Wie stehen Sie zur aktuellen Verschärfung der Maßnahmen gegen Asylsuchende?
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und dem damit verbundenen Engagement bei diesem sehr wichtigen Thema.
Zunächst möchte ich festhalten, dass ich es richtig finde, dass wir nach dem Attentat in Solingen darüber diskutieren, wie wir solche schlimmen Taten in Zukunft verhindern können. Schließlich ist Sicherheit und das Gefühl, in Freiheit und in Sicherheit zu leben, ein enorm hohes Gut und für uns Sozialdemokrat:innen ein wichtig Anliegen.
Ich finde es aber falsch, dass aufgrund eines islamistischen Attentats nun vor allem über Migration und Abschiebungen diskutiert wird. Denn meine Auffassung ist, dass nicht „die Migration“ oder Geflüchtete an sich eine Bedrohung darstellen, sondern dass der islamistische Terrorismus die Bedrohung ist, gegen die vorgegangen werden muss.
Entsprechend sollte darüber diskutiert werden, was gegen Islamismus getan werden kann - über funktionierende Sicherheitsbehörden, Messerverbote, über Prävention, Jugendarbeit, gesellschaftliche Programme zur Gewaltbekämpfung und gegen Radikalisierung. Es braucht Lösungen, welche radikale Ideologien wie den Islamismus und auch Rechtsextremismus in ihrem Ursprung bekämpfen. Deshalb wäre es richtig, jetzt über eine Ausweitung der Finanzierung von Präventionsangeboten oder Demokratieförderprojekten zu sprechen, um die wichtige Arbeit von Vereinen und anderen Trägern langfristig stärker zu unterstützen. Gleichzeitig müssen Sicherheitsbehörden angemessen ausgestattet werden, um bürgerrechtskonform Kanäle der Terror-Finanzierung- oder Anschlagsplanung aufzudecken und Hass-Propaganda im Internet abzuschalten. Das können Bestandteile einer Politik sein, die diese Herausforderungen im Grundsatz angeht und nicht in Aktionismus verfällt.
Stattdessen wird die gesamte Migrationspolitik als Problem sowie Abschiebungen, auch in klar nicht sichere Staaten, als Lösung dargestellt. Das finde ich grundlegend falsch. Denn Menschen mit Migrationsgeschichte bereichern unser Land in den verschiedensten Teilen unseres Lebens und sind fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Genau deswegen haben wir in dieser Legislatur auch endlich das Staatsbürgerschaftsrecht reformiert, das Chancenaufenthalts-Gesetz umgesetzt sowie ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht. Es gibt so viele Menschen, die sich in unserer Gesellschaft einbringen und unser gesellschaftliches Leben an vielen Stellen am Laufen halten. Da müssen wir uns als gesamte Gesellschaft fragen: Was haben diese Menschen mit islamistischem Terror zu tun? Leider werden sie trotzdem in der aktuellen Debatte mit umfasst, was aus meiner Sicht schlichtweg falsch ist.
Auch die wieder eingeführten Grenzkontrollen an den Grenzen Deutschlands erschließen sich mir nicht. Kein Land hat so stark von der EU-Freizügigkeit profitiert wie Deutschland. Diese Kontrollen binden jetzt wieder Kapazitäten, die für gezieltere Maßnahmen anderswo fehlen. Hierfür die große europäische Errungenschaft der offenen Grenzen zwischen den Staaten der EU zu gefährden, ist nicht richtig. Hinzu kommen Vorschläge von Friedrich Merz zu „gezielteren“ Kontrollmaßnahmen an den Grenzen im Sinne des „Racial Profilings“, die einen neuen Tiefpunkt im Diskurs darstellen.
Diese vermeintlich einfachen, repressiven Lösungen, die kurzfristig politische Punkte sammeln, lösen langfristig keine Probleme. Diese Diskussion macht das Handwerk der rechten Kräfte und sie führt nur zu mehr Spaltung, Angst und Frust. Dieser Weg kann unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt langfristig und nachhaltig gefährden.
Was uns tatsächlich Sicherheit bringen würde, ist Prävention. Prävention ist der Schlüssel zu echter Sicherheit, denn Radikalisierung beginnt nicht an den Grenzen, sondern in den Köpfen. Sie gedeiht dort, wo Menschen keine Perspektiven sehen, wo sie sich ausgeschlossen und abgehängt fühlen. Deshalb müssen wir in die Schulsozialarbeit investieren, in die Jugendarbeit, in Programme, die vor Ort arbeiten – in den Stadtteilen, in den Schulen, direkt bei den Menschen. Nur wer Chancen hat, kann Teil der Gesellschaft sein. Und deshalb dürfen wir hier auch in Zeiten knapper Haushalte nicht sparen.
Wir müssen uns jetzt entscheiden: Wollen wir eine Gesellschaft, die sich abschottet, die auf Repression und Angst setzt? Oder eine, die stark genug ist, die Herausforderungen durch Solidarität und Zusammenhalt zu bewältigen? Ich wünsche mir, dass wir als SPD den Mut haben, die richtigen, nachhaltigen Antworten zu geben – Prävention, Solidarität und Integration. Das ist der Anspruch der Bevölkerung und muss daher auch der Anspruch aller politischen Akteur:innen sein. Dafür setze ich mich ein.
Deshalb habe ich gemeinsam mit vielen weiteren SPD-Mitgliedern einen offenen Brief initiiert, um ein Signal zu senden. Dieser Brief mit dem Titel „Eintreten für Würde“ wurde bereits von über 13.000 Menschen mitgezeichnet. Wenn Sie ebenfalls gerne ein Zeichen setzen wollen, unterschreiben Sie gerne diesen Brief (auch für Nicht-SPD-Mitglieder möglich) unter folgendem Link: https://eintreten-fuer-wuerde.de/
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position in dieser schwierigen Debatte verdeutlichen. Abschließend möchte ich nochmal für Ihre Nachricht bedanken. Der Austausch mit den Menschen aus meinem Wahlkreis ist mir, insbesondere bei diesen sehr bewegendem Thema, sehr wichtig.
Mit freundlichen Grüßen
Annika Klose