Frage an Annette Schavan von Stefan A. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Schavan,
die beschlossene Befreiung der größen Stromverbraucher von den Stromdurchleitungsgebühren steht m.E. im krassen Widerspruch zum beschlossenen Ausbau der alternativen bzw. regenerativen Stromerzeugung. Der Ausbau dieser Energierzeugung braucht den parallelen Ausbau der Stromnetze. Wenn die größten Stromverbraucher hier Ihren Beitrag nicht mehr leisten ist der Umbau der Energieversorgung insgesamt in Gefahr. Ist dies politisch vielleicht sogar gewollt? Es kann und darf doch wohl nicht sein, dass wieder der Kleinverbraucher die Zeche zahlt!
Sehr geehrter Herr Auer,
vielen Dank für Ihre Frage vom 5. Februar 2012. Gerne möchte ich Ihnen unsere Energiepolitik erläutern.
Nur etwa ein Fünftel der Gesamtentlastungssumme, das heißt rund 240 Millionen Euro, entfallen auf industrielle Großverbraucher. Der ganz überwiegende Anteil der Entlastungen von den Stromnetzentgelten, nämlich rund 660 Millionen Euro, kommt Haushalten und anderen Kleinverbrauchern für Nachtspeicherheizungen und Wärmepumpen zugute. Weiterhin werden auch Pumpspeicherkraftwerke in größerem Umfang entlastet.
Bei diesen Vorschriften zur Entlastung bestimmter Verbrauchergruppen von den Netzentgelten handelt es sich um eine seit längerem bestehende Regelung. Sie wurde im Jahr 2005 von der rot-grünen Bundesregierung in die Stromnetzentgeltverordnung eingeführt und entlastete Großverbraucher zuletzt bereits von 80 Prozent der Netzentgelte. Die nun erfolgte moderate Ausweitung dieser bestehenden Entlastungsregelung war Teil der Beschlüsse zum Energiepaket, denen im Sommer 2011 eine breite Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat zugestimmt hat.
Es handelt sich bei dieser Regelung nicht um eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Industrie, sondern es wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Industriekunden durch ihre gleichmäßige Stromabnahme auch in Schwachlastzeiten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze leisten.
Mit dem immer stärkeren Zubau an erneuerbaren Energien und dem Wegfall von rund 10 Prozent der gesicherten Erzeugungsleistung durch die Abschaltung der Kernkraftwerke erhöht sich die Gefahr von Stromausfällen erheblich. Die Netzstabilität ist eine der Hauptherausforderungen der aktuellen Energiepolitik. Aus diesem Grund ist die Netzentgeltbefreiung für die stromintensiven Industrien mit einer gleichmäßigen Stromabnahme von mindestens 7.000 Stunden und 10 Gigawattstunden im Jahr richtig und notwendig.
Die Entlastung dient schließlich auch dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit von Industrien, bei denen die Stromkosten einen wichtigen Kostenfaktor darstellen. Wir müssen dringend sicherstellen, dass energieintensive Industrien in Deutschland auch weiter eine Heimat haben. Die Energiepreise sind ein immer wichtiger werdender Faktor für die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die Industriestrompreise in Deutschland sind bereits heute wesentlich höher als beispielsweise in Frankreich, Spanien oder den USA. Wir können es uns nicht leisten, dass die stromintensiven Industrien, wie Alu- und Kupferhütten, Stahlwerke, Gießereien oder Papierfabriken, wegen unkontrolliert steigender Energiepreise aus Deutschland abwandern. Steigt der Strompreis nur um einen Cent pro Kilowattstunde, hat beispielsweise die Chemiebranche bereits Mehrkosten von 500 Millionen Euro pro Jahr.
An diesen Industrien hängen in Deutschland nicht nur rund eine Million Arbeitsplätze. Vielmehr bilden sie die erste Stufe der Wertschöpfungskette zu den hochspezialisierten Industriegütern, die Deutschland mit so großem Erfolg auf den Weltmärkten verkauft. Und auch der geplante Umbau der Energieversorgung wird ohne diese Branchen nicht gelingen, denn es würde nicht ein Windrad und nicht eine Photovoltaik-Anlage in Deutschland mehr gebaut ohne die erforderlichen Grundstoffindustrien. Ein weiterer unkontrollierter Anstieg der Energiekosten gefährdet somit den Industriestandort Deutschland - und damit die Grundlagen unseres Wohlstandes.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan