Frage an Annette Schavan von Sascha A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Fr. Schavan,
in der Politik herrscht seit einiger Zeit eine Debatte über einen sogenannten "Fachkräftemangel", den Arbeitgeberverbände angestoßen haben. Die derzeitige Lösung sieht lediglich vor, ausländische Fachkräfte anzuwerben. Sie hatten bereits am 21.10.2010 auf eine ähnliche Anfrage geantwortet, dort schilderten sie die "Einigkeit der Experten" über die Existenz des Fachkräftemangels.
Im Rahmen der Debatte stoßen mir unlogische Zusammenhänge auf:
Warum unternimmt die Bundesregierung trotz dieser lange bekannten vermeintlichen Probleme auf dem Arbeitsmarkt noch heute so wenig, um die Qualifizierungsmöglichkeiten im Inland zu verbessern? Dazu sollten gehören:
- Mehr Mittel für den Ausbau und die Modernisierung von Universitäten und Schulen, insbesondere in naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen (der MINT-Sektor)
- Keine Altersbegrenzung beim BAFöG-Bezug beim Beginn einer beruflichen Bildungsmaßnahme (derzeit bei 30 Jahren begrenzt), so dass sich auch ältere Arbeitnehmer dem Bedarf anpassen und weiterbilden können, vor allem auch für solche, die anderweitig am Arbeitsmarkt gescheitert sind
Nach meiner Kenntnis sind sich die Experten nicht einig. Der DIW zweifelt z.B. am Mangel. Es wird von vielen Seiten davon berichtet, dass Fachkräfte keinen richtigen Job in Deutschland bekommen. Sie werden oft nach Ende ihres Studiums in unbezahlte Praktika oder in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, die nicht selten weit unterhalb der Tariflöhne bezahlen. Das gilt auch für Fachkräfte, denen ein Mangel nachgesagt wird (Techniker, Ingenieure). Für mich als Physik-Student und zukünftige Fachkraft stellt sich da die Frage: Bin ich denn in diesem Lande auf dem Arbeitsmarkt wirklich erwünscht? Sind meine beruflichen Perspektiven in europäischen Nachbarländern denn nicht wesentlich vielversprechender? Ich habe mich als 29-jähriger für das Studium entschieden, um aus den Mühlen der Zeitarbeit zu entkommen. Sind meine Bemühungen darin möglicherweise sinnlos?
Sehr geehrter Herr Apazeller,
vielen Dank für Ihre Frage vom 23. Juli 2011.
Aufgrund des demografischen Wandels und der Veränderungen in der Arbeitswelt ist schon heute absehbar, dass es in Deutschland zu einem Mangel an Fachkräften kommen wird. In einigen Berufsgruppen, beispielsweise bei den sogenannten MINT-Berufen und im Pflegebereich, sowie auch in einigen Regionen Deutschlands ist dieser Mangel bereits heute festzustellen. Wir gehen davon aus, dass es aufgrund des Rückgangs des Erwerbspersonenpotenzials bis 2025 um etwa 15 Prozent zu erheblichen Engpässen kommen wird.
Die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Landes hängt wesentlich von der Sicherung des Fachkräftebedarfs ab. Daher hat die Bundesregierung in diesem Sommer ein "Konzept zur Fachkräftesicherung" beschlossen. Die darin enthalten Maßnahmen richten sich an alle Zielgruppen des Arbeitsmarktes. Es geht sowohl um die Ausbildung von jungen Menschen als auch um die Qualifizierung anderer Alters- und Qualifikationsgruppen. Durch gezielte Maßnahmen sollen ungenutzte Potenziale bei Arbeitslosen, Migrantinnen und Migranten oder auch behinderten Menschen erschlossen werden. Großes Augenmerk schenkt die Bundesregierung hier auch älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Frauen.
Hinsichtlich des von Ihnen geforderten Ausbaus der Universitäten verweise ich auf den gemeinsam mit den Ländern vereinbarten Hochschulpakt, mit dem wir hunderttausende zusätzliche Studienplätze schaffen. Darüber hinaus unterstützt der Bund die Verbesserung der Lehre an den Hochschulen mit rund zwei Milliarden Euro bis 2020. All das hat dazu beigetragen, dass unsere Hochschulen in den letzten Jahren weiter an Attraktivität gewonnen haben, was nicht zuletzt in der deutlich gestiegenen Studierendenquote zum Ausdruck kommt.
Ich wünsche Ihnen für Ihre persönlichen Bemühungen viel Erfolg.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan