Frage an Antje Blumenthal von Helmut S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte verehrte Frau Blumenthal,
aus aktuellem Anlaß habe ich Fragen zum Afghanistan-Einsatz:
Trotz, oder besser gesagt, wegen der großen Finanzhilfen durch den Westen hat sich die Situation der Bevölkerung in vielen Teilen Afghanistans nicht verbessert. Es wird gehungert; beispielsweise haben Frauen oder Schwule weiterhin - aufgrund der Scharia - mindere oder gar keine Rechte und werden unterdrückt; die Milliarden sind im Wesentlichen Warlords und Drogenbaronen zugute gekommen; der Opiumanbau floriert wie nie zuvor; das sog. Nationbuilding (Aufbau eines demokratischen Staates westlicher Prägung) ist gescheitert.
Grundsätzlich halte ich persönlich den ganzen Ansatz des ´nationbiulding´ für verkehrt. Die afghanische Gesellschaft lebt für mein Verständnis noch ganz überwiegend im Mittelalter, materiell und geistig. Ihr fehlen vor allem unsere geistigen Umwälzungen wie die Reformation, die Aufklärung, die französische Revolution, die industrielle Revolution und noch sehr viel mehr.
Dieser solchen ´archaischen´ Gesellschaft nun plötzlich unseren ´modernen´ Staats- und Gesellschaftsentwurf überstülpen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. In Europa sind wahre Ströme von Blut geflossen und es hat 500 Jahre gedauert, bis wir im Heute angekommen sind. Dies wird in Afghanistan nicht grundlegend anders sein. Eine solche Entwicklung des kollektiven Bewußtseins braucht sehr lange Zeit. Ein Turbolernen gibt es nicht.
Und: Der Islam steht gegen das Konzept einer Trennung von Staat und Religion, wie wir es heute leben; er kennt und akzeptiert nur eine Lebenssphäre. Islam heißt und bedeutet ´Unterwerfung unter den Willen Allahs´ (wie er im Koran geoffenbart wurde).
Nun komme ich zu meiner Frage: Wie kann unter diesen Voraussetzungen der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sinnvoller als bisher gestaltet werden? Was kann und muß ´der Westen´ tun, um sich dort nicht nur neue Feinde heranzuziehen?
Mit freundlichem Gruß aus Barmbek
Helmut Schibath
Sehr geehrter Herr Schibath,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 8. Juni 2008.
Am Donnerstag, den 19. Juni 2008 wird der Bundesminister des Auswärtigen Amtes, Dr. Frank-Walter Steinmeier zu den Ergebnissen der Afghanistankonferenz in Paris, die am 12. Juni 2008 stattgefunden hat, eine Regierungserklärung abgeben. Im Mittelpunkt der Konferenz standen Strategien für den weiteren zivilen Wiederaufbau des Landes und die Übergabe von mehr Verantwortung an die Afghanen. Präsident Hamid Karsai stellte einen Fünfjahresplan vor, mit dem Armut und Korruption bekämpft und die Rechtsstaatlichkeit verbessert werden sollen. Der Zeitpunkt der Konferenz entspricht etwa der Halbzeit des Afghanistan Compact, der im Jahre 2006 im Anschluss an die Londoner Afghanistankonferenz veröffentlicht wurde und den Rahmen für die weitere internationale Zusammenarbeit der kommenden fünf Jahre darstellt. Das Ziel in Paris war es deshalb, eine politische Bilanz des bisher Geleisteten zu ziehen, Defizite aufzuzeigen sowie ein Konzept für den Wiederaufbau für die nächsten Jahre zu entwickeln.
Die Herstellung von Sicherheit und Rechtssicherheit sind in Afghanistan wichtige Ziele unserer Entwicklungshilfe. Auch der Einsatz der Bundeswehr dient dem Ziel sein, Afghanistan Schritt für Schritt in die Lage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen. Der Aufbau der afghanischen Polizei hat daher eine überragende Bedeutung. Deutschland hat in diesem Jahr seinen Mitteleinsatz dafür verdreifacht. Darüber hinaus haben die EU-Mitgliedstaaten auf deutsche Initiative hin entschieden, die Personalstärke der europäischen Polizeimission EUPOL zu verdoppeln.
Der zweite Pfeiler des Aufbaus selbsttragender afghanischer Sicherheitsstrukturen ist die Ausbildung der Afghan National Army (ANA). Hier engagiert sich Deutschland seit Mitte 2006 mit einer stetig steigenden Zahl von Ausbilder- und Mentorenteams, um im deutschen Verantwortungsbereich Nord circa 7500 Afghanen auszubilden. Der Ansatz wird von aktuell fünf Teams mit 120 deutschen Soldaten bis März 2009 auf sieben Teams mit 200 Soldaten gegenüber dem Status von 2007 verdreifacht.
Ich denke mit diesen Maßnahmen befinden wir uns auf einem guten Weg, wobei es nicht darum gehen kann, Afghanistan unsere eigenen Maßstäbe überzustülpen. Wir müssen den Afghanen so lange helfen, bis sie selbst in der Lage sind, das Land nach ihren eigenen Vorstellungen friedlich weiterzuentwickeln.
Mit freundlichen Grüßen
Antje Blumenthal