Frage an Annette Schavan von Tovija S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Geehrte Frau Schavan,
warum werden Studenten beim Bafög in die Pflicht genommen, für Ihren Unterhalt rückwirkend selbst aufzukommen, wenn ein Steuerbescheid der Eltern zu Ungunsten des Studenten abgeändert wird? Das Prinzip, dass generell vom Leistungsempfänger gefordert wird, sollte hier keine Geltung finden dürfen. Warum wird unter diesen Umständen eine Rückforderung an mich adressiert, während ich aber von Sachbearbeiter und Anwalt auf die Möglichkeit der Klärung vorm Familiengericht verwiesen werde? Das bedeutet doch, dass mehr oder minder erkannt wird, dass der Unterhalt von meinen Eltern hätte gezahlt werden müssen. Warum wird dieser eigentlich logischen Tatsache nicht Rechnung getragen? Eltern können doch auch (eig) problemlos rückzahlungspflichtig gemacht werden, wenn sie falsche Angaben gemacht haben oder Änderungsanzeigen unterlassen. Wobei hier in der Praxis sicher auch oft auf die Studenten abgewälzt wird, weil es vermutlich einfacher ist. So verstehe ich jedenfalls, dass sowohl ich als auch meine Eltern beispielsweise Änderungen in den Verhältnissen meiner Geschwister mitteilen sollen. Im Zweifelsfall wird erst einmal mir etwas zur Last gelegt, bis ich mich ggf. gerichtlich dagegen wehre.
Der Gesetzgeber belässt mit von mir kritisierter Regelung ein enormes und unnötiges Konfliktpotenzial in der Gesellschaft. Eltern werden damit unrechtmäßig begünstigt.
Um mich zu versichern, dass mein Ungerechtigkeitsgefühl kein unbedeutendes, rein subjektives und übertriebenes ist, habe ich mich bei mehreren Kommilitonen um deren Zustimmung versichert.
Als mir letztes Jahr die Rückforderung in Höhe von 1200€ ( das ist ein Jahreseinkommen für mich!) mit der Post ins Haus flatterte, hat mir auch das alles andere als gesundheitlich gut getan.
Meine vorige Mail hierzu wurde Ihnen weitergeleitet.
Bitte teilen Sie mir auch mit, ob und inwieweit dieses Problem bereits bekannt ist.
Ich hoffe, Sie sehen ebenso Änderungsbedarf wie ich.
MfG
Tovija Eleasar
Sehr geehrte Frau Schönbach,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 6. Juni 2011.
Sie rühren damit an ein Grundprinzip unseres Ausbildungsförderungsrechts, das - sich an der grundsätzlichen Unterhaltspflicht der Eltern während der Ausbildung ihrer Kinder orientierend - Leistungen nur dann vorsieht, wenn das Elterneinkommen für die Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht nicht ausreicht. Dass die Ausbildungsförderung dennoch keine Leistung an die Eltern ist, sondern vom Auszubildenden selbst beantragt und unmittelbar bezogen wird, gewährleistet zum Einen, dass die Ausbildungsförderung auch tatsächlich beantragt wird und den Auszubildenden erreicht, der ohne sie seine Ausbildung nicht durchführen kann. Zum Anderen wird der Auszubildende so als erwachsener Mensch mit eigener Verantwortung für seine Ausbildungsentscheidungen angemessen behandelt.
Zu dieser Verantwortung gehört aber auch, dass Ausbildungsförderung unter Umständen zunächst nur vorläufig, nämlich unter dem Vorbehalt späterer Überprüfung nach Vorlage eines abschließenden Steuerbescheids der Eltern erfolgt und damit das Risiko birgt, dass es nachträgliche Veränderungen und dementsprechende Rückforderungen geben kann. Hier geht der Gesetzgeber - ganz gewiss nicht zu Unrecht, sondern den typischerweise bestehenden Realitäten innerfamiliärer wechselseitiger Einstandsbereitschaft Rechnung tragend - davon aus, dass es die Eltern nicht achselzuckend ihrem Kind allein überlassen werden, mit rückwirkenden Korrekturen der Förderungsleistung fertig zu werden, zumal, wenn diese gerade auf der erst nachträglich bekannt gewordenen (höheren) eigenen elterlichen Einkommensentwicklung beruhen. Die Eltern sind zudem ihrerseits nach § 47 Abs. 4 BAföG i. V. m. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I auch rechtlich verpflichtet, ihnen bekannte relevante Änderungen unverzüglich anzuzeigen. In den von Ihnen angesprochenen Fallkonstellationen, dass sie ganz bewusst gegen diese Pflicht verstoßen, ist auch tatsächlich bereits nach geltendem BAföG über dessen § 47a eine Möglichkeit eröffnet, sie auch unmittelbar zum Ersatz zu Unrecht erfolgter Leistungen heranzuziehen. Wenn auch nicht darauf verzichtet werden kann, daneben auch den Auszubildenden selbst mit in der Pflicht zu halten, der ja nun einmal selbst Antragsteller und Leistungsempfänger ist, sieht die Verwaltungsvorschrift 47a.0.1 zum BAföG für solche Fallkonstellationen, in denen die Eltern wegen Verstoßes gegen ihre Mitwirkungspflichten selbst erstattungspflichtig sind, ausdrücklich vor, dass Beitreibungsmaßnahmen vorrangig ihnen gegenüber erfolgen, bevor der Auszubildende in Anspruch genommen wird.
Ich kann ohne genaue Sachverhaltskenntnis der Umstände und Abläufe in Ihrem konkreten Förderungsfall natürlich nicht beurteilen, inwieweit dies auch hier relevant werden könnte, denke aber, dass die abstrakt gesetzlich vorgesehene Verantwortungsteilung so falsch nicht ist. Sie wird den naturgemäß immer etwas konfligierenden Bedürfnissen individueller Hilfe zur Sicherung qualifizierter Ausbildung einerseits und dem Interesse des Steuerzahlers andererseits, nämlich zu verhindern, dass Haushaltsgelder denjenigen zukommen, die gemessen an ihrem tatsächlichen Einkommen darauf gar nicht angewiesen waren, am besten gleichermaßen gerecht.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan