Frage an Annette Schavan von Ronny P. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Schavan,
meine Schwester (23 Jahre) befindet sich momentan im 2. Jahr einer schulischen Ausbildung zur Sozialassistentin. Anschließend möchte sie eine Ausbildung zur Erzieherin absolvieren. Sie wohnt zur Zeit noch bei unseren Eltern. Nachdem ihr für das 1. Schuljahr noch Bafög in Höhe von 216 Euro bewilligt wurde, soll sie jetzt für das 2. Schuljahr gar nichts mehr bekommen, da sich das Nettoeinkommen unserer Eltern erhöht hat (von zusammen 1700 Euro auf 2200 Euro). Das heißt also, die Eltern sollen komplett für ihren Lebensunterhalt aufkommen, das Schulgeld zahlen, die Fahrtkosten zur Schule tragen usw. Alles was sie vom Staat als Unterstützung bekommen sind 184 Euro Kindergeld. Ziemlich dürftig wie ich finde! Zumal ja angeblich ein Fachkräftemangel im Bereich der Erzieher bestehen soll ... Stand jetzt, wird meine Schwester wohl die Ausbildung abbrechen müssen, da unsere Eltern sich das finanziell einfach nicht leisten können! Warum werden junge Menschen, die einen derart verantwortungsvollen und wichtigen Beruf erlernen wollen, nicht BEDINGUNGSLOS vom Staat unterstützt? Ins Ausland werden Milliarden transferiert! Arbeitsunwillige Migranten und Hartz 4 Empfänger werden von diesem Staat unterstützt! Dagegen werden 200 bis 300 Euro Förderung mtl. für eine lernwillige junge deutsche Frau abgelehnt!? Frau Schavan, können Sie nachvollziehen, das das für mich völlig unverständlich ist?
Mit Freundlichen Grüßen
Ronny Pelka
Sehr geehrter Herr Pelka,
vielen Dank für Ihre Frage vom 21. September 2012. Ich bitte allerdings um Verständnis, dass ich den konkreten Förderungsfall Ihrer Schwester von hier aus nicht abschließend beurteilen kann. Gerne möchte ich jedoch versuchen, Ihnen mit einigen allgemeinen Informationen zu den entsprechenden förderungsrechtlichen Regelungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) weiterzuhelfen:
Das BAföG als ein Sozialleistungsgesetz tritt mit seinen Leistungen grundsätzlich nachrangig ein: Ein Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung besteht nur dann, wenn die Auszubildenden beziehungsweise ihre ihnen unterhaltsverpflichteten Eltern oder Ehegatten nicht in der Lage sind, die Ausbildung aus eigener Kraft zu finanzieren. Der Gesetzgeber setzt damit voraus, dass zuerst Unterhaltsverpflichtete in Anspruch genommen werden, bevor der Staat und damit die Steuerzahler zur Ausbildungsfinanzierung beitragen. Auf den Bedarf werden deshalb gemäß Paragraf 11 Abs. 2 BAföG Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie das Einkommen seines Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners und seiner Eltern in dieser Reihenfolge angerechnet.
Lediglich in den Ausnahmefällen des Paragrafen 11 Abs. 3 BAföG ist die Höhe der Förderungsleistung unabhängig vom Einkommen der Eltern. Der Gesetzgeber hat in dieser Vorschrift Fallgruppen benannt, in denen die Unterhaltspflicht der Eltern typischerweise erloschen ist, da die Auszubildenden bereits eine gefestigte wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangt haben.
Ausgangspunkt für die Feststellung des Einkommens ist die Summe der positiven Einkünfte im Sinne des Paragrafen 2 Abs. 1 und 2 Einkommensteuergesetz. Davon werden die im Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommen- und Kirchensteuer sowie eine Pauschale für die soziale Sicherung abgezogen.Um den eigenen Lebenshaltungskosten der Eltern sowie den gegebenenfalls bestehenden weiteren Unterhaltsverpflichtungen für Geschwister der Auszubildenden Rechnung zu tragen, enthält das BAföG schließlich in Paragraf 25 BAföG absolute und relative Freibeträge. Maßgeblich für die Einkommensanrechnung sind grundsätzlich die Einkommensverhältnisse im vorletzten Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums (Paragraf 24 Abs. 1 BAföG). Ist das Einkommen im Bewilligungszeitraum voraussichtlich wesentlich niedriger, so besteht nach Paragraf 24 Abs. 3 BAföG die Möglichkeit, einen Antrag auf „Einkommensaktualisierung“ zu stellen. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Eltern im Falle erheblicher Einkommensminderung im Bewilligungszeitraum den angerechneten Betrag nicht leisten können.
Im Übrigen besteht für Auszubildende die Möglichkeit, einen Antrag auf Vorausleistungen zu stellen, wenn der Anrechnungsbetrag nach dem BAföG die finanzielle Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Eltern im Einzelfall aufgrund besonderer, im BAföG nicht berücksichtigungsfähiger Umstände übersteigt: Leisten die Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht oder nicht in voller Höhe und ist deshalb die Ausbildung gefährdet, wird der Betrag nach Anhörung der Eltern vom Amt für Ausbildungsförderung vorausgeleistet (Paragraf 36 Abs. 1 BAföG). Mit Zahlung dieses Betrages geht der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf das jeweilige Bundesland über, das diesen Anspruch gegen die Eltern geltend macht. Auf diese Weise ist in der Regel sichergestellt, dass kein Auszubildender die Ausbildung allein aus finanziellen Gründen nicht aufnehmen kann oder abbrechen muss.
Als weitere Finanzierungsmöglichkeit möchte ich Sie schließlich auf das Bildungskreditprogramm der Bundesregierung aufmerksam machen. Der Bildungskredit ist ein zeitlich und der Höhe nach befristeter, zinsgünstiger Kredit, der zur Unterstützung von Studierenden und Schülern in fortgeschrittenen Ausbildungsphasen angeboten wird und neben dem BAföG eine ergänzende und insoweit auch weiter reichende Möglichkeit der Ausbildungsfinanzierung bietet. Schülerinnen und Schüler können in den letzten 24 Monaten ihrer Ausbildung einen Bildungskredit beantragen. Informationen zum Bildungskredit sind im Internet unter www.bildungskredit.de abrufbar und können bei der unter 0228/ 99-358-4492 eingerichteten Hotline erfragt werden.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan