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Anton Hofreiter
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Regina N. •

Frage an Anton Hofreiter von Regina N. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Dr. Hofreiter,

der Flüchtlingsandrang nach Europa und insbesondere Deutschland lässt nicht nach, sondern wird sich weiter steigern. Siehe auch: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/entwicklungsminister-mueller-erst-zehn-prozent-der-fluchtwelle-ist-bei-uns-14006319.html
Herr Entwicklungsminister Müller vertritt die Ansicht, daß acht bis zehn Millionen Menschen aus Syrien und Irak noch unterwegs sind. Diese werden voraussichtlich meiner Einschätzung nach bis spätestens Sommer in Europa und insbes. auch Deutschland eintreffen. Es ist zu erwarten, daß aus den Maghrebstaaten mit über 70 Millionen Einwohnern mit Anteil der unter 15 Jährigen von über 33 Prozent, weitere Millionen den Weg nach Europa antreten werden und schon angetreten haben. Hinzu kommen weitere Länder wie z.B. Pakistan, Indien, afrikanische Länder, deren wirtschaftliche, politische und/oder soziale Situation für einen großen Bevölkerungsanteil keine guten Perspektiven hat.

: Welche Maßnahmen haben Sie bis dato ergriffen bzw. planen sie in den kommenden Wochen umzusetzen, um die Sicherheit des Landes und seiner Bevölkerung zu gewährleisten?
: Gibt es konkrete Katastrophenszenarien?
: Was ist konkret geplant, wenn voraussichtlich diese Menschen nicht mehr aufgenommen und versorgt werden können, wenn die Kapazitäten in den Kommunen und Städten versiegen.
: Was ist konkret geplant, wenn es zu einem Sturm der Grenzen kommen sollte?
: Welche Gegenmaßnahmen sind geplant, wenn wie in Köln organisierte Angriffe auch in kleineren Orten und Dörfern vorkommen?
: Was soll/darf die Bevölkerung tun, um sich im Falle des Falles bis zum Eintreffen der Polizei zu schützen.
: Wie stellen Sie sicher, daß die Ordnungsbehörden ihre Arbeit vollumfänglich ausführen können
: Wie stellen Sie sicher, daß die Justiz Straftaten angemessen ahndet.
: Wie stellen Sie die zeitnahe Ausweisung von unbegründeten bzw. abgelehnten Asylbewerbern

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Nevin,

vielen Dank für Ihre Fragen. Sie zielen auf zwei Bereiche ab: Das eine
ist der aktuell in allen Medien viel diskutierte Bereich der Höhe der
Flüchtlingszahlen. Der andere Bereich ist der Umgang mit einzelnen
straffälligen Zuwanderern.

Zur Anzahl der nach Deutschland geflüchteten Personen:
Im Jahr 2015 sind 1,1 Millionen Personen im Rahmen der
EASY-Registrierung in Deutschland festgestellt worden. Das bedeutet
nicht, dass auch so viele Asylsuchenden nach Deutschland eingereist
sind. Es gibt mittlerweile viele nachvollziehbare Berichte, dass
Personen mehrfach registriert wurden. Zudem sind viele Geflüchtete
weiter in andere Staaten gereist, wie bspw. Schweden oder die Niederlande.
Feststeht hingegen, dass ca. 441.000 Personen im Jahr 2015 einen
Asylerstantrag gestellt haben. Weiter ist bekannt, dass viele
Asylsuchende gegenwärtig auf die Möglichkeit zur Antragstellung warten.
Die Hauptherkunftsländer sind Syrien (162.510), Albanien (54.762),
Kosovo (37.095), Afghanistan (31.092) und Irak (31.379). Während zu
Beginn des Jahres 2015 viele Flüchtlinge aus den Staaten des Westbalkan
nach Deutschland gekommen sind, hat sich dies seit dem Sommer verändert.
Seitdem kommen vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.
Von den 441.000 Asylerstantragstellenenden waren 69,2% männlich und
30,8% weiblich. International ist der Anteil der flüchtenden Frauen und
Mädchen höher, er liegt bei gut 50%. Die Differenz erklärt sich u.a.
dadurch, dass aus finanziellen Gründen oftmals nicht die Familien
zusammenflüchten können und da die Wege nach Europa (per Boot, lange
Fußmärsche) oftmals sehr riskant sind, insbesondere wenn Familien mit
Kindern unterwegs sind. Der Anteil der Minderjährigen beträgt 30,1%. Es
lässt sich mit Blick auf die Zahlen feststellen, dass mitnichten nur
alleinreisende Männer nach Deutschland kommen, es sind im Jahr 2015
50,8% der Asylantragsteller gewesen.
Weltweit sind gegenwärtig über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Der
Großteil dieser Personen befindet sich innerhalb ihrer Heimatländern
bzw. in den angrenzenden Staaten. Nur ein kleiner Teil flieht weiter
nach Europa oder in andere Staaten des globalen Nordens. Anhand des
Krieges in Syrien lässt sich dies klar belegen: in den Nachbarländern
Türkei (1,8 Millionen), Libanon (1,2 Millionen) und Jordanien (628.000)
registrierte Flüchtlinge leben große Gruppen syrischer
Staatsangehöriger. Dazu kommt eine große Anzahl von Personen, die nicht
registriert sind. Im Vergleich dazu haben im Jahr 2015 ca. 162.000 Syrer
einen Asylerstantrag in Deutschland gestellt.
Die Behauptung, dass alle Flüchtlinge und Migrant_innen nach
Deutschland/Europa wollen, ist nicht belegbar. Vielmehr zeigt sich sehr
deutlich, dass regionale Migrationssysteme bestehen, in deren Rahmen
sich die Menschen bewegen. Bei Flüchtlingsbewegungen ist festzustellen,
dass diese immer erst im regionalen Raum stattfinden. Die Menschen
fliehen in angrenzenden Landesteile und Nachbarländer. Weitergehende
Fluchtbewegungen setzen in der Regel erst dann ein, wenn die Menschen
keine Perspektive auf eine baldige Rückkehr ins Heimatland feststellen
können. Beispielhaft lässt sich dies am Krieg in Syrien aufzeigen: in
den ersten Jahren des Konflikts, sind die Menschen weitestgehend in die
Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien geflohen. Dort befinden sich
auch weiter die größten Gruppen syrischer Flüchtlinge. Erst mit der
zunehmenden Dauer, einer oftmals perspektivlosen Lebenssituation - und
im Falle der Türkei mit im Zusammenhang mit einer zunehmenden
innenpolitischen Destabilisierung - hat sich im Jahr 2015 eine wachsende
Zahl von syrischen Flüchtlingen auf den Weg nach Europa gemacht.
Um zu verhindern, dass Flüchtlinge aus den ersten Zufluchtsländern
weiterwandern müssen, ist die internationale Gemeinschaft gefordert die
Anrainerstaaten in betroffenen Regionen stärker bei der Aufnahme von
Flüchtlingen zu unterstützen. Nur wenn die Flüchtlinge vor Ort eine
Perspektive haben und in Sicherheit leben können, werden sie nicht
gezwungen sein, weiterzuwandern.
Die Flüchtlingsaufnahme ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Es kann
nicht dabei bleiben, dass die große Mehrheit der Schutzsuchenden in nur
wenigen EU-Mitgliedsländern Aufnahme findet, während andere
Mitgliedsländer sich explizit weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, und sich
ihrer Verantwortung entziehen. Wir brauchen eine neue Politik der
Verantwortungsteilung in Europa unter Berücksichtigung der jeweiligen
Aufnahmekapazität und der Bedürfnisse der Flüchtlinge. Dazu gehören die
Gewährleistung fairer Asylverfahren ebenso wie die menschenwürdige
Unterbringung und Versorgung, sowie der Schutz vor Diskriminierung und
Gewalt in allen EU-Staaten.

Zentrale Grüne Positionen im Umgang mit Straffälligen und der Prävention
davor sind:
- Eine gut ausgestattete Polizei und Justiz. Die Polizei muss
Handlungskonzepte für die in Köln und in anderen Städten aufgetretenen
neuen Begehungsformen gemeinschaftlicher sexueller Übergriffe
entwickeln: Damit Bedrohungssituationen effektiv verhindert werden,
Betroffenen geholfen werden kann und Beweise für Strafverfahren
gesichert werden. Denn es ist genau das, was die Polizei in der
Silvesternacht in Köln nicht leisten konnte. Es braucht eine vor allem
personell und technisch gut ausgestattete Polizei, die in der Lage ist,
auch neue Situationen schnell und adäquat in den Griff zu bekommen. Das
gilt auch für die Bundespolizei. Es rächt sich, dass bei der
Bundespolizei seit 2009 über 1000 Stellen weggefallen sind. Erst durch
die Haushaltsbeschlüsse von November 2015 sollen wieder 3000 neue
Stellen bei der Bundespolizei geschaffen werden. Die stehen gegenwärtig
aber noch nicht zur Verfügung. NRW dagegen hat, nachdem dort unter
Schwarz-Gelb nur 1.000 jährliche Neueinstellungen vorgenommen und damit
die Verrentungen kaum aufgefangen wurden, aufgestockt. Unter RotGrün
sind in NRW 2015 1.892 Neueinstellungen vorgenommen worden. In diesem
Jahr sind 2.000 Neueinstellungen geplant.
- Prävention durch Integration
Ebenso wichtig sind Präventionskonzepte. Der Schlüssel liegt auch hier
in der Integration. Asylverfahren von Menschen aus Marokko oder Algerien
dauern im Durchschnitt zwei Jahre. Angesichts einer niedrigen
Anerkennungsquote (derzeit 3,74 Prozent der marokkanischen Asylbewerber
und 1,6 Prozent der Algerier) liegen die Anträge beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Halde. In dieser Wartezeit, deren
Ausgang für die Betroffenen völlig unklar ist, erhalten die Asylbewerber
keinen Zugang zu Integrationskursen, keine Angebote zum Deutschlernen
und sie haben nur einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das
entschuldigt in keiner Weise Straftaten. Aber es zeigt den politischen
Handlungsbedarf, damit einem möglichen Abgleiten in Kriminalität
präventiv entgegengewirkt wird: Durch Integrationsangebote, durch ebenso
zügige wie faire Asylverfahren, damit Menschen nicht in frustrierenden
Warteschleifen ohne Entscheidung und Perspektive gehalten werden. Im
unserem Beschluss „So schaffen wir das - Grüne Perspektiven für einen
Aufbruch in einer gelingende Integration“ von der Fraktionsklausur in
Weimar vom 7. Januar 2016 zeigen wir auf, wie ein Gesamtkonzept zur
Integration gestaltet werden kann:
http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Integration_Weimar.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Team Dr. Anton Hofreiter MdB

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