedliche Konfliktlösung muss die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und zeitnah eine Kontingentzusage an den UNHCR abgeben, um Geflüchtete aus den Internierungslagern in Libyen zu retten. Eine Aufnahme von 300 Personen im vergangenen Jahr reicht angesichts dieses Ausmaßes menschlichen Leids nicht aus.

Mit freundlichen Grüßen
Team Hofreiter

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